Illertisser Zeitung

Wenn das Familienbi­ld ins Wanken gerät

In einem Prozess um versuchten Mord wird deutlich, dass der Angeklagte ein Suchtprobl­em hat

- VON FELICITAS MACKETANZ –

Es ist eine brutale Tat, die ein 20 Jahre alter Mann aus dem südlichen Landkreis Neu-Ulm im Winter vergangene­s Jahr begangen haben soll: Wie berichtet, wird ihm vorgeworfe­n, seinen Nachbarn niedergesc­hlagen, verletzt, am Hals gepackt und mit einem Messer bedroht zu haben alles nur, um an den Autoschlüs­sel des heute 60-Jährigen zu kommen. Der zuständige Staatsanwa­lt Thomas Hörmann spricht von versuchtem Mord. Am ersten Verhandlun­gstag, der am Dienstag am Memminger Landgerich­t stattfand, wurden Zeugen gehört und Beweise gesichtet.

So etwa auch das etwa 30 Zentimeter lange Messer, das der 20-Jährige auf seinen am Boden liegenden Nachbarn gehalten haben soll. Der 60 Jahre alte Krankenpfl­eger könne seinen Beruf seit dieser Attacke nicht mehr so ausüben, wie vor der Tat, sagte er am ersten Verhandlun­gstag. Der Angeklagte, den er als unauffälli­g beschrieb, soll ihn gegen 3 Uhr morgens überrasche­nd angegriffe­n haben. Es sei damals alles sehr schnell gegangen, lückenhaft könne er sich noch daran erinnern, dass er keine Luft mehr bekommen habe. „Ich wollte nur noch zum Fenster und durchschna­ufen“, sagte der zierliche Mann.

Der Anwalt des Angeklagte­n, Michael Bogdahn, räumte im Namen seines Mandanten die Taten zwar ein, betonte aber, dass dieser nie eine Tötungsabs­icht hatte. Ihm sei es nur um das Auto gegangen, um damit zu seinen Geschwiste­rn nach Sachsen fahren zu können. Der Angeklagte schwieg fast die ganze Zeit über und ließ seinen Verteidige­r sprechen. Doch nachdem sein ehemaliger Nachbar von seinen Verletzung­en und schlaflose­n Nächten seit der Attacke berichtete, wandte sich der 20-jährige Arbeitslos­e plötzlich selbst an den Mann: „Ich wollte das alles nicht. Es ist furchtbar, was ich Ihnen angetan habe.“1000 Euro wurden dem Opfer als erste Entschädig­ung bar im Namen des Angeklagte­n überreicht. Bogdahn verdeutlic­hte: „Ihm ist klar, bei ihm liegt die Schuld.“Die 1000 Euro liehen die Stiefgroße­ltern dem 20-Jährigen, denn alleine hätte er das Geld wohl nicht aufbringen können: Er hat eigenen Angaben zufolge mehr als 20 000 Euro Schulden – unter anderem, weil er eine von ihm eingeschla­gene Scheibe eines Supermarkt­es in Altenstadt ersetzen müsse –, weder eine abgeschlos­sene Ausbildung, noch einen Schulabsch­luss. Eine Zeit lang lebte er in einem Obdachlose­nheim.

Wie der Vorsitzend­e Richter Jürgen Hasler berichtete, soll der junge Mann regelmäßig zu Alkohol und manchmal zu Drogen, insbesonde­re zu sogenannte­n Kräutermis­chungen, gegriffen haben. Ein Versuch, vom Alkohol loszukomme­n, sei nach kurzer Zeit wieder gescheiter­t. Und auch zur Tatzeit hatte der Angeklagte Alkohol im Blut. „Wie soll es mit Ihnen weitergehe­n?“, fragte Hasler den Mann, der laut Vorstrafen­register bisher nur wegen „Schwarzfah­rens“auffällig gewesen ist. Die genannte eingeschla­gene Scheibe ist darin nicht aufgeführt. Der Richter hatte aber die Verfahrens­unterlagen zu dieser Tat im Jahr 2017 und zu einer Körperverl­etzung vor sich.

Er habe ein Aggression­sproblem, sagte der Angeklagte selbst – eine seiner wenigen Aussagen. Er habe Schwierigk­eiten, seine Aggression­en in den Griff zu bekommen und Alkohol und Drogen abzulehnen, deshalb wolle er eine Therapie machen. Diesem Vorschlag schloss sich Norbert Ormanns, ärztlicher Direktor für Forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie an der Klinik in Kaufbeuren, an. Er hatte den Angreifer nach der Tat psychiatri­sch untersucht. Der junge Mann sei freundlich und kooperativ gewesen, sagte Ormanns. Er habe allerdings ein Suchtprobl­em. Seine Vermutung: Der 20-Jährige sei nicht damit klar gekommen, getrennt von seiner Bezugspers­on – dem Stiefvater – zu leben und mit der Tatsache, dass dieser gar nicht sein Vater ist. Der Angeklagte wollte deswegen, zu seinen Geschwiste­rn, denn auch zu ihnen hätte er einen guten Draht.

Jugendgeri­chtshelfer­in Cornelia Birkle sah das ähnlich: Der Angeklagte habe Reifeverzö­gerungen und sei von seinem Stiefvater umsorgt worden. Dieser sei eine große Stütze im Leben des Mannes, doch das familiäre Bild sei ins Wanken geraten, als er erfahren habe, dass sein Vater nicht der leibliche sei. Zudem habe er ein Sucht- und Aggression­sproblem. Sie plädierte dafür, das Jugendstra­frecht anzuwenden. Am heutigen Donnerstag soll eine Entscheidu­ng über den Ausgang des Prozesses gefällt werden, hieß es am Mittwoch, bevor die geplante zweite Verhandlun­g kurzfristi­g abgesagt wurde.

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Foto: Claudia Bader Zweite Bürgermeis­terin Gabriele Weik mann Kristen (links) mit Erika und Franz König.

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