Ein Auer bringt sein größtes Abenteuer zu Papier
Fritz Kortler hat ein Buch über seine Radtour in den 1950er Jahren durch den Nahen Osten und Afrika geschrieben. Ein alter Freund rezensiert es – und erinnert dabei an eine Reise, wie sie heute wohl undenkbar wäre
Frühjahr 1959. Der hier Schreibende war gerade mal 20 Jahre alt und lebte seit ein paar Monaten aus Studiengründen in Kairo. Es war ein Ägypten im Umbruch, aber in den großen Städten war das alte kosmopolitische Flair noch spürbar. In besseren Gesellschaftskreisen sprach man immer noch gerne französisch. Ich stand Schlange vor einem Schalter des Kairoer Hauptpostamtes, um Luftpostbriefe ins heimatliche Europa aufzugeben. Plötzlich hörte ich vor mir jemanden Deutsch reden, mit schwäbischem Akzent, meinem eigenen elsässisch-badischen nicht allzu fern stehend. Zwei junge Deutsche standen vor mir in einer Art Tropenuniform, obwohl dafür im gerade nachwinterlichen Kairo noch keine besondere klimatische Veranlassung gegeben war. Auch hatten die Beiden Fahrräder bei sich, an denen eigenartige Gegenstände befestigt waren. Wir kamen sofort zusammen ins Gespräch.
Fritz Kortler und Franz Krieger (gestorben 2014), zwei junge Leute etwa meines Alters, waren aus dem bayerischen Schwaben nach Kairo gekommen, und zwar per Fahrrad. Über den Balkan und die Nahostroute Türkei, Syrien, Jordanien, Ägypten. Schon seit Monaten waren sie unterwegs, und das Ganze war erst der Anfang eines unwahrscheinlichen Abenteuers. Denn ihr Ziel war Südafrika, Kapstadt, und das alles auf dem Drahtesel. Zwei Jahre waren für das Unternehmen vorgesehen. Finanzieren taten sich „Fritz und Franz“durch eigene Arbeit unterwegs. Mit den Zeitungen ihrer Heimat hatten sie regelmäßige Berichterstattung vereinbart, auch das brachte einiges Geld. Als ausgebildete technische Zeichner konnten sich Kortler und Krieger auf Reisen hier und da verdingen. Englisch sprachen beide gut genug, um zurechtzukommen. So hatten sie beispielsweise im Sudan mehrere Monate auf einer deutschen Großbaustelle gearbeitet, um ihre Radlerkasse aufzubessern. Zwar schwammen sie nicht gerade im Luxus, hatten aber immer das notwendige Kleingeld in der Tasche, um zu überleben und weiterzukommen. Geschlafen wurde entweder als Gäste von Einheimischen, von Polizeistationen oder in dem Zelt, das sie huckepack mit sich führten.
Das Unternehmen glückte und kam in Kapstadt zum erwünschten Abschluss. Der Zeitrahmen wurde in etwa eingehalten. Die Reise – nach Ägypten ging es weiter durch den Sudan und die Länder der ost- afrikanischen Nord-Südlinie – brachte die beiden oft an den Rand physischer und moralischer Belastbarkeit, es mussten unvorstellbare logistische Probleme bewerkstelligt werden. Aber „Fritz und Franz“schafften es; denn, wie der Volksmund weiß: „Schwaben im Ausland“gehen bekanntlich nie unter.
Das vorliegende Buch „Fernweh“ist die Geschichte der Reise, geschrieben in der Sprache und mit der Spontanität der jungen Abenteurer von vor 60 Jahren. Es ist die Stärke und Schwäche – die Texte sind im Wesentlichen die Reiseberichte, die Fritz Kortler, der „Literat“des Unternehmens, während der Zeit an die Redaktionen geschickt hatte: Handschriftlich, per Luftpost von einem Ort, wo die Briefe eine Chance hatten, weiterbefördert zu werden. Internet oder soziale Netzwerke gab es damals natürlich nicht, und auch zu spärlich gesäten Telexanschlüssen (für Fernschreiben) hatten „Fritz und Franz“ keinen Zugang. Alles blieb handwerklich.
Fritz Kortler war im vergangenen Jahr (2017) auf einen alten Ordner gestoßen, worin die Zeitungsartikel über den afrikanischen Fahrradtrip gesammelt waren – und da schlug ein Geistesblitz bei ihm ein: Warum nicht ein Buch daraus machen und heute etwas vorstellen, das es längst nicht mehr gibt? Auf der vierten Umschlagseite bringt es der Autor mit einem Satz auf den Punkt: „Die Länder, Völker und Stämme, wie wir sie gesehen und erlebt haben, sind heute nur noch Erinnerung.“
Das Ganze in einer lebendigen Sprache vorgetragen, die ihre jugendlichen Ungeschicklichkeiten behalten hat, aber eben dadurch auch ihre Frische und Glaubwürdigkeit. Der Auer hatte lange darüber nachgedacht, ob die Texte von damals wohl sprachlich zu überarbeiten wären – oder nicht. Er entschied sich für Letzteres, und ich meine, er tat gut daran.
Aus der Fantasie hinzugefügt hat Kortler nichts: Daher ist sein Buch für jeden Forscher zu zeitgenössischen Ereignissen ein ungemein wertvolles Dokument.
Eine derartige Reise mit dem Fahrrad quer durch den Nahen Osten und ganz Afrika wäre heute undenkbar. Viel zu groß sind Gefahren und Risiken, nicht zuletzt wegen Krisen und Kriegen. Zahlreiche Länder, die „Fritz und Franz“Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre, noch mehr oder minder pannenfrei durchradeln konnten, haben sich weitgehend abgeschottet oder vegetieren chaotisch vor sich hin. Allein im heutigen Syrien wären die beiden Radler wohl mit großer Wahrscheinlichkeit getötet worden. Politische Fanatismen und Besessenheiten haben solchem Jugendmut einen nahezu unaufbrechbaren Riegel vorgeschoben.
Kortler bietet derzeit sein „Fernweh“im Eigenverlag an, denkt jedoch daran, das Buch einem auswärtigen Verlagshaus zur weiteren Verbreitung vorzuschlagen. Sein Buch hätte einen Erfolg verdient. Die Radtour war nicht die einzige Reise des Auers. Auch davon ist in „Fernweh“die Rede – es enthält eine Liste der Ausfahrten.
Viele Länder haben sich heute abgeschottet
Fritz Kortler: „Fernweh – Mit dem Fahrrad durch Afrika“; im Ei genverlag: F. Kortler, Bürststraße 32, 89257 Illertissen (Au), 2018. 250 Sei ten, 19 Euro.