Harter Arbeitsalltag hinter Gittern
Vollzugsbeamte in Memmingen sind zunehmend mit Gewalt konfrontiert. Die Zahl der Übergriffe steigt
„Wenn ein Team die schwierige Situation meistern kann, dann dieses hier“, sagt Anja Ellinger, Leiterin der Justizvollzugsanstalt (JVA) Memmingen. Zugleich sorgt sie sich um ihre Mannschaft, denn die Belastungen häufen sich: Vermehrt gibt es Angriffe gegen Beamte, der Umgang mit teils traumatisierten Flüchtlingen und Gefangenen mit psychischen Erkrankungen ist schwierig, und die Kollegen schieben etliche Überstunden.
Die Beamten haben es mit einer veränderten Klientel zu tun: Denn nach der Justiz-Debatte im Fall Gustl Mollath kommen Ellinger zufolge psychisch kranke Verurteilte öfter als früher ins Gefängnis statt in die Psychiatrie. Deutlich erhöht hat sich der Anteil ausländischer Inhaftierter, aktuell liegt er laut Ellinger bei 50 Prozent. Mit vielen falle die Verständigung extrem schwer. Eine neue Hilfestellung ergebe sich durch das Videodolmetschen, das die JVA nach Angaben der Leiterin bald nutzen kann.
„Es kam schon vor, dass Flüchtlinge psychische Erkrankungen vorgespielt haben, um nicht abgeschoben zu werden“, sagt Ellinger. Andere hätten ein Trauma erlitten, in der Heimat anderen Umgang mit Gewalt kennengelernt oder schlechte Erfahrungen mit Staatsorganen gemacht, so Ellinger und Siegfried Wassermann, Dienstleiter der JVA. Probleme verursachen nach Ellingers Erfahrung alleinreisende Männer eher als andere Personengruppen. Auch unter den ausschließlich männlichen Bewohnern der Unterkunft Memmingerberg gebe es solche Fälle. Dies trage dazu bei, dass in Relation zur vergleichsweise geringen Größe der JVA viele schwierige Flüchtlinge dort einsitzen.
Übergriffe ereignen sich aber auch aus anderen Gründen: „Es gibt mehr synthetische Drogen, die Schäden im Kopf anrichten.“Gefangene, die unter den Folgen leiden, sind Ellinger zufolge unberechenbar. Besteht die Gefahr, dass ein Gefangener sich selbst oder anderen Gewalt antut, wird er in einem kameraüberwachten Haftraum untergebracht. Die Notwendigkeit, solche Insassen ständig im Blick zu haben und sie zum Beispiel mit zwei Beamten zu Arztterminen zu begleiten, bedeute erhöhte Anforderungen für das Personal, macht Ellinger klar: „Im vergangenen Jahr hatten wir das 69 Mal.“
Laut Wassermann sind derzeit 36 Frauen und 109 Männer in der JVA, die bei Männern auf 85 Plätze im Regelvollzug und 26 Freigänger sowie auf 28 Plätze für Frauen ausge- ist. Häufig landen dem Dienstleiter zufolge Personen in Haft, die am Flughafen Memmingerberg aufgegriffen werden. „Wenn sich bei Kontrollen zeigt, dass etwa wegen illegaler Einreise oder Ladendiebstahls irgendwo in Deutschland eine Haftstrafe erlassen wurde, müssen wir vollstrecken – bei Strafen unter drei Monaten wird nicht weiterverlegt.“Das greift auch, wenn Reisende in Fernbussen auf A96 und A7 gestoppt werden. Da auch andere Anstalten mit Überbelegung zu tun haben, helfe man sich teils gegenseitig weiter.
Derzeit bringen es die 50 uniformierten Beamten der JVA Ellinger zufolge im Schnitt jeweils auf 136 Überstunden: „Für uns ist es schwierig, sie abzubauen, weil die Dienstposten besetzt sein müssen“, erklärt Wassermann. „Es ist erstaunlich, dass Kollegen, die so hoch belastet sind, noch so engagiert sind“, sagt Ellinger. Hohe Zahlen bei Krankheitstagen erklärten sich teils durch Ausfälle wie den des Kollegen, der 2016 von einem Häftling schwer verletzt wurde und noch nicht wieder arbeiten kann. „In der Statistik für 2017 ergeben sich so fünf Krankheitstage bei jedem Kollegen.“Eine Rolle spielten außerdem Arbeitsverbote für schwangere Kolleginnen, welche wegen Berufslegt risiken früh ausgesprochen würden. Bemühungen zielen darauf, die Beamten zu unterstützen: Wie Ellinger erklärt, werden sie etwa künftig regelmäßig in Deeskalation und Selbstverteidigung geschult, und bei Vorfällen gibt es Nachbesprechungen für die Mitarbeiter, die sich zudem an ein Kriseninterventionsteam ausgebildeter Kollegen oder die Psychologin der JVA wenden können. „Es hilft auch, dass wir die volle Rückendeckung vom Ministerium haben“, sagt Ellinger – doch sollte sich die Situation fortsetzen oder gar verschärfen, „dann weiß ich nicht, wie wir in zwei Jahren dastehen“.
Vom Flughafen in die Haft