Aus dem Leben eines Laienrichters
Momentan werden Schöffen für die nächste Amtszeit gesucht. Vor ihnen liegt eine spannende Aufgabe – die durchaus schwer sein kann. Das erzählt einer, der es wissen muss
An seinen ersten Prozess als Schöffe kann sich Christian Frimmel noch gut erinnern. Es war ein Fall, der ihm bis heute unter dem Stichwort „Marihuana-Opa“im Gedächtnis geblieben ist. Ein Senior sei damals vor Gericht gestanden, weil er im Keller seines Wohnhauses Cannabispflanzen züchtete. Verpfiffen von seiner Ex-Frau, gab es für den Mann letztlich eine Bewährungsstrafe. Für Frimmel war es der erste Urteilsspruch, an dem er selbst beteiligt war. Viele Weitere sollten folgen.
Seit 2014 ist der Geschäftsführer der Wohnungsbau GmbH Illertissen ehrenamtlicher Schöffe am Neu-Ulmer Amtsgericht. Wenn im Januar 2019 in ganz Bayern neue Laienrichter vereidigt werden, wird Frimmel seine erste Amtsperiode bereits hinter sich haben. „Und ich würde jederzeit weitermachen“, sagt der 52-Jährige. Das, was er als Schöffe im Gerichtssaal erlebe, sei interessant. Das Amt ermögliche viele neue Einblicke – in menschliche Schicksale, unterschiedliche Lebensentwürfe, das Justizsystem. In manchen Bereichen habe sich seine Sicht auf die Dinge geändert, sagt Frimmel, und zieht als Beispiel ein häufig kontrovers diskutiertes Thema heran: „Man sagt gerne, dass Gerichte in Deutschland zu lasch urteilen.“Eine Behauptung, die er mittlerweile differenzierter sehe.
Wer über die Zukunft eines Menschen urteilt, müsse sich über viele Fragen Gedanken machen: Wie schlimm ist das, was der Angeklagte verbrochen hat? Schlägt er möglicherweise noch einmal zu? Welche Gefahr geht von ihm aus? Und: Welche Folgen hätte eine Gefängnisstrafe auch für dessen Kinder oder für die Ehefrau? „Es geht ja darum, Menschen möglichst wieder einzugliedern – und nicht, sie kaputtzumachen“, sagt Frimmel. Man müsse zuhören, abwägen, urteilen. Allein über die Frage entscheiden, welches Strafmaß für einen Angeklagten angemessen ist, müsse ein Schöffe freilich nicht.
Den Strafrahmen – also beispielsweise die Dauer einer Freiheitsstrafe oder die Höhe einer Geldstrafe – gibt der Berufsrichter vor. Er ist in erster Linie für das rechtliche Know-how zuständig, denn eine juristische Ausbildung haben die Laien-Richter in der Regel nicht. „Das ist auch so ge- sagt Frimmel. „Schöffen sollen einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden und ihre eigene Lebenserfahrung mit einbringen.“
Auf sein Ehrenamt vorbereitet, wurde der 52-Jährige während eines Einführungskurses. „In der Justizvollzugsanstalt in Memmingen haben wir hautnah erfahren, wie sich das Leben in einer Zelle anfühlt und wie eng es dort ist.“Er selbst habe sich schon während seines Betriebswirtschaftsstudiums für Gericht und Recht interessiert und sich deshalb auch aus persönlichem Interesse für das Ehrenamt zur Verfügung gewollt“, stellt. Wie prekär Lebensverhältnisse sein können, habe er nicht erst im Gericht erfahren. „Als Geschäftsführer einer Wohnungsgesellschaft bekommt man viel mit und hat es mit vielen Schicksalen zu tun.“Durch sein Ehrenamt aber habe sich eine Erfahrung verstärkt: „Lebenswege sind oft vorgezeichnet.“Viele Straftäter seien geprägt von den schwierigen Verhältnissen, unter denen sie aufwachsen und die eine kriminelle Karriere häufig forcieren. Wer einmal das Gesetz gebrochen hat, landet häufig immer wieder vor Gericht. „Es ist schon teilweise erschreckend, wie lang manche Vorstrafenregister sind.“
Frimmel sitzt in der Regel einmal im Monat als einer von zwei Laienrichtern im Gerichtssaal. Die Sitzungstermine bekomme er Anfang des Jahres mitgeteilt. Für jeden Termin bekommt der Schöffe zuvor eine Ladung. Worum es in dem jeweiligen Fall geht, wisse er nicht. Die Laienrichter sollen unvoreingenommen sein und sich ihr Urteil während der Verhandlung bilden. Erst kurz vor Prozessbeginn finde ein kurzes Gespräch statt. „Die Akten aber kennen wir nicht.“
Umso wichtiger sei es deshalb, bei Aussagen von Zeugen oder Angeklagten gut zuzuhören. „Wir müssen immer wieder überlegen, ob das, was ausgesagt wird, auch glaubwürdig ist.“Hilfreich sei dabei eine gute Menschenkenntnis und eine gewisse Lebenserfahrung, findet Frimmel. Auch ein Blick ins Publikum, zu Freunden oder Verwandten des Angeklagten, könne auf der Suche nach einem gerechten Urteil manchmal helfen. „Und natürlich kann man mit der Zeit auch besser einschätzen, ob ein Straftäter noch eine Chance bekommen sollte, oder eben nicht.“
Da Schöffen und Berufsrichter gleichberechtigt sind, können auch die Laienrichter Zeugen befragen – und den Vorsitzenden bei der Urteilsfindung rein theoretisch sogar überstimmen. „Erlebt habe ich das bislang aber noch nicht“, sagt Frimmel. Bei der Urteilsberatung tragen alle ihre Einschätzung vor, bevor nach einem Konsens gesucht werde. Nur einmal habe er bislang nach einer Verhandlung ein ungutes Gefühl gehabt, sagt Frimmel. Ein Angeklagter sei damals zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. „Ich hätte ihn sogar freigesprochen, weil ich den Zeugen nicht geglaubt habe“, sagt Frimmel.
Lange mit sich und dem Urteil gehadert, habe er anschließend nicht. Auch das gehöre zur Aufgabe eines Schöffen eben dazu: Urteile akzeptieren, Dinge nicht zu nah an sich heranlassen und wieder „ein ganz normaler Mensch sein, wenn ich das Gerichtsgebäude verlasse“.
Der neue Kindergarten in der Mozartstraße in Illertissen soll aus achteckigen Gebäuden bestehen: Das hat vor Kurzem der Stadtrat beschlossen Ob er sich damit einen Gefallen getan hat, muss sich zeigen: An der spektakulären Architektur scheiden sich die Geister. Der Raum sei möglicherweise nicht so gut nutzbar, wie bei einem herkömmlichen Gebäude, heißt es. Ob das so ist, blieb am Ende der Debatte offen. Die Verantwortlichen sollten das noch herausfinden, und zwar bevor die Planungen konkret werden – auch wenn das Thema dann noch einmal beraten werden muss. Freilich könnte man unken: „Die lassen so oft abstimmen, bis ihnen das Ergebnis gefällt.“Zu Recht, denn demokratisch ist das nicht.
Allerdings bedeutet Demokratie auch das Ringen um die beste Lösung für die Allgemeinheit. Und ob die mit dem (denkbar knappen) Votum für den Baukötrper aus Achtecken gefunden wurde, ist unklar. Man sollte sich sicher sein, dass die Kinder in dem Gebäude bestmöglich betreut werden können: Da muss alles passen, Abstriche wegen der Architektur sind nicht hinzunehmen. Zu wichtig ist das Wohl des Nachwuchses, gerade die Kleinsten sind sensibel.
Damit das klar ist: Ob die Betreuungsqualität durch die Bauweise eingeschränkt sein könnte, ist offen. Aber das sollte geprüft werden. Nichts gegen die achteckige Architektur: Sie ist ansehnlich, und zumindest die älteren Kinder hätten sicher ihren Spaß an dem Gebäude. Die Form sollte sich jedoch den Erfordernissen anpassen und nicht umgekehrt.
Zudem müssten sich die Stadträte sicher sein, dass sie bereit sind, möglicherweise mehr Geld für die außergewöhnliche Bauweise auszugeben. Schon die Betreuung in „normalen“Gebäuden ist ein großer Kostenfaktor: Und der wird zunehmen, solange Illertissen weiter wächst. Das alles spricht dafür, sich die Vor- und Nachteile des Achteck-Gebäudes noch einmal anzuschauen. Und den bisherigen Beschluss zu hinterfragen.
„Es geht nicht darum, Menschen kaputtzumachen.“
Christian Frimmel