Per Handschlag in die Elektrozukunft
In Stuttgart stellt Daimler den ersten serienreifen Elektrobus vor. Warum das für das Werk in Neu-Ulm erst einmal keine Rolle spielt
Die Dachkonstruktion wird wegen neugieriger Blicke der Konkurrenz noch getarnt. Aber ansonsten ist der erste vollelektrische Bus aus dem Hause Daimler serienreif, die Produktion beginnt Ende des Jahres. Allerdings nicht in Neu-Ulm. Das Werk mit 3 870 Beschäftigten ist auf Reisebusse spezialisiert. Ein Segment, das in der Elektromobilität auf absehbare Zeit keine große Rolle spielen wird. „Wir glauben derzeit nicht, dass ein vollelektrischer Reisebus Sinn macht“, sagte Gustav Tuschen, der Bus-Entwicklungsleiter beim Daimler-Jahrespressegespräch in Stuttgart. Reisebusse würden für Langstrecken von täglich 800 bis 1000 Kilometer gekauft. Dafür seien die Lithium-Ionen-Batterien nicht geeignet. Alle vier Stunden eine eineinhalbstündige Ladepause – das sei den Reisenden nicht zu vermitteln.
Allerdings werde wohl auch ein Bus der Neu-Ulmer Hausmarke Setra in Zukunft nicht gänzlich ohne Elektroantrieb auskommen: Denn wenn Einfahrverbote für Dieselfahrzeuge verhängt werden, müsse sich Daimler Gedanken über eine Hybrid-Lösung machen. Mit diesen Gedanken wird sich insbesondere Till Oberwörder plagen müssen, der sich am Montag in Stuttgart die letzte Bilanz von Hartmut Schick anhörte: Oberwörder wird, wie berichtet, Schick nach neun Jahren an der Spitze der Bussparte ablösen.
Zum Abschied präsentierte Schick, der die Verantwortung für das Truck-Geschäft in Asien übernimmt, Zahlen des „besten Jahres in der Geschichte von Evobus“. In sämtlichen Ziffern legte die Bustochter zu. In Europa erreichte Daimler einen Marktanteil von 28,4 Prozent – fast doppelt so viel wie die Nummer zwei. Verdient wurden mit dem Verkauf von knapp 10 000 Komplettbussen und Fahrgestellen 243 Millionen Euro. Die Umsatzrendite liegt mit 5,6 Prozent knapp unter der Ziel-Umsatzrendite von sechs Prozent. Für das Werk in Neu-Ulm prognostizierte Schick ein Jahr mit stabiler Auslastung.
Auch wenn das Thema Elektro- mobilität nicht in Neu-Ulm angesiedelt ist, betonte Schick andere zukunftsträchtige Bereiche mit einer Heimat in Bayerisch-Schwaben: Neu-Ulm spezialisiere sich nicht nur auf Reisebusse, sondern auch auf Sicherheits- und Assistenzsysteme, unter anderem für das autonome Fahren. Insgesamt investiere Daimler in das europäische Produktionsnetzwerk mit Werken in NeuUlm, Mannheim und in Holvsov (Tschechien) in den nächsten Jahren rund 140 Millionen Euro. 400 Millionen Euro investierte Daimler jüngst in eine neue Reisebus-Generation inklusive des Setra-Doppeldeckers. Schick: „Das Reisebusgeschäft hat eine vielversprechende Zukunft.“Beleg dafür seien die
Mit neuen Bussen sieht man sich gut positioniert
Zahlen von Flixbus, dem Marktführer im europäischen Fernbusgeschäft: 2017 habe Flixbus 40 Millionen Passagiere befördert – doppelt so viele wie 2015. Mit den neuen Reisebussen sei Evobus perfekt positioniert, um in diesem Marktsegment auch künftig vornewegzufahren. In den nächsten Monaten werden in die Setras weitere Entwicklungen aus Neu-Ulm verbaut: Etwa ein Notbrems- sowie ein AbbiegeAssistent. Die Busse reagieren nicht mehr nur auf andere Fahrzeuge, sie erkennen und schützen dann auch Fußgänger. Der Sideguard-Assist für den toten Winkel überwacht mit Radarsensoren die Spur rechts neben dem Omnibus über dessen komplette Länge. Auch wenn bei Daimler am Montag alle Zeichen auf Elektromobilität zu stehen schienen: Den Diesel schreiben die Stuttgarter nicht ab. Dass die Ära von Verbrennungsmotoren noch lange nicht beendet sei, betonte Entwicklungschef Tuschen. Dagegen sprechen – selbst im Geschäft mit Stadtbussen – im Moment die Kosten und die noch eingeschränkte Reichweite, die aufwendige Stromversorgung und die Umstellung im Service und der Schulung der Mitarbeiter. Die Reichweite des ersten E-Busses liege bei 150 Kilometern.