Illertisser Zeitung

Als Bücher nur für Buben oder Mädchen waren

Die Stadtbüche­rei St. Martin wurde vor 90 Jahren gegründet. Seither ist viel passiert

- VON REGINA LANGHANS

Wer in der Stadtbüche­rei St. Martin in Illertisse­n bei der Suche nach Lesestoff beraten werden will, den verweist Büchereile­iterin Karin Steck auch mal an einen versierten Kollegen von insgesamt 23 ehrenamtli­chen Mitarbeite­rn. Sie selbst kennt sich besonders in der Krimi- und Jugendlite­ratur aus. Vor 90 Jahren, als die Bibliothek gegründet wurde, habe die Beratung etwas anders ausgesehen, hat sich die hauptamtli­che Leiterin erzählen lassen: „Es gab Literatur für Buben und solche, die nur für Mädchen geeignet erschien.“

Kommenden Sonntag nach dem Gottesdien­st um 10.30 Uhr sollen die neun Jahrzehnte beim Stehempfan­g mit Gästen und Diplombibl­iothekar Peter Hart gefeiert werden.

Aus Erzählunge­n weiß Karin Steck, dass zu Zeiten von Pfarrhaush­älterin Binosa Bader Karl-MayBücher beispielsw­eise für Mädchen nicht passend erschienen. Und begehrte Neuerschei­nungen oder Romane mit pikanten Passagen seien schon mal unter der Hand verliehen worden. Doch das Bewusstsei­n für einen Bildungsau­ftrag war früh vorhanden, denn Benefiziat Fülle gründete am 15. April 1928 den „Katholisch­en Pressverei­n“. Ihm stand ein ungeheizte­r Raum in der Mädchensch­ule zur Verfügung. Rund 100 Mitglieder leisteten einen Beitrag von je zwei Mark und es wurden 180 Bücher angeschaff­t. Als Bibliothek­arinnen standen „Fräulein Rosa Heichele“und „Fräulein Magdalena Bischofber­ger“ehrenamtli­ch zur Verfügung. Im ersten Jahr wurden 1232 Ausleihen verzeichne­t. Ein Jahr später war der Bestand auf 415 Bücher angewachse­n, wobei von regen Nachfrage berichtet wird. 1932 konnte das ungeheizte Zimmer gegen einen Raum im Nebengebäu­de des Hotels Hirsch am Platz der heutigen Sparkasse eingetausc­ht werden. Dann griff das nationalso­zialistisc­he Regime ein: Nur noch religiöse Bücher durften ausgeliehe­n werden. Um der Beschlagna­hmung des restlichen Bestandes zu entgehen, wurden Bücher an Mitglieder und Krankenhau­s „verschenkt“. Nach Kriegsende kamen die Leihgaben zurück und der Lesestoff war begehrt. 1954 ging es zurück in die Mädchensch­ule, 1957 wurde in den Pfarrhof umgezogen und 1961 kam die Bücherei im neuen Nordanbau der Stadtpfarr­kirche unter. Zum 30-jährigen Bestehen war in unserer Zeitung zu lesen, dass sich die Bücherei bei Ausleihzah­len und Bestand bayernweit an Stelle 25 und innerhalb der Diözese an achter Stelle befinde.

Eine neue Ära begann mit dem Umzug an den heutigen Standort im 1982 erbauten Pfarrheim: Aus der Pfarrbibli­othek wurde die Stadtbüche­rei St. Martin mit den Trägern Stadt und Pfarrei. Inzwischen verfügte sie über 6000 Medien und 400 Kassetten. Ganz neu waren Monatszeit­schriften dazugekomm­en und Spiele, die Illertisse­r Spiele-Erfinder Rainer Knizia dutzendwei­se stiftete. Das habe in den Folgejahre­n bis zu 33 000 Ausleihen jährlich bewirkt, so Karin Steck. Inzwischen hätten sich die Zahlen auf ein Niveau von etwa 25000 Ausleihen jährlich eingepende­lt.

Seit 2013 ist Karin Steck als ausgebilde­te kirchliche Bücherei-Assistenti­n angestellt. Eine Bücherei leiste heute mehr als nur die Verwaltung von Büchern, so Steck. „Sie ist ein Ort der Begegnung, Besucher sollen sich wohlfühlen.“Daher würde sie ihnen auch gerne eine Tasse Kaffee servieren, „obwohl Bücher und Essen nicht so ganz zusammenpa­ssen“, wie sie findet. Mit der St.-Martins-Bücherei finden Autorenles­ungen, Spielenach­mittage, Bilderbuch­kino und Bibliothek­sführungen für Klassen statt. Vorschulki­nder machen den sogenannte­n Büchereifü­hrerschein, danach können sie sich ihre Bücher selbst holen. Und geplant sei, an Kinder Gutscheine zu verschenke­n, die sie ein Jahr berechtige­n, jeweils bis zu fünf Medien auszuleihe­n. Zu ihren treuesten Besuchern zählt Steck Gruppen aus den Wohnheimen von Lebenshilf­e oder Dominikus-Ringeisenw­erk. Was Besucher häufig verblüffe, sei ihre Aktualität bei Neuerschei­nungen. Steck: „Oft werde ich gefragt, ob die Bücherei nicht dies oder jenes in den Bestand aufnehmen könne.“Ihre Antwort laute dann: „Das haben wir längst.“Neuerschei­nungen seien oft zwei, drei Tage später im Bestand.

Die Bücherei

 ?? Foto: Regina Langhans ?? Die „Herrin der Bücher“: Karin Steck bei der Arbeit.
Foto: Regina Langhans Die „Herrin der Bücher“: Karin Steck bei der Arbeit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany