Das Flüchtlingsproblem von Donauwörth
Erst der Aufmarsch am Bahnhof, dann die Randale gegen Polizisten in der Erstaufnahmeeinrichtung: In Nordschwaben gibt es gewaltigen Ärger mit Asylbewerbern aus Gambia. Diese wehren sich gegen die Vorwürfe. Was ist dort nur los?
Die Frau hinter der Theke zuckt zusammen. Flüchtlinge? „Da sag ich nichts“, meint sie und packt die Breze in eine Tüte. Weil schon so viel passiert sei, hier am Donauwörther Bahnhof. Drinnen in der Bahnhofshalle blicken ein paar dunkelhäutige junge Männer auf ihre Smartphones, draußen warten die Taxifahrer auf Gäste. „Mei“, sagt einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, „am Anfang hatten die Leute hier noch Verständnis. Dann kamen die vielen Schwarzafrikaner.“Und mit ihnen die Probleme: Beschwerden über Trinkgelage und Pöbeleien am Alten Donauhafen und in der Promenade, der grünen Lunge der Stadt. Die Probleme am Bahnhof – Lärm, Anmachsprüche, Saufgelage. Der Flüchtlingsaufmarsch am Rosenmontag, die Polizeieinsätze. Der Taxifahrer sagt: „Viele hier sind der Meinung, dass es reicht.“
Erst recht nach der vergangenen Woche, nach dem Polizeieinsatz, der die Donauwörther Erstaufnahmeeinrichtung in die Schlagzeilen gebracht hat. Es ging um die geplante Rückführung eines gambischen Flüchtlings, um dessen Landsleute, die sich gegen die Polizei stellten, die Gewalt, die Flaschen und Stühle, die geflogen sind. Anna Lobkowicz geht an Haus 10 vorbei, dort, wo sich die Wut der Flüchtlinge entladen hat. Lobkowicz, die für die Malteser die Erstaufnahmeeinrichtung aufgebaut hat, zeigt auf die Fensterscheiben, die zu Bruch gegangen und nun mit Platten vernagelt sind. „Da ist ganz sicher niemand rausgesprungen“, sagt ihre Kollegin.
Was auf dem früheren Kasernengelände genau passiert ist, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Videos zeigen Polizisten, die in Helm und Westen und mit Schäferhunden aufmarschieren, aber auch Flüchtlinge, die lauthals protestieren und „Freedom“rufen – „Freiheit“. Von kochendem Wasser und Eisenstangen, mit denen die Polizisten bedroht worden sein sollen, ist nichts zu sehen. Einer, der vor Ort war, sagt: „Ich glaube, da wurde alles genommen, was rumlag.“
Roland Wildfeuer hat sein Büro in Haus 46. Er ist der einzige Ortspolizist in der Erstaufnahme und will gleich mit einem Vorurteil aufräumen: „Das hier ist kein militantes Lager. Ich bin nie körperlich angegangen worden.“Die Gambier seien zwar verbal aggressiv. Meist aber hätten sie Respekt vor der Polizei.
Wie das mit dem jüngsten Polizeieinsatz zusammenpasst? „Die Situation hat sich hochgeschaukelt“, sagt Donauwörths Polizeichef Thomas Scheuerer. Seine Kollegen wollten gegen 3.30 Uhr einen gambischen Asylbewerber abholen, der nach Italien rückgeführt werden sollte – wie es das Dublin-Verfahren vorsieht. Der Mann sei auf dem Gelände aber nicht auffindbar gewesen. Rund 50 Gambier hätten die Aktion „verhindert, indem sie aggressiv gegenüber den Einsatzkräften auftraten und sich zusammenrotteten“, heißt es in einer Polizeimitteilung. Mitarbeiter der Malteser hätten sich in der Rezeption eingesperrt. Am Nachmittag kehrte die Polizei mit Unterstützung der Bereitschaftspolizei zurück – über 100 Mann samt Hunden. „Da sind Helme und Einsatzstock standardmäßige Ausrüstung“, sagt Scheuerer. Laut Mitteilung schlossen sich die Bewohner in Zimmer ein, Flaschen, ein Stuhl und ein Kindersitz wurden aus dem Fenster geworfen, heißes Wasser von oben in Richtung der Beamten geschüttet. Draußen stellte sich ein Vermummter mit einer Eisenstange gegen die Polizisten. Am Ende nahmen diese 32 Personen fest, 30 Gambier sitzen seither in Untersuchungshaft.
Und dann gibt es die Sichtweise des bayerischen Flüchtlingsrats, der den Polizeieinsatz für „völlig überzogen“hält und gestern fünf gambische Flüchtlinge nach München lud, die ihre Version erzählten. Von Pfefferspray war die Rede, von Tränengas, das in den Korridoren eingesetzt worden sei, von Menschen, die in Ohnmacht gefallen sein sollen, weil Fenster verriegelt waren. Scheuerer winkt ab: „Es gab gar kein Tränengas.“Malteser-Mitarbeiterin Lobkowicz sagt: „Die Fenster hier sind gar nicht verriegelt.“Und die Polizei legt in ihrer Mitteilung nach: Pfefferspray wurde in den Gebäuden nicht eingesetzt, aber im Eingangsbereich gegen Bewohner, die auf die Polizisten losgingen und gegen den Mann mit der Eisenstange.
Lobkowicz geht weiter, vorbei an der Kantine, in der Bewohner auf Bierbänken sitzen und frühstücken. Die jüngsten Probleme haben viele Ursachen – auch das Kantinenessen, sagen manche. Weil die Menschen lieber selber kochen wollten. Frank Kurtenbach von der Regierung von Schwaben sagt, dass dies in einer Erstaufnahme nicht vorgesehen ist. Er sieht andere Gründe für die Unruhen: die Tatsache, dass viele Asylbewerber inzwischen deutlich länger in der Einrichtung bleiben, mittlerweile bis zu 24 Monate. „Hinzu kommt die fehlende Perspektive.“Fast die Hälfte der Bewohner kommt aus Gambia, der Großteil sind junge Männer. Ihre Anerkennungsquote liegt bei sieben Prozent. Doch die Rückführungen dauern, die meisten müssen zurück nach Italien, wo sie in die EU eingereist sind. Derzeit aber nimmt Italien nur etwa 20 bis 25 Flüchtlinge pro Woche auf. „Das alles schafft Frustration“, sagt Kurtenbach. „Irgendwann entlädt sich das Ganze.“
Die Donauwörther Erstaufnahme ist so etwas wie ein bayernweites Zentrum für Flüchtlinge aus Gambia – und der Türkei. Festgelegt wird diese Verteilung zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und dem bayerischen Sozialministerium. In Deggendorf etwa landen Flüchtlinge aus Sierra Leone und Aserbaidschan. Kurtenbach sagt: „Andere Einrichtungen haben ihre Probleme mit anderen Nationalitäten.“Wildfeuer, der Polizist vor Ort, hat immer wieder das Gespräch mit Gambiern gesucht, hat ihnen erklärt, dass es so nicht weitergehen kann. „Tatsächlich sind es nur 20 bis 25, die mit Alkohol auffallen, pöbeln oder Frauen angehen. Aber die ziehen alle runter.“
Und dann ist da der Vorfall vom Rosenmontag, als rund 150 Gambier zum Bahnhof marschierten und dort eine Demonstration abhielten. Sie forderten, nach Italien ausreisen zu dürfen. Die Folge war ein Großeinsatz der Polizei, der Zugverkehr musste für mehrere Stunden gesperrt werden. „Wir hatten Sorgen, dass die Meute losrennt“, sagt Scheuerer. Letztlich konnten die Flüchtlinge aber ohne Probleme zur Kaserne zurückgebracht werden.
Es sind diese Geschichten, die dazu beitragen, dass die Stimmung sich dreht. In der Erstaufnahme ist von hoher Arbeitsbelastung und etlichen Ausfällen die Rede. „Es gab die normale Grippewelle“, sagt Lobkowicz, räumt aber ein, dass in zwei Fällen Eltern nicht wollten, dass ihre Töchter weiter hier arbeiten. Unten am Bahnhof meint der Taxifahrer: „Ich habe zwei Töchter, 17 und 24. Nachts lasse ich keine von ihnen mehr allein in die Stadt.“Der Kollege erzählt von jungen Frauen, die sich mittlerweile direkt vor die Haustür fahren lassen. An manchen Stellen in der Stadt, heißt es, lassen sich Frauen von männlichen Kollegen zum Auto begleiten. Scheuerer kennt diese Geschichten. Und er weiß, dass sich viele Bürger Sorgen machen. „Das ist subjektives Empfinden“, sagt er. „Hundertprozentige Sicherheit aber können wir nicht bieten.“
Auch Armin Neudert nimmt Verunsicherung und Ängste bei den Bürgern wahr. Immer wieder wird der Oberbürgermeister auf das Flüchtlingsproblem angesprochen – in seinen Sprechstunden, am Rande von Konzerten oder beim Einkaufen. „Ich merke ganz bewusst, wie sehr die Vorfälle der jüngsten Zeit die Menschen hier bewegen“, sagt der CSU-Politiker. Am großen Tisch in seinem Amtszimmer klingen diese Sätze sachlich-nüchtern, feststellend, eher besonnen und überlegt. Noch vor einer Woche, als Innenminister Joachim Herrmann vor Ort war, ankündigte, das Sicherheitspersonal in der ehemaligen Kaserne und die Polizeipräsenz in der Stadt zu erhöhen, klang das anders. „Ich sage es aber ganz deutlich: Eine Einrichtung in dieser Größe passt nicht zu einer vergleichsweise kleinen Stadt wie der unseren“, sagte Neudert da. Es ist das, was viele in Donauwörth denken.
Mittlerweile haben sich die Vorzeichen geändert. Am Mittwoch wurde offiziell bestätigt, was schon mit Inbetriebnahme der Erstaufnahmeeinrichtung vereinbart worden war: Ende 2019 ist in Donauwörth Schluss. Mit dieser schriftlichen Versicherung ist Neudert ein Stein vom Herzen gefallen. „Ein großer Schritt ist getan, und wenn das Ergebnis so bleibt wie vereinbart, habe ich ein gutes Gefühl.“
Frank Kurtenbach steuert auf Haus 7 zu, „das Pulverfass“, wie er es nennt. Hinter der Glastür warten Männer mit Formularen in der Hand, sie wollen „pocket money“beantragen – Taschengeld. Für Alleinreisende sind das gut 90 Euro im Monat. Zwei Mal die Woche kommt ein Mitarbeiter der Kreiskasse mit dem Geldkoffer und zahlt aus. Lobkowicz erklärt, dass es vor allem für Gambier zeitweise kaum mehr Taschengeld gab, sondern nur noch Sachleistungen. In anderen Fällen wurden die Leistungen aus bestimmten Gründen gekürzt.
„Die einen kriegen Geld, die anderen nicht, das schaukelt sich unter den Flüchtlingen ganz schnell hoch“, sagt einer, der sich hier auskennt. Im Januar trat ein Flüchtling in Sitzstreik, es gab Randale. Auch für die Mitarbeiter vor Ort ist die Lage alles andere als einfach. „Es kam zu Situationen, in denen unsere Mitarbeiter um ihre Sicherheit fürchteten und sich in ihren Zimmern einschlossen“, betont Gabriele Hoidn, Sprecherin des Landratsamtes Donau-Ries. „Vereinzelt kam es auch zu tätlichen Angriffen gegenüber Mitarbeitern des Landratsamtes.“Mittlerweile lassen die Sicherheitskräfte Flüchtlinge nur einzeln zur Geldausgabe, zudem werden mehr Wartebereiche geschaffen, sagt Kurtenbach.
Nur, wie soll sich die Situation normalisieren? Kurtenbach ist froh, dass die Polizei vergangene Woche ein Zeichen gesetzt hat, dass in Deutschland Gesetze gelten. Die Malteser kehren zum Alltag zurück. Johannes Beck, Geschäftsführer der Diakonie Donau-Ries, die hier Asylsozialberatung anbietet, sagt: „Alle hier sind in Habacht-Stellung. Die
„Die Fenster in der Erstauf nahme sind nicht verriegelt.“Anna Lobkowicz Die Erstaufnahmeeinrichtung in Donauwörth „Das schafft Frustration. Irgendwann entlädt sich das Ganze.“
Frank Kurtenbach
Polizeiaktion hat viele Seiten traumatisiert.“Beck hat Verständnis für das Vorgehen der Beamten. Das größte Problem sieht er im politischen System – und in der Erstaufnahme an sich. „Wir wünschen uns eine andere Art der Unterbringung, weil sie Probleme fördert.“
Für Oberbürgermeister Neudert ist es längst zur Daueraufgabe geworden, auf mögliche Eskalationen vorbereitet zu sein. Es gibt ein Einsatzkonzept, intensive Erörterungen mit der Regierung und regelmäßige Lagebesprechungen. Auch der Ordnungsdienst, der an neuralgischen Punkten patrouilliert, wurde aufgestockt.
Josef Jung hat seinen Kontrollgang gerade abgeschlossen. Er ist für die Sicherheitswacht der Polizei im Einsatz. In der Donau-Meile, dem neuen Einkaufszentrum, ist alles ruhig. „Viele sind froh, dass wir da sind“, sagt er. Dabei dürfe man nicht alle Leute verurteilen. Zwei gambische Flüchtlinge haben ihn schon bei der Streife begleitet, nette junge Männer. „Das sollte man auch mal sehen“, sagt er.