Der Fluss lebt – ein bisschen
Die meisten deutschen Fließgewässer sind in keinem guten Zustand. Im Landkreis ergibt sich ein ähnliches Bild. Die Iller ist dabei Sorgenkind und Hoffnungsträger zugleich
Es ist noch gar nicht so lange her, da schwammen Huchen zum Laichen die Iller hinauf, bis in den Rotfischbach bei Oberstdorf im Allgäu. Der auch Donaulachs genannte Raubfisch, der über einen Meter lang werden kann, ist heute in der Iller ein seltener Gast, und viele der Fische, die einst auf seinem Speiseplan standen – Karpfenfische wie Nase und Nerfling oder Barsche wie Streber und Zingel – sind ganz aus dem Gewässer verschwunden. Schlimm genug, aber auch der entschlossenste Huchen hätte keine Chance, sich bis in die Berge vorzukämpfen, viel zu viele Wehre und Kraftwerke wären im Weg.
Es lohnt sich über Fische wie den Huchen zu reden, wenn man über die Qualität von Flüssen spricht. Und das tun derzeit viele: Die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen ergab vergangene Woche, dass die meisten Flüsse und Bäche in keinem guten ökologischen
Stimmt ein Faktor nicht, stimmt alles nicht
Zustand sind
So suche man in 93 Prozent der deutschen Fließgewässer die für diese typischen „Gemeinschaften“aus Tieren, Pflanzen und Kleinstlebewesen vergeblich, 79 Prozent der Flüsse und Bäche sind baulich „deutlich bis vollständig verändert“.
Der Landkreis Neu-Ulm bildet da keine Ausnahme: Der im Internet abrufbare Umweltatlas Bayern des Landesamts für Umwelt zeigt, dass der ökologische Zustand der Fließgewässer in der Region überwiegend „mäßig“, wenn nicht sogar „unbefriedigend“ist. Und da kommen Huchen, Nase & Co. ins Spiel, wie Oliver Born von der Fischereifachberatung des Bezirks Schwaben erklärt: „In der Regel sind es die Fische, die als Qualitätskomponente nicht gut sind.“Wobei man dafür wissen muss, dass alle Kategorien mit gut bewertet sein müssen, damit ein Flussbereich gut abschneidet.
Dass die deutschen und schwäbischen Flüsse insgesamt eher mäßig wegkommen, liegt aber nicht daran, dass ihr Wasser eine lebensfeindliche Brühe ist. Im Gegenteil, erklärt Gunther Wölfle, beim Wasserwirtschaftsamt Donauwörth zuständig für den Landkreis Neu-Ulm: Chemisch sei mit den Gewässern in der Regel alles in Ordnung, das Problem sei die Ökologie. Einfach gesagt: Dass heute nicht mehr die entsprechenden Fischarten in den Flüssen leben, liegt daran, dass die Flüsse nicht mehr das sind, was sie einmal waren. Stauwehre und Schwellen verändern Strömung und Fließgeschwindigkeit – und sind Barriere für Wanderfische wie den Huchen. Und durch Uferbefestigungen und -bewirtschaftung fehlen unter anderem Laichgründe für viele Arten.
Die Iller als wichtigster Fluss der Region ist dafür ein gutes Beispiel. So ist der Abschnitt zwischen Illertissen-Au und der Mündung als „mäßig“eingestuft, trotz der gelungenen Renaturierung bei Vöhringen. Doch weiter flussabwärts fehlen laut Fischereiberater Born die Kiesbänke, auf denen sich Donaubarsche wohlfühlen. Im südlich daran anschließenden Abschnitt (Au bis Höhe Dornweiler) ist der ökologische Zustand sogar nur „unbefriedigend“: Dort ist die Iller so stark verbaut, dass der natürliche Zustand praktisch nicht wiederhergestellt werden kann. Ausgerechnet die stark ausgebaute Donau im Kreisgebiet und die Illerkanäle werden aber mit „gut“bewertet, was allerdings nicht bedeutet, dass die ein Paradies für Flora und Fauna sind, wie Ralph Neumeier, der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes erklärt: „Die Donau erfüllt ihre ökologische Funktion, ist aber kein natürlicher Fluss.“Und für (künstliche) Kanäle gelten ohnehin andere Kriterien.
Grundlage für die Debatte über den ökologischen Zustand der Fließgewässer ist die 2000 in Kraft getretene europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Die besagt eigentlich, dass 2027 alle überwachten Flüsse und Bäche mindestens mit „gut“bewertet werden sollen. Dass dieses Ziel erreicht werden kann, halten die Experten für unrealistisch. Aber sie sagen auch: Es tut sich etwas. Fischereifachberater Born verweist darauf, dass Bayern und Baden-Württemberg 70 Millionen Euro in das Renaturierungsprojekt „Agile Iller“stecken. Und auch im Kleinen, etwa an der Roth zwischen Straß und Oberfahlheim, stehen Maßnahmen an: So soll dort laut Gunter Wölfle vom Wasserwirtschaftsamt Totholz eingebracht werden, um die Brutbedingungen für Fische zu verbessern.
Mit Blick in den Umweltatlas fällt auf, dass oft kleinere Fließgewässer das Prädikat „unbefriedigend“bekommen. Für solche Bäche ist oft nicht das Wasserwirtschaftsamt, also der Freistaat, zuständig, sondern die Kommunen selbst. Und die hinken laut Fischereifachberater Born oft hinterher: Dort müsse mit einer gewissen Nachhaltigkeit informiert werden – und auch Druck ausgeübt werden. Doch Born denkt positiv: „Ich bin optimistisch, dass wir mit den Maßnahmen auf einem guten Weg sind.“