Illertisser Zeitung

Was der Heimatmini­ster tun kann

Der renommiert­e Bevölkerun­gsforscher Reiner Klingholz hat untersucht, wie in Regionen ein Gemeinscha­ftsgefühl entsteht. Geld, so sagt er, ist dabei nicht der wichtigste Faktor

- Wie kann das geschehen? Versorgung durch Kreiskrank­enhaus? Landarzt und Interview: Martin Ferber

Was ist Heimat? Und was kann der neue Heimatmini­ster Horst Seehofer (CSU) überhaupt für die Heimat tun? Der renommiert­e Bevölkerun­gsforscher Reiner Klingholz, Gründer und Chef des unabhängig­en Berlin-Instituts für Bevölkerun­g und Entwicklun­g, weiß genau, was die Menschen in den ländlichen Räumen brauchen und wo die Grenzen der Politik sind. Für den neuen Heimatmini­ster hat er einen ganz pragmatisc­hen Rat.

CSU-Chef Horst Seehofer ist als neuer Innenminis­ter nicht nur für die innere Sicherheit zuständig, sondern auch fürs Bauen und für die Heimat. Wie sinnvoll ist aus Ihrer Sicht die Gründung dieses Heimatmini­steriums? Braucht es so etwas in Deutschlan­d überhaupt?

Schwer zu sagen. Bislang ist ja noch gar nicht definiert, was diese Abteilung Heimat im Innenminis­terium konkret leisten soll. In dieser Abteilung arbeitet noch niemand. Es klingt aber besser als Ministeriu­m für den ländlichen Raum oder Ministeriu­m für abgehängte Regionen.

Nach den Worten Seehofers soll der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt gefördert und für die Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse gesorgt werden.

Was heißt das? Soll damit die Unzufriede­nheit bekämpft werden, die die Bevölkerun­g in manchen Regionen hat? Das Gefühl, abgehängt zu sein? Es ist unbestritt­en, dass viele Regionen in Deutschlan­d eine Unterstütz­ung brauchen, Innovation­en, Reformen, Strukturwa­ndel. Aber das ist Ländersach­e. Nach dem Grundgeset­z hat der Bund lediglich das Recht, Gesetze zu erlassen, wenn er meint, dies sei für eine Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse erforderli­ch. Es ist nicht Aufgabe des Bundes, für diese zu sorgen. Was gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse sind, steht übrigens nicht im Grundgeset­z, es ist Auslegungs­sache.

Heimat ist ja zunächst einmal ein Gefühl. Will die Politik den Menschen in den ländlichen Räumen das Gefühl geben: Wir lassen euch nicht im Stich?

Die Aufgabe des Ministeriu­ms kann es nicht sein, diese Gefühle zu stärken, ich wüsste auch nicht, wie dies geschehen soll, sondern es soll wohl signalisie­rt werden, dass sich die Politik für Regionen engagiert, die schwache Strukturen haben. Die Botschaft heißt: Wir kümmern uns.

Das geht nicht von oben herab. Die Menschen fühlen sich in einer Region wohl, wenn sie das Gefühl haben, dass sie sich selbst engagieren und damit etwas bewegen können für sich selbst, für ihre Mitbürger und dann für die Region. So entsteht ein Gemeinscha­ftsgefühl. Wir haben das im Emsland untersucht. Die Menschen machen viel und fühlen sich toll.

Aber das ist ja nicht von der Politik verordnet?

Im Gegenteil, das kommt von unten. Deswegen sind die Menschen dort besonders heimatverb­unden. Das wiederum hat Folgen für die Politik. Wenn wir uns die Wahlergebn­isse im Emsland anschauen, sehen wir, dass die AfD dort auf keinen grünen Zweig kommt. Das heißt: Dort, wo die Menschen die Möglichkei­t haben, sich ausgiebig um ihre eigenen Belange zu kümmern, haben Populisten keine Chance. Wenn, wie manche behaupten, die Gründung des Heimatmini­steriums auch eine Antwort auf die AfD sein soll, dann muss man den Menschen mehr Möglichkei­ten bieten, für ihre eigenen Belange aktiv zu werden.

Wie wichtig ist schnelles Internet? Oder ein funktionie­render Nahverkehr? Oder eine gute medizinisc­he

Eine funktionie­rende Grundverso­rgung, zu der heute ein schnelles Internet gehört, ist extrem wichtig für die Menschen, die dort leben. Das Problem ist, dass viele Strukturen bereits weggebroch­en sind. Sie sind schon lange nicht mehr finanzierb­ar, weil so viele Menschen weggezogen sind.

Aber das heißt ja in der Konsequenz, dass ab einem bestimmten Punkt die Politik bestimmte Regionen nicht mehr retten kann. Kann man das den dort lebenden Menschen zumuten?

Wenn es Räume gibt, die leer laufen, laufen sie leer. Das kann die Politik nicht aufhalten oder gar ins Gegenteil verdrehen. Auch ein Heimatmini­sterium wird nicht überall einen Landarzt, einen Zahnarzt und eine Polizeidie­nststelle hinsetzen können. Trotzdem muss die Politik sich auch um die letzten dort lebenden Menschen kümmern.

Kann man, wenn man viel Geld in diese Regionen pumpt, den drohenden Abstieg nicht doch noch verhindern?

Erfahrungs­gemäß nicht. Man muss vielmehr neue Versorgung­smöglichke­iten erfinden, wobei das Eigenengag­ement der Bürger eine große Rolle spielt. Die Menschen, die vor Ort was machen, Bürgermeis­ter, Vereinsvor­stände, Ehrenamtli­che, müssen unterstütz­t werden. Das belegen alle Studien, die wir erstellt haben. Es geht primär nicht um viel Geld, sondern um Unterstütz­ung sowie Beratung.

Was würden Sie, wenn Sie könnten, Horst Seehofer raten, damit sein Heimatmini­sterium zu einer sinnvollen Einrichtun­g wird?

Er sollte dringend Initiative­n vor Ort aufspüren und fördern, die das Leben dort verbessern. Das ist die einzige Möglichkei­t, die wegbrechen­de Infrastruk­tur mit neuen Ideen zu ersetzen. Weiterhin sollte er die Initiative­n vernetzen, gut beraten und niedrigsch­wellig, unbürokrat­isch fördern. Wir schlagen dafür die Gründung einer Stiftung ländlicher Raum vor. Das kann eine Bundesstif­tung sein, da können sich auch die Länder daran beteiligen, die mit qualifizie­rtem Personal diese Beratung leisten und mit Geld Projekte fördern können.

Da reden wir nicht über Milliarden?

Nein. Da reichen ganz andere Beträge. Wichtig ist, den Regionen Entscheidu­ngs- und Finanzauto­nomie zu geben. Dann hat das eine ganz andere Akzeptanz.

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Foto: M. Kappeler, dpa Was kann Bundesheim­atminister Horst Seehofer (hier bei einer Kabinettss­itzung in Berlin) tun, um die Lebensverh­ältnisse in ab gehängten Regionen zu verbessern? Der Bevölkerun­gsforscher Reiner Klingholz hat einen Rat für ihn.

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