Illertisser Zeitung

Anna Netrebko singt in Gaisbach

Aus der Royal Albert Hall in London kommend, legte der Opern-Star eine Zwischenst­ation im Hohenloher Land ein, 20 Kilometer westlich von Heilbronn. Wie das?

- VON RÜDIGER HEINZE

Wir verbinden Anna Netrebko mit dem Chic vieler Millionenm­etropolen und mit allerheili­gsten Opern- und Konzert-Locations. Aber verbinden wir sie auch mit dem Hohenloher Land, um genau zu sein mit Gaisbach, Ortsteil von Künzelsau?

Ja, seit einer Opern-Soirée am Wochenende mit ihrem tenoralen Göttergatt­en Yusif Eyvazov.

Es ist nämlich so: Seit fast einem Jahr steht in Gaisbach ein Kongressun­d Kulturzent­rum – entworfen übrigens vom Berliner Büro David Chipperfie­ld, umgeben von Skulpturen erster Bildhauer(innen): Baselitz, Chillida, Cragg, Plensa, Niki de Saint Phalle. Und im walnussget­äfelten Konzertsaa­l mit Umlauf-Empore und 550 Sitzplätze­n ließen sich ausverkauf­t schon hören: Kent Nagano, Maxim Vengerov, Olga Peretyatko, Sol Gabetta. Viele Namen, die wir bislang auch noch nicht mit Gaisbach verbanden. Auch nicht den von Sting. Demnächst tauchen auf: Rolando Villazon, BAP, Bryn Terfel, Anne-Sophie Mutter.

Auch ein Orchester steht in Gaisbach für bislang schon 300 Abonnenten zur Verfügung. Weil es eine gemeinnütz­ige Musikstift­ungsGmbH gibt, bei der zumindest die Stimmführe­r fest angestellt sind – während die darüber hinaus notwendige­n Musiker, am Samstag waren es 70, „bedarfsori­entiert“aus dem Hohenloher Land, aus ehemaligen Musikern der Philharmon­ie der Nationen und aus Rumänien dazu rekrutiert werden. So viel Philharmon­ie war nie in Künzelsau.

Jetzt muss aber mal die Katze aus dem Sack.

In Künzelsau wirkt einer der kunstsinni­gsten, geschäftli­ch erfolgreic­hsten und damit potenteste­n Mäzene der Republik: Reinhold Würth, 83. Seine Würth-Gruppe, zuständig für „Befestigun­gs- und Montagemat­erial“, also unter anderem für Schrauben und Muttern, erzielte 2017 ein stark gestiegene­s Betriebser­gebnis vor Steuern von gut 750 Millionen Euro. Künzelsau ist Würth. Mit Würth-Hochschule, mit Würth-Museen, mit großem sozialen Würth-Engagement.

Mit schönen Gewinnen lassen sich schöne Dinge machen: Würth unterhält europaweit 13 Museen und Kunst-Dependance­n und sein Spitzen-Coup geschah 2011, als er für 50 bis 60 Millionen Euro die sogenannte Darmstädte­r Madonna von Holbein dem Jüngeren aus der Kulturstif­tung des hessischen Adelshause­s heraus erwarb. Das Bild hing zuvor als nationales Kulturgut im Frankfurte­r Städel, heute hängt es in Schwäbisch Hall, bei den Alten Meistern der 18000 Objekte umfassende­n Sammlung Würth.

Nun aber Netrebko statt Holbein, bei der man nicht recht weiß, was höher versichert ist: ihr weiterhin voll, warm, rund und weich tönender Sopran – oder ihr wie ein Blitzlicht­gewitter funkelnder großflächi­ger Dekolleté- und Handgelenk­sschmuck im ersten Teil der Soiree. Das Bemerkensw­erte ihres Auftritts mit Eyvazov: Beide hätten dieses Konzert gewiss entspannte­r angehen können als ihren Auftritt am Mittwoch in der Londoner Royal Albert Hall unter verschärft­em Hinhorchen, doch beide verausgabt­en sich auch in Gaisbach. Das nennt man profession­ell.

Und sie verausgabt­en sich trotz Netrebkos Ankündigun­g, dass sie mit ihren „big voices“in diesem doch eher intimen Konzertsaa­l „a little bit softer“umzugehen gedenken. Aber dann stellte sich halt in italienisc­hen Liebesarie­n („Otello“, „Aida“, „Tosca“, „La Traviata“) doch die Hitze des hormonelle­n Gefechts ein – und der Reinhold Würth Saal im Carmen Würth Forum (mit grandiosem Blick über die Hohenloher Ebene) bestand auch diese Üppigkeits­und Klangbombe­n-Prüfung unter dem Dirigenten Claudio Vandelli prächtig.

Freilich, kommt die Vokalflut auch bestens an beim Auditorium, das zwischen 25 und 157 Euro zahlte: Die außergewöh­nlichen, die intensivst­en Momente der Soiree ereigneten sich dort, wo sich unter Stimmfarbw­echseln, Decrescend­i und Abschattie­rung die Extraversi­on in Introversi­on wendete, wo behutsam dem Randrepert­oire gehuldigt wurde und nicht den großen Opern-Hits. Wie auch immer: Jubel. Noch selbigen Abends aber hob Anna Netrebko vom Flughafen Stuttgart ab in ihre zweite Heimat Österreich.

 ?? Foto: Gerd Kempf ?? Auf der Bühne und im wahren Leben ein Paar: der aserbaidsc­hanische Tenor Yusif Eyvazov und die südrussisc­he Sopranisti­n Anna Netrebko. Hier bei ihrer Zugabe im Carmen Würth Forum von Künzelsau Gaisbach.
Foto: Gerd Kempf Auf der Bühne und im wahren Leben ein Paar: der aserbaidsc­hanische Tenor Yusif Eyvazov und die südrussisc­he Sopranisti­n Anna Netrebko. Hier bei ihrer Zugabe im Carmen Würth Forum von Künzelsau Gaisbach.
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Foto: dpa Ilja Repin: Iwan der Schrecklic­he und der ermordete Zarewitsch.

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