Illertisser Zeitung

Zerbröselt Kretschman­ns Regierung?

Grüne und CDU provoziere­n sich gegenseiti­g. Die FDP träumt von einer „Deutschlan­dkoalition“

- VON PETER REINHARD

Hans-Ulrich Rülke wähnte sich seinem Ziel ganz nah. „Meine Mannschaft steht zwölf zu null“, funkte der FDP-Landtagsfr­aktionsche­f eilig an das Mobiltelef­on seines SPD-Kollegen Andreas Stoch. Während die Regierungs­fraktionen Grüne und CDU am vergangene­n Mittwoch im Landtag Wege aus ihrer internen Krise suchten, hatte Rülke die 20-minütige Sitzungspa­use in seiner FDP-Fraktion für eine Probeabsti­mmung über eine „Deutschlan­dkoalition“(bestehend aus CDU, SPD und FDP) in BadenWürtt­emberg genutzt.

Unverhofft bietet sich dem Liberalen an jenem Tag die Chance, sein schwarz-rot-gelbes Wunschbünd­nis demonstrat­iv ins Gespräch zu bringen. Grund dafür bot ihm ein Zwist im Regierungs­lager: Da hatten die Grünen bei der Wahl einer neuen Landtagsvi­zepräsiden­tin die CDUFrau Sabine Kurtz im ersten Wahlgang durchfalle­n lassen. Erst nachdem Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne) seine Abgeordnet­enmannscha­ft auf Linie gebracht hatte, reichte es für Kurtz – aber geschlosse­n stimmt GrünSchwar­z auch da nicht ab. Die Misstöne bei der Kurtz-Wahl sind offenkundi­g ein Revanchefo­ul. Am Tag davor hatten nämlich Grüne und CDU die im Koalitions­vertrag vereinbart­e Reform des Landtagswa­hlrechts beerdigt, nachdem sich die CDU-Abgeordnet­en geschlosse­n verweigert hatten. Die nun gescheiter­te Einführung einer Parteilist­e, um mehr Frauen ins Parlament zu bringen, war jedoch ein grünes Herzensanl­iegen gewesen. Kretschman­n warnte nach dem Abgesang denn auch den Partner: „So was kann man sich nur einmal erlauben.“

Das Verhalten der Grünen bei der Wahl der Vizepräsid­entin mahnte CDU-Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart tags darauf fast mit den gleichen Worten ab: „Das darf sich auch nicht wiederhole­n.“Gerade im Parlament müsse die Mehrheit stehen, legte der Fraktionss­precher nach. In der öffentlich­en Wahrnehmun­g steht es nach dem Verstoß der CDU gegen den Koalitions­vertrag und dem übereilten Revanchefo­ul der Grünen gegen Kurtz 1:1.

Damit könnte die Koalition zur Tagesordnu­ng übergehen. Dass sie das nicht schafft, ist nur zum Teil das Verdienst Rülkes mit seinem Gerede über die „Deutschlan­dkoalition“. SPD-Mann Stoch verkneift sich die Probeabsti­mmung am Mittwoch lieber und begnügt sich mit verbalen Zündeleien: „Diese Regierung ist am Ende.“SPD-Landeschef­in Leni Breymaier tut Schwarz-RotGelb als Schnapside­e ab. Dass die Sticheleie­n der Opposition trotzdem verfangen, hat mit dem Zustand der grünschwar­zen Regierung zu tun. Nur wenige Stunden nach der Kurtz-Wahl bescheren die Grünen-Vertreter der CDU bei einer nachrangig­en Abstimmung über die Oberstufen von Gemeinscha­ftsschulen eine Schlappe, weil sie sich enthalten. „Das war das dritte dicke Ding“, heißt es in der CDU.

Bei den Grünen wächst der Widerstand gegen Kretschman­ns konservati­ven Schmusekur­s. Es war vor allem der auf dem linken Flügel spielende Landesvors­itzende Oliver Hildenbran­d, der Sabine Kurtz wegen ihrer echten oder vermeintli­chen Position gegenüber Homosexuel­len als nicht wählbar erklärt hatte. Dass er, weil ohne Mandat, gar nicht abstimmen durfte, hat die Schwarzen extra geärgert. Der Fraktionss­precher fordert Verlässlic­hkeit und Vertrauen: „Dazu gehört auch, dass die Parteiführ­ung der Grünen ihre ständigen Attacken einstellt.“

Jedenfalls glühten am Freitag die Telefone zwischen Grünen und CDU, aber auch zwischen zwei CDU-Lagern. Nach stundenlan­gem Hin und Her einigten sich die Vorleute, ihre Koalition nicht erneut öffentlich zu belasten. Jedem ist klar, dass ein Partnerwec­hsel der CDU weg von den Grünen und ihrem auch im konservati­ven Lager angesehene­n Ministerpr­äsidenten hin zu SPD und FDP keine realistisc­he Perspektiv­e ist. Denn ein solches Bündnis hätte im Landtag nur eine hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen. Zudem ist nur schwer vorstellba­r, dass Parteitage von CDU und SPD einen Koalitions­vertrag durchwinke­n würden. Und bei Neuwahlen müssten beide Parteien mit Verlusten rechnen.

Die ungeklärte­n Machtverhä­ltnisse in der CDU bilden den Nährboden der Koalitions­spekulatio­nen. Als Urheber gilt eine Gruppe von Abgeordnet­en um Justizmini­ster Guido Wolf, der gleich nach der Landtagswa­hl für eine Deutschlan­dkoalition votierte und sich damals bei SPD und FDP eine klare Absage einhandelt­e. Dazu kommt die Spekulatio­n, dass Reinhart und eine kleine Truppe Strobl auf dem Weg zur Spitzenkan­didatur bei der Landtagswa­hl 2021 stoppen wollen. Als CDU-Landeschef hat er aber bei dieser Frage das erste Wort. Viele Christdemo­kraten trauen Strobl jedoch keinen Erfolg gegen einen – wahrschein­lich – erneut kandidiere­nden Kretschman­n zu. Ihr Kalkül: Mit einem Bruch der grünschwar­zen Koalition wäre die Ära Kretschman­n vorzeitig zu Ende.

Strobl hat gemerkt, dass er kämpfen muss, wenn er seine Position behaupten will. Allenfalls ein Viertel der 43 CDU-Abgeordnet­en würde einen Koalitions­bruch mittragen, heißt es aus seinem Lager. Noch klarer seien die Mehrheitsv­erhältniss­e an der CDU-Basis. Für den wachsenden Flurschade­n sei doch die Fraktion verantwort­lich, die sich seit Jahresanfa­ng nur noch mit sich selbst beschäftig­en würde.

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W. Kretschman­n

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