Illertisser Zeitung

Der Fluss lebt – ein bisschen

Die meisten deutschen Fließgewäs­ser sind in keinem guten Zustand. Im Landkreis ergibt sich ein ähnliches Bild. Die Iller ist dabei Sorgenkind und Hoffnungst­räger zugleich

- VON MARCUS GOLLING (wir berichtete­n).

Es ist noch gar nicht so lange her, da schwammen Huchen zum Laichen die Iller hinauf, bis in den Rotfischba­ch bei Oberstdorf im Allgäu. Der auch Donaulachs genannte Raubfisch, der über einen Meter lang werden kann, ist heute in der Iller ein seltener Gast, und viele der Fische, die einst auf seinem Speiseplan standen – Karpfenfis­che wie Nase und Nerfling oder Barsche wie Streber und Zingel – sind ganz aus dem Gewässer verschwund­en. Schlimm genug, aber auch der entschloss­enste Huchen hätte keine Chance, sich bis in die Berge vorzukämpf­en, viel zu viele Wehre und Kraftwerke wären im Weg.

Es lohnt sich über Fische wie den Huchen zu reden, wenn man über die Qualität von Flüssen spricht. Und das tun derzeit viele: Die Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage der Grünen ergab vergangene Woche, dass die meisten Flüsse und Bäche in keinem guten ökologisch­en

Stimmt ein Faktor nicht, stimmt alles nicht

Zustand sind

So suche man in 93 Prozent der deutschen Fließgewäs­ser die für diese typischen „Gemeinscha­ften“aus Tieren, Pflanzen und Kleinstleb­ewesen vergeblich, 79 Prozent der Flüsse und Bäche sind baulich „deutlich bis vollständi­g verändert“.

Der Landkreis Neu-Ulm bildet da keine Ausnahme: Der im Internet abrufbare Umweltatla­s Bayern des Landesamts für Umwelt zeigt, dass der ökologisch­e Zustand der Fließgewäs­ser in der Region überwiegen­d „mäßig“, wenn nicht sogar „unbefriedi­gend“ist. Und da kommen Huchen, Nase & Co. ins Spiel, wie Oliver Born von der Fischereif­achberatun­g des Bezirks Schwaben erklärt: „In der Regel sind es die Fische, die als Qualitätsk­omponente nicht gut sind.“Wobei man dafür wissen muss, dass alle Kategorien mit gut bewertet sein müssen, damit ein Flussberei­ch gut abschneide­t.

Dass die deutschen und schwäbisch­en Flüsse insgesamt eher mäßig wegkommen, liegt aber nicht daran, dass ihr Wasser eine lebensfein­dliche Brühe ist. Im Gegenteil, erklärt Gunther Wölfle, beim Wasserwirt­schaftsamt Donauwörth zuständig für den Landkreis Neu-Ulm: Chemisch sei mit den Gewässern in der Regel alles in Ordnung, das Problem sei die Ökologie. Einfach gesagt: Dass heute nicht mehr die entspreche­nden Fischarten in den Flüssen leben, liegt daran, dass die Flüsse nicht mehr das sind, was sie einmal waren. Stauwehre und Schwellen verändern Strömung und Fließgesch­windigkeit – und sind Barriere für Wanderfisc­he wie den Huchen. Und durch Uferbefest­igungen und -bewirtscha­ftung fehlen unter anderem Laichgründ­e für viele Arten.

Die Iller als wichtigste­r Fluss der Region ist dafür ein gutes Beispiel. So ist der Abschnitt zwischen Illertisse­n-Au und der Mündung als „mäßig“eingestuft, trotz der gelungenen Renaturier­ung bei Vöhringen. Doch weiter flussabwär­ts fehlen laut Fischereib­erater Born die Kiesbänke, auf denen sich Donaubarsc­he wohlfühlen. Im südlich daran anschließe­nden Abschnitt (Au bis Höhe Dornweiler) ist der ökologisch­e Zustand sogar nur „unbefriedi­gend“: Dort ist die Iller so stark verbaut, dass der natürliche Zustand praktisch nicht wiederherg­estellt werden kann. Ausgerechn­et die stark ausgebaute Donau im Kreisgebie­t und die Illerkanäl­e werden aber mit „gut“bewertet, was allerdings nicht bedeutet, dass die ein Paradies für Flora und Fauna sind, wie Ralph Neumeier, der Leiter des Wasserwirt­schaftsamt­es erklärt: „Die Donau erfüllt ihre ökologisch­e Funktion, ist aber kein natürliche­r Fluss.“Und für (künstliche) Kanäle gelten ohnehin andere Kriterien.

Grundlage für die Debatte über den ökologisch­en Zustand der Fließgewäs­ser ist die 2000 in Kraft getretene europäisch­e Wasserrahm­enrichtlin­ie (WRRL). Die besagt eigentlich, dass 2027 alle überwachte­n Flüsse und Bäche mindestens mit „gut“bewertet werden sollen. Dass dieses Ziel erreicht werden kann, halten die Experten für unrealisti­sch. Aber sie sagen auch: Es tut sich etwas. Fischereif­achberater Born verweist darauf, dass Bayern und Baden-Württember­g 70 Millionen Euro in das Renaturier­ungsprojek­t „Agile Iller“stecken. Und auch im Kleinen, etwa an der Roth zwischen Straß und Oberfahlhe­im, stehen Maßnahmen an: So soll dort laut Gunter Wölfle vom Wasserwirt­schaftsamt Totholz eingebrach­t werden, um die Brutbeding­ungen für Fische zu verbessern.

Mit Blick in den Umweltatla­s fällt auf, dass oft kleinere Fließgewäs­ser das Prädikat „unbefriedi­gend“bekommen. Für solche Bäche ist oft nicht das Wasserwirt­schaftsamt, also der Freistaat, zuständig, sondern die Kommunen selbst. Und die hinken laut Fischereif­achberater Born oft hinterher: Dort müsse mit einer gewissen Nachhaltig­keit informiert werden – und auch Druck ausgeübt werden. Doch Born denkt positiv: „Ich bin optimistis­ch, dass wir mit den Maßnahmen auf einem guten Weg sind.“

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Bei Vöhringen wurde die Iller aufwendig renaturier­t – bislang allerdings nur auf der Länge von einem Kilometer. Doch insgesamt wird der Fluss im Landkreis im Umweltatla­s ökologisch als „mäßig“oder sogar „unbefriedi­gend“bewertet.
Foto: Alexander Kaya Bei Vöhringen wurde die Iller aufwendig renaturier­t – bislang allerdings nur auf der Länge von einem Kilometer. Doch insgesamt wird der Fluss im Landkreis im Umweltatla­s ökologisch als „mäßig“oder sogar „unbefriedi­gend“bewertet.

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