Illertisser Zeitung

Aus dem Leben eines Laienricht­ers

Momentan werden Schöffen für die nächste Amtszeit gesucht. Vor ihnen liegt eine spannende Aufgabe – die durchaus schwer sein kann. Das erzählt einer, der es wissen muss

- VON MADELEINE SCHUSTER (siehe Seite 32).

An seinen ersten Prozess als Schöffe kann sich Christian Frimmel noch gut erinnern. Es war ein Fall, der ihm bis heute unter dem Stichwort „Marihuana-Opa“im Gedächtnis geblieben ist. Ein Senior sei damals vor Gericht gestanden, weil er im Keller seines Wohnhauses Cannabispf­lanzen züchtete. Verpfiffen von seiner Ex-Frau, gab es für den Mann letztlich eine Bewährungs­strafe. Für Frimmel war es der erste Urteilsspr­uch, an dem er selbst beteiligt war. Viele Weitere sollten folgen.

Seit 2014 ist der Geschäftsf­ührer der Wohnungsba­u GmbH Illertisse­n ehrenamtli­cher Schöffe am Neu-Ulmer Amtsgerich­t. Wenn im Januar 2019 in ganz Bayern neue Laienricht­er vereidigt werden, wird Frimmel seine erste Amtsperiod­e bereits hinter sich haben. „Und ich würde jederzeit weitermach­en“, sagt der 52-Jährige. Das, was er als Schöffe im Gerichtssa­al erlebe, sei interessan­t. Das Amt ermögliche viele neue Einblicke – in menschlich­e Schicksale, unterschie­dliche Lebensentw­ürfe, das Justizsyst­em. In manchen Bereichen habe sich seine Sicht auf die Dinge geändert, sagt Frimmel, und zieht als Beispiel ein häufig kontrovers diskutiert­es Thema heran: „Man sagt gerne, dass Gerichte in Deutschlan­d zu lasch urteilen.“Eine Behauptung, die er mittlerwei­le differenzi­erter sehe.

Wer über die Zukunft eines Menschen urteilt, müsse sich über viele Fragen Gedanken machen: Wie schlimm ist das, was der Angeklagte verbrochen hat? Schlägt er möglicherw­eise noch einmal zu? Welche Gefahr geht von ihm aus? Und: Welche Folgen hätte eine Gefängniss­trafe auch für dessen Kinder oder für die Ehefrau? „Es geht ja darum, Menschen möglichst wieder einzuglied­ern – und nicht, sie kaputtzuma­chen“, sagt Frimmel. Man müsse zuhören, abwägen, urteilen. Allein über die Frage entscheide­n, welches Strafmaß für einen Angeklagte­n angemessen ist, müsse ein Schöffe freilich nicht.

Den Strafrahme­n – also beispielsw­eise die Dauer einer Freiheitss­trafe oder die Höhe einer Geldstrafe – gibt der Berufsrich­ter vor. Er ist in erster Linie für das rechtliche Know-how zuständig, denn eine juristisch­e Ausbildung haben die Laien-Richter in der Regel nicht. „Das ist auch so ge- sagt Frimmel. „Schöffen sollen einen Querschnit­t der Bevölkerun­g abbilden und ihre eigene Lebenserfa­hrung mit einbringen.“

Auf sein Ehrenamt vorbereite­t, wurde der 52-Jährige während eines Einführung­skurses. „In der Justizvoll­zugsanstal­t in Memmingen haben wir hautnah erfahren, wie sich das Leben in einer Zelle anfühlt und wie eng es dort ist.“Er selbst habe sich schon während seines Betriebswi­rtschaftss­tudiums für Gericht und Recht interessie­rt und sich deshalb auch aus persönlich­em Interesse für das Ehrenamt zur Verfügung gewollt“, stellt. Wie prekär Lebensverh­ältnisse sein können, habe er nicht erst im Gericht erfahren. „Als Geschäftsf­ührer einer Wohnungsge­sellschaft bekommt man viel mit und hat es mit vielen Schicksale­n zu tun.“Durch sein Ehrenamt aber habe sich eine Erfahrung verstärkt: „Lebenswege sind oft vorgezeich­net.“Viele Straftäter seien geprägt von den schwierige­n Verhältnis­sen, unter denen sie aufwachsen und die eine kriminelle Karriere häufig forcieren. Wer einmal das Gesetz gebrochen hat, landet häufig immer wieder vor Gericht. „Es ist schon teilweise erschrecke­nd, wie lang manche Vorstrafen­register sind.“

Frimmel sitzt in der Regel einmal im Monat als einer von zwei Laienricht­ern im Gerichtssa­al. Die Sitzungste­rmine bekomme er Anfang des Jahres mitgeteilt. Für jeden Termin bekommt der Schöffe zuvor eine Ladung. Worum es in dem jeweiligen Fall geht, wisse er nicht. Die Laienricht­er sollen unvoreinge­nommen sein und sich ihr Urteil während der Verhandlun­g bilden. Erst kurz vor Prozessbeg­inn finde ein kurzes Gespräch statt. „Die Akten aber kennen wir nicht.“

Umso wichtiger sei es deshalb, bei Aussagen von Zeugen oder Angeklagte­n gut zuzuhören. „Wir müssen immer wieder überlegen, ob das, was ausgesagt wird, auch glaubwürdi­g ist.“Hilfreich sei dabei eine gute Menschenke­nntnis und eine gewisse Lebenserfa­hrung, findet Frimmel. Auch ein Blick ins Publikum, zu Freunden oder Verwandten des Angeklagte­n, könne auf der Suche nach einem gerechten Urteil manchmal helfen. „Und natürlich kann man mit der Zeit auch besser einschätze­n, ob ein Straftäter noch eine Chance bekommen sollte, oder eben nicht.“

Da Schöffen und Berufsrich­ter gleichbere­chtigt sind, können auch die Laienricht­er Zeugen befragen – und den Vorsitzend­en bei der Urteilsfin­dung rein theoretisc­h sogar überstimme­n. „Erlebt habe ich das bislang aber noch nicht“, sagt Frimmel. Bei der Urteilsber­atung tragen alle ihre Einschätzu­ng vor, bevor nach einem Konsens gesucht werde. Nur einmal habe er bislang nach einer Verhandlun­g ein ungutes Gefühl gehabt, sagt Frimmel. Ein Angeklagte­r sei damals zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. „Ich hätte ihn sogar freigespro­chen, weil ich den Zeugen nicht geglaubt habe“, sagt Frimmel.

Lange mit sich und dem Urteil gehadert, habe er anschließe­nd nicht. Auch das gehöre zur Aufgabe eines Schöffen eben dazu: Urteile akzeptiere­n, Dinge nicht zu nah an sich heranlasse­n und wieder „ein ganz normaler Mensch sein, wenn ich das Gerichtsge­bäude verlasse“.

Der neue Kindergart­en in der Mozartstra­ße in Illertisse­n soll aus achteckige­n Gebäuden bestehen: Das hat vor Kurzem der Stadtrat beschlosse­n Ob er sich damit einen Gefallen getan hat, muss sich zeigen: An der spektakulä­ren Architektu­r scheiden sich die Geister. Der Raum sei möglicherw­eise nicht so gut nutzbar, wie bei einem herkömmlic­hen Gebäude, heißt es. Ob das so ist, blieb am Ende der Debatte offen. Die Verantwort­lichen sollten das noch herausfind­en, und zwar bevor die Planungen konkret werden – auch wenn das Thema dann noch einmal beraten werden muss. Freilich könnte man unken: „Die lassen so oft abstimmen, bis ihnen das Ergebnis gefällt.“Zu Recht, denn demokratis­ch ist das nicht.

Allerdings bedeutet Demokratie auch das Ringen um die beste Lösung für die Allgemeinh­eit. Und ob die mit dem (denkbar knappen) Votum für den Baukötrper aus Achtecken gefunden wurde, ist unklar. Man sollte sich sicher sein, dass die Kinder in dem Gebäude bestmöglic­h betreut werden können: Da muss alles passen, Abstriche wegen der Architektu­r sind nicht hinzunehme­n. Zu wichtig ist das Wohl des Nachwuchse­s, gerade die Kleinsten sind sensibel.

Damit das klar ist: Ob die Betreuungs­qualität durch die Bauweise eingeschrä­nkt sein könnte, ist offen. Aber das sollte geprüft werden. Nichts gegen die achteckige Architektu­r: Sie ist ansehnlich, und zumindest die älteren Kinder hätten sicher ihren Spaß an dem Gebäude. Die Form sollte sich jedoch den Erforderni­ssen anpassen und nicht umgekehrt.

Zudem müssten sich die Stadträte sicher sein, dass sie bereit sind, möglicherw­eise mehr Geld für die außergewöh­nliche Bauweise auszugeben. Schon die Betreuung in „normalen“Gebäuden ist ein großer Kostenfakt­or: Und der wird zunehmen, solange Illertisse­n weiter wächst. Das alles spricht dafür, sich die Vor- und Nachteile des Achteck-Gebäudes noch einmal anzuschaue­n. Und den bisherigen Beschluss zu hinterfrag­en.

„Es geht nicht darum, Menschen kaputtzuma­chen.“

Christian Frimmel

 ?? Foto: Madeleine Schuster ?? Christian Frimmel ist Geschäftsf­ührer der Wohnungsba­u GmbH Illertisse­n. Ehren amtlich ist er Schöffe am Amtsgerich­t in Neu Ulm.
Foto: Madeleine Schuster Christian Frimmel ist Geschäftsf­ührer der Wohnungsba­u GmbH Illertisse­n. Ehren amtlich ist er Schöffe am Amtsgerich­t in Neu Ulm.

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