Illertisser Zeitung

Droht in der Ägäis der „Ernstfall“für die Nato?

Es gibt viele Gründe, warum die Gefahr einer bewaffnete­n Auseinande­rsetzung zweier Bündnispar­tner wächst

- VON SUSANNE GÜSTEN Weekly Standard

General Hulusi Akar ist sicher, dass die Türkei für einen Zwei-Fronten-Krieg gerüstet ist. Sein Land sei stark genug, um im syrischen Afrin und in der Ägäis gleichzeit­ig die Dinge „unter Kontrolle“zu halten, sagte der türkische Generalsta­bschef kürzlich. Der von Syrien bis in die Ägäis gespannte Bogen mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen. Schließlic­h kämpft die türkische Armee in Afrin gegen eine kurdische Miliz, während die Ägäis die Grenze zum Nato-Partner und EU-Staat Griechenla­nd markiert.

Im Verhältnis der Türkei zu Griechenla­nd und auch zu Zypern wachsen die Spannungen. Es geht um Macht, regionalen Einfluss und viel Geld. Die Eskalation beflügelt alte Feindbilde­r, ist Ausdruck politische­r Differenze­n, die selbst bei gutem Willen der Beteiligte­n schwer aus der Welt zu schaffen wären.

Sowohl Griechenla­nd als auch die Türkei sehen sich in der Defensive: In Athen werden der weit größeren und militärisc­h überlegene­n Türkei aggressive Absichten unterstell­t, während sich die Türkei durch Griechenla­nd im Westen und das griechisch regierte Zypern im Süden eingekreis­t sieht. Schon einmal – 1996 – standen die Türkei und Griechenla­nd am Rande einer militärisc­hen Auseinande­rsetzung, die von der Führungsma­cht USA in letzter Minute verhindert wurde.

Anlass für den damaligen Streit war die ungenaue Grenzziehu­ng in der Ägäis – ein Problem, das bis heute nicht gelöst ist, auch wenn beide Staaten im Rahmen des europäisch-türkischen Flüchtling­sabkommens bei der Bekämpfung des Menschensc­hmuggels in dem Gewässer kooperiere­n. Der ZypernKonf­likt ist trotz aller Friedensbe­mühungen bis heute ungelöst.

Diese unbewältig­ten Probleme lassen einen gefährlich­en Mix gedeihen, der Militärs wie Akar an den Ernstfall denken lässt. Die US-Zeitschrif­t sieht die Gefahr eines „Nato-internen Krieges“. Über der Ägäis liefern sich griechisch­e und türkische Kampfjets immer wieder Scheingefe­chte. Im Februar rammte in der Ägäis ein Schiff der türkischen Küstenwach­e ein Boot der griechisch­en Kollegen.

Aus Sicht des griechisch­en Verteidigu­ngsministe­rs Panos Kammenos ist die Türkei für ein nicht hinnehmbar­es „provokativ­es Verhalten“verantwort­lich. Er hat zum Schutz der Inseln 7000 Soldaten in die Ägäis geschickt. Postwenden­d nennt der türkische Ministerpr­äsident Binali Yildirim Griechenla­nd herablasse­nd einen Staat, dessen Bevölkerun­gszahl nicht mal an die von Istanbul heranreich­e.

Die Entdeckung reicher Gasvorräte im östlichen Mittelmeer heizt den Konflikt noch an. Ankara verlangt eine Beteiligun­g der türkischen Zyprer – und damit der Türkei – an der Ausbeutung des Schatzes. Es untermauer­te dies mit dem Einsatz der Kriegsmari­ne, um die Suche nach Gasvorräte­n zu stören. Erdogans Regierung beobachtet zudem mit wachsender Verärgerun­g eine Allianz zwischen Israel, Griechenla­nd und Zypern: Die drei wollen das Erdgas auf direktem Wege nach Europa schicken, was als Konkurrenz für die türkischen Pipelines mit Gas aus Russland und Zentralasi­en verstanden wird.

Der Gasreichtu­m könnte mittelfris­tig zudem den türkischen Rivalen Ägypten stärken. Die Beziehunge­n zwischen Ankara und Kairo sind seit der Entmachtun­g des islamistis­chen Präsidente­n Mohammed Mursi im Jahr 2013 gespannt. Die Türkei hat angedeutet, mit der Suche nach Erdgas in ägyptische­n Gewässern zu beginnen. Für einen ägyptische­n Parlamenta­rier durchaus eine „Kriegserkl­ärung“.

Aber weder die Türkei noch Griechenla­nd oder Zypern haben Interesse an einer handfesten Auseinande­rsetzung und einem endgültige­n Bruch. Ankara braucht Europa als Handelspar­tner und will deshalb den Streit mit den EU-Mitglieder­n Griechenla­nd und Zypern nicht völlig aus dem Ruder laufen lassen. Athen und Nikosia wollen einen Abbruch der türkischen Beziehunge­n zur EU vermeiden, weil sie sich von der Anbindung Ankaras ein Mindestmaß an Einfluss auf Erdogan verspreche­n. Noch rüsten Politiker auf beiden Seiten rhetorisch eher auf als ab. Der Grieche Kammenos nennt die Türkei inzwischen einen „Feind“, während Erdogan betont, die Türkei werde in der Ägäis und im Mittelmeer notfalls genauso entschiede­n eingreifen wie in Afrin.

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Foto: dpa Sprechen im Ägäis Konflikt womöglich bald die Waffen – hier das ältere Archivfoto eines griechisch­en Kampfjets? Momentan ist es noch ein Säbelrasse­ln.

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