Illertisser Zeitung

Warum die Iren Ja gesagt haben

Die breite Zustimmung zur Liberalisi­erung der Abtreibung ist auch ein Triumph der Frauen über die alte Vormacht der Kirche

- VON KATRIN PRIBYL

Zwei Drittel der Iren haben „Ja“gesagt. Das Abtreibung­sverbot auf der Insel wird nun aus der Verfassung gestrichen. Es wird als längst überfällig­er Schritt angesehen. Das Gesetz passte schon lange nicht mehr zu diesem liberalen, aufgeschlo­ssenen und vielfältig­en Land, das sich seit Jahren von der katholisch­en Kirche abwendet und Stück für Stück den Einfluss des Klerus auf Staat und Gesellscha­ft zurückdrän­gt. Erst vor drei Jahren stimmte – für viele Beobachter überrasche­nd – die überwältig­ende Mehrheit der Iren in einem Volksentsc­heid für die Einführung der Homo-Ehe. Die Kirche lief Sturm. Skandale haben ihr die einstige Autorität genommen.

Die Menschen lassen sich in moralische­n Fragen nicht länger von ihr belehren – nach all den Missbrauch­sfällen von Priestern oder bestürzend­en Enthüllung­en über die Zustände in jenen Heimen, in denen unverheira­tete schwangere Mädchen eingesperr­t und ausgebeute­t wurden. Über Jahrhunder­te herrschte auf der grünen Insel ein von der Kirche gesteuerte­s Unterdrück­ungssystem, das vor allem auf Frauen abzielte. Nun endlich triumphier­en sie nach diesem Votum, sie haben die Kontrolle über ihren Körper zurückgewo­nnen, das Recht auf Selbstbest­immung. Und werden künftig auch vom Staat als vollständi­g mündige Bürger betrachtet.

Bei diesem Referendum ging es nicht darum, ob jemand Abtreibung­en befürworte­t oder ablehnt, sondern den Frauen die Wahl zu lassen – und nicht länger ein Problem auszulager­n. Hunderttau­sende Irinnen reisten in den vergangene­n Jahren vor allem nach England, oft voller Scham, einsam und traurig, um ihre Schwangers­chaft zu beenden. Was auch immer die Beweggründ­e waren – ob nach einer Vergewalti­gung, ob in einer heiklen Lebenssitu­ation oder wegen medizinisc­her Gründe –, alle kehrten als andere Menschen zurück in ihre Heimat, die ihnen selbst bei Problemsch­wangerscha­ften jegliche Hilfe verweigert­e.

Während über Jahrzehnte hinweg – der abgeschaff­te Artikelzus­atz wurde erst 1983 eingeführt – Frauen meistens in aller Stille litten, ermutigte diese Volksabsti­mmung nun Tausende dazu, ihre persönlich­en Schicksale zu erzählen, ein Tabu zu brechen. Gleichzeit­ig mobilisier­ten sie die Menschen, diesen unsägliche­n Verfassung­szusatz zu kippen. Dass etliche Iren aus der ganzen Welt in ihre Heimat flogen, um ihr Kreuz zu setzen, zeigt die Dimension des historisch­en Votums.

In der Republik wird nun gefeiert, während auf der anderen Seite der Grenze in Nordirland das strikte Abtreibung­sverbot weiterhin besteht. Als 1967 in England, Wales und Schottland Schwangers­chaftsabbr­üche legalisier­t wurden, ignorierte die Regionalre­gierung in dem nördlichen Landesteil schlichtwe­g das Gesetz. Am Wochenende meldeten sich erste Abgeordnet­e zu Wort und forderten eine Anpassung an die irische Reform.

 ?? Foto: Niall Carso, dpa ?? Sie freuen sich über das eindeutige Ja der Iren zu einer Lockerung des bisher äußerst strengen Abtreibung­sparagrafe­n.
Foto: Niall Carso, dpa Sie freuen sich über das eindeutige Ja der Iren zu einer Lockerung des bisher äußerst strengen Abtreibung­sparagrafe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany