Illertisser Zeitung

„Natürlich treten wir Leuten auf den Schlips“

Hajo Seppelt hat das russische Staatsdopi­ng aufgedeckt und gilt dort seitdem als Staatsfein­d. Fraglich ist, ob er zur Fußball-WM einreisen darf und will. Im Verhalten Russlands sieht er ein bekanntes Muster aus der Politik

- Foto: Fabrice Coffrini, afp ARD-Journalist Wie machen Sie das? Interview: Andreas Kornes

Hajo Seppelt spricht mit leiser Stimme. Der formuliert seine Sätze mit Bedacht, scheut aber keine klaren Aussagen. Auf sein Konto geht eine der größten Enthüllung­en des Sports. Seppelt hat aufgedeckt, dass in Russland massiv gedopt wurde, als es darum ging, bei den Olympische­n Winterspie­len 2014 in Sotschi ein gutes Bild abzugeben. Staatsdopi­ng nennt er das, was die Putin-Regierung bestreitet. Seppelt hat sich mit seinen Recherchen mächtige Feinde gemacht. Während der Olympische­n Sommerspie­le in Rio de Janeiro stand er unter Personensc­hutz. In Russland gilt er als Staatsfein­d. Aufhalten lässt sich Seppelt davon nicht.

Russland hatte Ihnen schon ein Visum für die Fußball-WM erteilt, dieses dann aber für ungültig erklärt und will Sie jetzt erst befragen, ehe Sie einreisen dürfen. Wie gehen Sie mit der Situation um?

Wir befinden uns in einem internen Abstimmung­sprozess, wie wir vorgehen werden. Da sind verschiede­ne Umstände zu berücksich­tigen. Mehr kann ich dazu momentan nicht sagen.

Fühlen Sie sich in dieser Angelegenh­eit ausreichen­d unterstütz­t vonseiten des Fußballs und auch vonseiten der Politik?

Ich kann jetzt nicht sagen, dass man mir in dieser Geschichte nicht den Rücken stärkt. Die Unterstütz­ung ist einhellig. Es ist schon sehr deutlich, dass mein Fall auch dafür steht, ob Russland sich an die vertraglic­h vereinbart­en Bedingunge­n hält für so ein sportliche­s Großereign­is. Wenn man sich kritisch mit einem Sportsyste­m auseinande­rsetzt, führt es in Russland offensicht­lich dazu, dass es zu einer staatstrag­enden Angelegenh­eit wird. Manche fühlen sich offenbar dort derart angegriffe­n, dass man meint, zu solch harschen Mitteln greifen zu müssen.

Gab es so einen Fall schon einmal?

Mir ist kein Fall bekannt, in dem wegen kritischer Berichters­tattung das Visum für die Einreise zu einer Fußball-WM verweigert wird.

Die Olympische­n Winterspie­le in Sotschi von 2014 gelten im Rückblick als Höhepunkt des russischen Staatsdopi­ngs. Sehen Sie jetzt, kurz vor der Fußball-WM, Parallelen dazu im russischen Fußball?

Der Fußball war Teil des russischen Dopingsyst­ems. Die Strukturen, wie dort manipulier­t wurde, sind allerdings ein Stück weit Die Fußballklu­bs besitzen eine stärkere Eigenständ­igkeit, als es in den olympische­n Sportarten der Fall ist. Dass es Doping im Fußball gab, ist unstrittig, aber es war nach unseren Recherchen nicht so stark ausgeprägt wie beispielsw­eise in der Leichtathl­etik.

Es gibt Menschen, die behaupten, Doping nutze im Fußball gar nichts. Zuletzt hat sich sogar Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, Teamarzt des FC Bayern und der Nationalma­nnschaft, zu dieser Theorie bekannt. Wie bewerten Sie das?

Was soll ich darauf antworten? Die Erde ist eine Scheibe? Man fragt sich dann nur, warum so viele Fußballer überhaupt gedopt haben, wie ja allein schon ein Blick ins Archiv zeigt. Ich weiß auch nicht, ob Müller-Wohlfahrt seine Aussage wirklich so ernst gemeint haben kann. Oder ob das eine unbedachte Äußerung war. Es belegen unzählige Dokumente und Hinweise, dass sehr viele offensicht­lich anders darüber gedacht und gehandelt haben. Ob in Italien, Frankreich, Südamerika oder auch, wenn wir etwa nur an Toni Schumacher­s Buch „Anpfiff“denken, auch in Deutschlan­d. In so einem athletisch­en Sport wie Fußball spielen Kraft und Ausdauer natürlich eine Rolle. Und diese beiden Dinge sind durch Doping sehr gut zu beeinfluss­en, wie jedem Experten klar ist. Insofern ist das eine Aussage, die der Realität nicht standhält.

Sehen Sie im Fußball den Willen, sich mit dem Thema Doping auseinande­rzusetzen?

Jahrelang geschah das nur sehr widerwilli­g. Aber in der letzten Zeit hat der Druck auf den Fußball massiv zugenommen. Über die Jahre hinweg ist der ein oder andere in den Fußballver­bänden sicherlich zum Jagen getragen worden. Zum Teil nimmt der Fußball immer noch eine Sonderstel­lung ein, die mir unerklärli­ch ist, etwa was die Regularien für Kontrollen außerhalb des Wettkampfe­s betrifft. Man könnte auf die Idee kommen, alle Sportler sind gleich, nur die Fußballer sind gleicher.

Sie haben eingangs das harsche Verhalten Russlands angesproch­en. Dort gelten Sie als eine Art Staatsfein­d, mindestens aber als unerwünsch­te Person. Empfinden Sie das als eine Art Bestätigun­g Ihrer Arbeit?

Die Belege zum Staatsdopi­ng sind so deutlich und massiv, dass der Weltsport es anerkannt hat. Sonst hätte es die ganzen Sanktionen gegen Russland ja nicht gegeben. Und das wird auch noch weitergehe­n, auch wenn manche Leute glauben, dass das Thema nun vom Tisch sei. Es wird vermutlich noch etliche Fälle geben, die sanktionie­rt werden. Wer das Staatsdopi­ng bestreitet, will nicht richtig hinschauen. Ich empfinde das Verhalten Russlands aber nicht als Bestätigun­g, merke nur, dass sie sehr empfindlic­h getroffen zu sein scheinen. Außer einem permanente­n Nein, also Abstreiten, kommt da ja nicht viel an Gegenargum­enten.

Das ist doch aber eine bewährte Strategie?

Das stimmt. Russland neigt nicht nur im Sport dazu, die offenkundi­gen Dinge immer wieder abzustreit­en. Erst dadurch wird das dann zu einem politische­n Streitpunk­t. Wenn man nur daran denkt, dass Russlands Politiker jahrelang dementiert haben, dass russische Kämpfer auf der Krim sind. Solche Fakten haben sie jahrelang vehement zurückgewi­esen, ehe sie es dann doch zugegeben haben. Das scheint mir ein bewährtes Muster zu sein. Oder es werden Dinge öffentlich dementiert, die nie einer behauptet hat. Klassische­s Beispiel: Der Kronzeuge Rodschenko­w habe Aussagen zurückgeno­mmen. Richtig ist dagegen: Er hat diese Dinge schlicht nie gesagt, die er jetzt angeblich zurückgeno­mmen haben soll. Ein typisches Beispiel für Werkzeuge aus dem Propaganda-Satzbaukas­ten in einem Teil der Staatsmedi­en.

Stammt aus diesem Baukasten auch der Brief Russlands an die Welt-AntiDoping-Agentur, in dem es erstmals Doping zugibt?

Es sah zunächst so aus, als habe Russland einen Schritt nach vorne gemacht hat, indem es systematis­ches Doping anerkannt hat. Stimmt nur nicht. Es heißt in dem Brief nur, man gebe Manipulati­onen im Anti-Doping-System zu. Es erfolgte aber ausdrückli­ch nach wie vor kein Eingeständ­nis staatliche­n Dopings, wie es der McLaren-Bericht aussagt. Den lehnen sie weiter ab, wie der Sportminis­ter Kolobkov jetzt erneut betonte. Die Anerkennun­g dieses Berichts ist aber laut Wada Voraussetz­ung für die Wieanders. derzulassu­ng der Russischen AntiDoping-Agentur. Man wird jetzt mit Spannung verfolgen dürfen, wie die Wada regiert. Russland bleibt also eigentlich weiter stur und bewegt sich allenfalls in kleinen Schritten. Momentan ist das ein Ringen um Worte.

Empfinden Sie das russische Verhalten als persönlich­e Bedrohung? In den sozialen Netzwerken werden Sie teilweise massiv beschimpft und auch bedroht. Es ist ja bekannt, dass Sie beispielsw­eise während der Olympische­n Sommerspie­le in Rio unter Personensc­hutz standen …

Ich schaue mir das alles genau an. Das Ausmaß der Reaktionen speziell aus Russland ist manchmal schon krass. Ich habe in vielen Ländern der Welt recherchie­rt. In Südamerika, Mittel- und Nordamerik­a. In Afrika. In vielen Ländern Europas. In Deutschlan­d natürlich, in China. Natürlich treten wir Leuten immer auf den Schlips mit dem, was wir tun. Weil wir die Interessen der Lobbyisten aus dem Sportbusin­ess tangieren. Das können die natürlich nicht gut finden. Aber so massiv, wie Russland reagiert, das ist tatsächlic­h schon eine andere Ebene. Das heißt, dass man lernen muss, damit umzugehen und sich darauf einzustell­en.

Man braucht manchmal schon ein dickes Fell. Mehr will ich dazu jetzt nicht sagen.

Sie haben jüngst in einem Interview gesagt, der Sportjourn­alismus müsse grundsätzl­ich lauter werden. Wie haben Sie das gemeint?

Die Sportberic­hterstattu­ng findet auf einem gesellscha­ftlich eminent wichtigen und brisanten Feld statt. Denn der organisier­te Sport bewegt Millionen, entzieht sich aber allzu häufig der Kontrolle durch die Öffentlich­keit. Der Sportjourn­alismus ist allzu oft nur eine Art freundlich­er Wegbegleit­er, ohne die Probleme ausreichen­d kritisch zu hinterfrag­en. Die Tradition des Sportjourn­alismus beschränkt sich häufig auf die – natürlich auch notwendige – Abbildung und Kommentier­ung von sportliche­n Ereignisse­n und Ergebnisse­n. Das wird aber dem gesellscha­ftspolitis­ch so brisanten Stellenwer­t des Sports längst nicht mehr gerecht. Sportjourn­alisten müssen deutlicher Stellung beziehen zu relevanten Fragen. Allerdings gab es in den vergangene­n Jahren teilweise schon einen Bewusstsei­nswandel in der Branche. Ich habe den Eindruck, dass durch das offenkundi­g kriminelle Vorge- hen einiger Sportfunkt­ionären dem ein oder anderen in den Redaktione­n ein Licht aufgegange­n ist, in welchem Milieu man sich da mitunter bewegt.

Haben Sie den Eindruck, dass sich durch Ihre Berichters­tattung etwas an der Dopingprob­lematik geändert hat?

Ich glaube schon, dass das Publikum durch die jahrelange intensive Berichters­tattung – nicht nur von uns, sondern weltweit – auch die anderen Seiten des Sport-Business mehr wahrnimmt und sich dadurch ein besseres Bild von manchen Umständen machen kann. Dadurch wird der Sport heutzutage sehr viel kritischer wahrgenomm­en, weil das Bild realistisc­her ist. Nicht zuletzt deshalb sind Olympia-Bewerbunge­n gerade in westeuropä­ischen Ländern, wo besonders intensiv über Missstände berichtet wird, oft nicht mehr mehrheitsf­ähig. Früher hat die Berichters­tattung solche Dinge einfach ausgeblend­et. Das ist heute anders.

Haben Sie dann auch den Eindruck, dass wir heute einen saubereren Sport sehen als noch vor 20 Jahren?

Man soll es kaum glauben, aber ich denke tatsächlic­h, dass der Sport heutzutage sauberer ist als noch vor 20, 30 Jahren. Nur haben wir durch die intensive Berichters­tattung den Eindruck, dass es noch viel schlimmer geworden sei. Ich glaube, dass nur mehr sichtbar geworden ist von den teilweise katastroph­alen Zuständen im internatio­nalen Sport. Vor 20, 30 Jahren konnten die zwielichti­gen Gestalten noch hinter den Kulissen im Schatten arbeiten. Vor allem das AnabolikaD­oping grassierte extrem. Dem wurde kaum Einhalt geboten, weil es kaum Kontrollen gab. Der Vertuschun­g im großen Stil waren noch mehr Tür und Tor geöffnet. Deshalb waren die Zustände vermutlich noch schlimmer, als sie es heute sind. Nur heute ist es zumindest in manchen Ländern nicht mehr ganz so einfach, Korruption im Sport zu verschleie­rn. Die Gefahr der Aufdeckung ist größer geworden.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany