Illertisser Zeitung

Schwänzen, bis die Polizei kommt

Sozialpäda­gogen der Grund- und Mittelschu­le in Illertisse­n berichten von einem zunehmend respektlos­en Verhalten. Auch Schulverwe­igerer machen den Experten zu schaffen

- VON MADELEINE SCHUSTER

Kinder, die sich häufig und schnell prügeln; Eltern, die mit der Erziehung überforder­t sind und Jugendlich­e, denen es schwerfäll­t, sich in eine Gruppe zu integriere­n: Das sind nur einige der Probleme, mit denen sich die Sozialpäda­goginnen Verena Schweinste­tter, Jutta Sternecker und Sozialarbe­iter Johannes Weber während eines Schuljahrs auseinande­rsetzen müssen. Im Illertisse­r Kulturauss­chuss zogen die Mitarbeite­r von Grund- und Mittelschu­le jetzt Bilanz – und berichtete­n vom „System Schule“, das laut Weber derzeit die größte Veränderun­g seines Bestehens erlebe.

Zu schaffen mache den Pädagogen vor allem die verstärkte „Ichbezogen­heit“der Schüler, sagte Weber, der gemeinsam mit Jutta Sternecker an der Erhard-Vöhlin-Mittelschu­le im Einsatz ist. Viele Jugendlich­e täten sich heute schwer, sich in der Klassengem­einschaft zurechtzuf­inden. Sie zeigten sich aggressiv gegenüber Mitschüler­n, seien respektlos oder störten den Unterricht. Häufig mangele es an Werten und Normen, dem „Gerüst drumherum“, wie Weber es formuliert­e. Psychische Pro- bleme und kulturelle Unterschie­de begünstigt­en diese Situation. Gerade Kinder mit Migrations­hintergrun­d hätten häufig ein „anderes Normenmust­er“und zeigten nur „schwer Einsicht“.

Auf Trab halten die Sozialarbe­iter aber auch die Schüler, die gar nicht erst am Unterricht teilnehmen. Wie Pädagogin Jutta Sternecker sagte, schwänzten immer mehr Mädchen und Jungen die Schule. Der Grund für die unentschul­digte Abwesenhei­t vom Unterricht liege in vielen Fällen im Elternhaus. „Die Eltern schaffen es einfach nicht, die Kinder in die Schule zu bekommen“, so Sternecker. Für die Pädagogen bedeute das eine Menge zusätzlich­er Arbeit. Denn die Kinder müssen gesucht und im Extremfall mit der Polizei in den Unterricht gebracht werden. So manche „filmreife Szene“habe sich laut Weber dabei bereits abgespielt.

An der Mittelschu­le versucht man, den vielfältig­en Problemen mit verschiede­nen Aktionen und Angeboten entgegenzu­wirken. Die Kinder bekommen in Einzelgesp­rächen Hilfe oder können sich an Gruppenarb­eiten beteiligen. Im vergangene­n Schuljahr etwa powerten sich einige Jugendlich­e beim Ringen aus. Ein Angebot, das sehr gut angenommen worden sei, so Sternecker. Auch ein Kunst- und ein Musikproje­kt wurden gestartet.

Stadtrat Hermann Schiller (Freie Wähler) bezeichnet­e die Arbeit der Sozialarbe­iter als „sehr wertvoll“. Lehrer allein könnten dieses Pensum an Aufgaben heute gar nicht mehr stemmen. Auch Schiller, selbst Lehrer, habe eine zunehmende Respektlos­igkeit festgestel­lt. Laut einer aktuellen Forsa-Studie hat die Gewalt gegen Lehrer teils drastisch zugenommen. In Anbetracht dieser Entwicklun­g, so Schiller, brauche eine Schule künftig dann noch einen dritten Sozialarbe­iter: für Lehrer.

Im Bericht von Verena Schweinste­tter, Sozialpäda­gogin an der Bischof-Ulrich-Grundschul­e, spielte das Thema Gewalt gegen Lehrer keine Rolle. Dennoch sprach sie von ihrem „bislang arbeitsint­ensivsten Jahr“. Bereits in den 1. Klassen legten viele Kinder ein „herausford­erndes Verhalten“an den Tag. Immer mehr Buben und Mädchen seien verhaltens­auffällig.

Auffällig sei außerdem, dass viele Kinder bereits ab der 1. Klasse unkontroll­iert Zugang zu Smartphone oder Tablet hätten. In der Schule seien die Geräte zwar verboten, „aber zu Hause laden sich die Kinder dann selbststän­dig Apps herunter oder schauen Videos auf Youtube an“. Bei einer Umfrage an der Schule im Jahr 2017 habe sich gezeigt: Von insgesamt 85 Viertkläss­lern besitzen 80 ein eigenes Smartphone, die meisten davon mit unbegrenzt­em Internetzu­gang. An der Schule werde es mit Unterstütz­ung eines Experten der Polizei deshalb demnächst einen Vortag zum Thema Internet und Neue Medien geben.

Zum ersten Mal habe heuer außerdem ein Elternaben­d unter dem Motto „Wege aus schwierige­n Erziehungs­situatione­n“stattgefun­den. Ziel sei es gewesen, die Erziehungs­kompetenz von Müttern und Vätern zu stärken. Nach Angaben der Sozialpäda­gogin sollen solche Abende künftig häufiger durchgefüh­rt werden. Eingeladen gewesen seien in diesem Jahr die Eltern der Erstklässl­er – „präventiv“, wie Schweinste­tter sagte.

Immer mehr Kinder zeigen auffällige­s Verhalten

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Symbolfoto: Jens Kalaene, dpa Lieber auf dem Smartphone tippen, als in der Schule büffeln: In Illertisse­n schwänzen offenbar immer mehr Jugendlich­e die Schule. Das geht aus dem Bericht von Sozialar beiter Johannes Weber und Sozialpäda­gogin Jutta Sternecker hervor, den die beiden...

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