Schwänzen, bis die Polizei kommt
Sozialpädagogen der Grund- und Mittelschule in Illertissen berichten von einem zunehmend respektlosen Verhalten. Auch Schulverweigerer machen den Experten zu schaffen
Kinder, die sich häufig und schnell prügeln; Eltern, die mit der Erziehung überfordert sind und Jugendliche, denen es schwerfällt, sich in eine Gruppe zu integrieren: Das sind nur einige der Probleme, mit denen sich die Sozialpädagoginnen Verena Schweinstetter, Jutta Sternecker und Sozialarbeiter Johannes Weber während eines Schuljahrs auseinandersetzen müssen. Im Illertisser Kulturausschuss zogen die Mitarbeiter von Grund- und Mittelschule jetzt Bilanz – und berichteten vom „System Schule“, das laut Weber derzeit die größte Veränderung seines Bestehens erlebe.
Zu schaffen mache den Pädagogen vor allem die verstärkte „Ichbezogenheit“der Schüler, sagte Weber, der gemeinsam mit Jutta Sternecker an der Erhard-Vöhlin-Mittelschule im Einsatz ist. Viele Jugendliche täten sich heute schwer, sich in der Klassengemeinschaft zurechtzufinden. Sie zeigten sich aggressiv gegenüber Mitschülern, seien respektlos oder störten den Unterricht. Häufig mangele es an Werten und Normen, dem „Gerüst drumherum“, wie Weber es formulierte. Psychische Pro- bleme und kulturelle Unterschiede begünstigten diese Situation. Gerade Kinder mit Migrationshintergrund hätten häufig ein „anderes Normenmuster“und zeigten nur „schwer Einsicht“.
Auf Trab halten die Sozialarbeiter aber auch die Schüler, die gar nicht erst am Unterricht teilnehmen. Wie Pädagogin Jutta Sternecker sagte, schwänzten immer mehr Mädchen und Jungen die Schule. Der Grund für die unentschuldigte Abwesenheit vom Unterricht liege in vielen Fällen im Elternhaus. „Die Eltern schaffen es einfach nicht, die Kinder in die Schule zu bekommen“, so Sternecker. Für die Pädagogen bedeute das eine Menge zusätzlicher Arbeit. Denn die Kinder müssen gesucht und im Extremfall mit der Polizei in den Unterricht gebracht werden. So manche „filmreife Szene“habe sich laut Weber dabei bereits abgespielt.
An der Mittelschule versucht man, den vielfältigen Problemen mit verschiedenen Aktionen und Angeboten entgegenzuwirken. Die Kinder bekommen in Einzelgesprächen Hilfe oder können sich an Gruppenarbeiten beteiligen. Im vergangenen Schuljahr etwa powerten sich einige Jugendliche beim Ringen aus. Ein Angebot, das sehr gut angenommen worden sei, so Sternecker. Auch ein Kunst- und ein Musikprojekt wurden gestartet.
Stadtrat Hermann Schiller (Freie Wähler) bezeichnete die Arbeit der Sozialarbeiter als „sehr wertvoll“. Lehrer allein könnten dieses Pensum an Aufgaben heute gar nicht mehr stemmen. Auch Schiller, selbst Lehrer, habe eine zunehmende Respektlosigkeit festgestellt. Laut einer aktuellen Forsa-Studie hat die Gewalt gegen Lehrer teils drastisch zugenommen. In Anbetracht dieser Entwicklung, so Schiller, brauche eine Schule künftig dann noch einen dritten Sozialarbeiter: für Lehrer.
Im Bericht von Verena Schweinstetter, Sozialpädagogin an der Bischof-Ulrich-Grundschule, spielte das Thema Gewalt gegen Lehrer keine Rolle. Dennoch sprach sie von ihrem „bislang arbeitsintensivsten Jahr“. Bereits in den 1. Klassen legten viele Kinder ein „herausforderndes Verhalten“an den Tag. Immer mehr Buben und Mädchen seien verhaltensauffällig.
Auffällig sei außerdem, dass viele Kinder bereits ab der 1. Klasse unkontrolliert Zugang zu Smartphone oder Tablet hätten. In der Schule seien die Geräte zwar verboten, „aber zu Hause laden sich die Kinder dann selbstständig Apps herunter oder schauen Videos auf Youtube an“. Bei einer Umfrage an der Schule im Jahr 2017 habe sich gezeigt: Von insgesamt 85 Viertklässlern besitzen 80 ein eigenes Smartphone, die meisten davon mit unbegrenztem Internetzugang. An der Schule werde es mit Unterstützung eines Experten der Polizei deshalb demnächst einen Vortag zum Thema Internet und Neue Medien geben.
Zum ersten Mal habe heuer außerdem ein Elternabend unter dem Motto „Wege aus schwierigen Erziehungssituationen“stattgefunden. Ziel sei es gewesen, die Erziehungskompetenz von Müttern und Vätern zu stärken. Nach Angaben der Sozialpädagogin sollen solche Abende künftig häufiger durchgeführt werden. Eingeladen gewesen seien in diesem Jahr die Eltern der Erstklässler – „präventiv“, wie Schweinstetter sagte.
Immer mehr Kinder zeigen auffälliges Verhalten