Ein Verein, der Menschen Türen öffnet
Engagierte Augsburger des Vereins „Tür an Tür“helfen seit über 25 Jahren Menschen mit ausländischen Wurzeln im Alltag, bei der Integration und bei der Wohnungssuche
Das Thema Wohnen treibt die Bürger um: Bezahlbarer Wohnraum fehlt, Menschen mit einem geringen Einkommen, Studenten, Senioren, Alleinerziehende und auch Flüchtlinge tun sich schwer, eine passende und bezahlbare Bleibe zu finden. Für Matthias SchopfEmrich und Thomas KörnerWilsdorf vom Augsburger Verein „Tür an Tür“ist das Thema nicht neu, doch es hat an Brisanz gewonnen. Der Verein, der sich für Menschen in solch schwierigen Situationen einsetzt, erhält nun die Silberdistel unserer Zeitung.
Von Anfang an: 1995 übernahm der erst kurz zuvor gegründete Verein das Augsburger „Wohnbüro“, das von der Auflösung bedroht gewesen war. Ein Teil der engagierten Gruppe kannte sich schon lange. Sie hatten sieben Männer aus Bangladesch unterstützt, die im November 1989 in einer Kirche im Augsburger Stadtteil Göggingen Schutz suchten. Das mehrmonatige Kirchenasyl war eines der ersten in Bayern, das erste in der Stadt, erinnert sich Körner-Wilsdorf. Die Helfer waren es auch, die Jahre später den Bewohnern der Augsburger Asylbewerberunterkunft im Fabrikschloss zur Seite standen. Schopf-Emrich: „Das war dort eine irre Situation. Es war wie in einem Slum. Es gab keine Toiletten. In der Halle, die oben offen war, herrschten Minustemperaturen, es stank furchtbar.“1200 Männer waren dort teilweise untergebracht. Weil sich die kirchlichen Organisationen weigerten, Berater hinzuschicken, übernahm der Kreis der Engagierten diese Aufgabe.
Im Wohnbüro wollten sie schließlich sozial benachteiligte Frauen und bei der Wohnungssuche unterstützen. „Da waren auch Menschen mit Migrationshintergrund dabei. Wir wollten ihre Nachteile, wie Sprachprobleme, fehlende Ortskenntnis und Kontakte ausgleichen“, sagt Schopf-Emrich. Ein Ziel, das bis heute gilt. Mitte der 90er Jahre war alles noch sehr improvisiert. Es gab ein kleines Vereinsbüro, der erste Antrag für EU- Fördermittel wurde in zwei Nachtschichten an einem Küchentisch geschrieben. Um die 30 Seiten umfasste damals das Schriftstück, so Schopf-Emrich. „Es war ein Akt der Verzweiflung.“Denn Arbeit gab es genug, was fehlte, war das Geld.
Die Zeiten haben sich geändert, die Probleme sind dieselben geblieben. Es werden immer noch Förderanträge geschrieben. SchopfMänner Emrich: „Der letzte Antrag umfasste 500 Seiten ohne Anlagen.“Doch das entmutigt die kämpferischen Weggefährten nicht. Sie haben viel erreicht: Bei asylpolitischen Kaffeefahrten hielten sie Politikern und Mitarbeitern von Behörden die teilweise untragbaren Zustände in Asylbewerberunterkünften der Region vor Augen, als 2015 der große Flüchtlingsstrom einsetzte, standen sie an der Seite der Stadt und der Regierung von Schwaben. Bei Bürgerversammlungen sprachen sie sich dafür aus, dass die Geflüchteten in Unterkünften im Stadtgebiet verteilt untergebracht werden. „Das steigert die Integrationsfähigkeit. So eine Massenunterbringung in Ankerzentren, die angedacht ist, können wir nicht akzeptieren“, betont Schopf-Emrich, der sich bei diesem Vorstoß an das Fabrikschloss der 90er Jahre zurückerinnert.
Die Nähe von Geflüchteten zu den Alteingesessenen ist den Mitgliedern von „Tür an Tür“wichtig. 2012 zog der Verein in ein altes Straßenbahndepot. In ihrem Café treffen sich heute Flüchtlinge, die sich mit Ehrenamtlichen auf einen Wohnungsbesichtigungstermin vorbereiten, mit Nachbarn und Mitarbeitern der nahegelegenen Arbeitsagentur oder der MAN. Nebenan findet interkulturelle Beratung in den eigenen Netzwerken und Beratungsstellen statt. Der Generationswechsel ist mit der „Digital Factory“eingeläutet. „Das Start-up hat unter anderem die App ,Integreat‘, die Menschen aus dem Ausland über Beratungsangebote, Anlaufstellen und Kontaktmöglichkeiten informiert, in verschiedenen Kommunen etabliert“, erklärt Körner-Wilsdorf.
Zur Jahrtausendwende wurde das Europadorf im Stadtteil Hochzoll vom Träger „Hilfe für heimatlose Ausländer in Deutschland“abgekauft, die Reihenhäuser renoviert. In den 36 Wohneinheiten lebt heute eine bunt gemischte Mieterschaft. Damit ist der Vereinszweck erfüllt, Wohnraum zu schaffen. Die Freude steht Schopf-Emrich ins Gesicht geschrieben, wenn er über die Siedlung spricht, die in der Normalität angekommen und ein Beispiel für gelungene Integration sei. Für ihn ist sie eine Keimzelle der Stadtentwicklung des Quartiers. „Das Europadorf ist nun nicht mehr am Rand, sondern mittendrin.“