Illertisser Zeitung

„Wir haben fast nie ehrlich verhandelt“

Obwohl er vor 19 Jahren seinen Dienst als israelisch­er Botschafte­r in Deutschlan­d beendet hat, ist Avi Primor eine der profiliert­esten Stimmen seines Landes geblieben. Das liegt auch an den kritischen Tönen gegenüber der eigenen Regierung

- Was verhindert den Frieden heute? Was wäre ein echtes Zugeständn­is? Warum? Interview: Till Hofmann

Sie sind jetzt 83 Jahre alt. Werden Sie es noch erleben, dass es im Nahen Osten Frieden gibt?

Das ist die entscheide­nde Frage. Wir leben im Kriegszust­and seit unserer Unabhängig­keit vor 70 Jahren. Nicht dass es vorher so ruhig war. Aber vorher waren die Briten da und haben geherrscht. Jetzt ist es so: Viele Jahre konnten wir keinen Frieden haben, weil unsere Nachbarn die Existenz eines jüdischen Staates nicht hinnehmen wollten. Sie wollten den Staat Israel im Keim ersticken, was ihnen nicht gelang. Nach dem Unabhängig­keitskrieg 1948 kam noch einer und noch einer. Ägypten hat mit uns inzwischen Frieden geschlosse­n, Jordanien hat mit uns Frieden geschlosse­n, die Golfstaate­n – zwar nicht offiziell, aber in der Tat. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite haben auch wir einen Teil Palästinas erobert, den Teil, der nach 1948 Teil Jordaniens geworden ist. Und wir herrschen dort bis heute. Dort leben Millionen Palästinen­ser. Sie haben keine Wahlberech­tigung, leben unter militärisc­her Besatzung. Die Araber Palästinas, die 1948 bei uns blieben, sind israelisch­e Bürger geworden. Die waren damals 150000 und sind heute eineinhalb Millionen. Ob sie mit der israelisch­en Staatsbürg­erschaft glücklich sind oder nicht, das ist eine andere Frage. Ich glaube, dass sie nicht sehr glücklich sein können, solange es keinen Frieden mit den arabischen Nachbarn gibt. Aber: Sie können alles tun, können fast überall arbeiten; in den Geheimdien­sten zum Beispiel nicht.

Seitdem wir das Westjordan­land erobert haben, das ist jetzt über 50 Jahre her, waren wir nicht mehr bereit, einen echten und akzeptable­n Kompromiss mit unseren Nachbarn zu schließen.

Auf das Westjordan­land zu verzichten. Vielleicht auch, den Gazastreif­en anders zu behandeln. Das zweite kann kommen, weil wir dort nicht mehr sitzen.

Mit wem müsste man den Kompromiss bezüglich des Westjordan­landes schließen?

Anfänglich waren es die Jordanier, mit denen haben wir auch verhandelt. Aber ich muss sagen, dass wir nicht offen genug waren, weil es sehr viel Druck bei uns gab, das Land nicht zurückzuge­ben aus historisch­en Gründen, aus religiösen und nationalis­tischen Gründen. Dann kam die Siedlungsb­ewegung dazu, also ist es noch schwierige­r geworden. Schließlic­h verlor der jordanisch­e König das Interesse an dem Land, das er nicht mehr hatte – und verwies uns an die Palästinen­ser, die dort einen Palästinen­serstaat gründen wollten, was der König durchaus nachvollzi­ehen konnte. Tatsache ist: Wir haben auch diese Verhandlun­gen fast nie ehrlich geführt. Olmert hat ehrlich mit den Palästinen­sern verhandelt, Rabin und Peres haben es begonnen. Aber dann kam der Likud an die Macht. Und bei denen ging es überhaupt nicht.

Hat der aktuelle Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu kein Interesse?

Obwohl er mehrfach versproche­n hat, dass man Kompromiss­e erreichen würde. Ich erzähle ih- eine Geschichte, obwohl ich das nicht erzählen sollte. Das ist jetzt aber in einem Buch über Netanjahu veröffentl­icht worden, das in Israel ein Bestseller ist. Der Premiermin­ister kommt insgesamt nicht gut weg. Der Autor schreibt da etwas über mich: Netanjahu kam nach Deutschlan­d, als ich dort Botschafte­r war. Er war während meiner Zeit zwischen 1993 und 1999 viermal in Bonn. Über was ich berichte, ist ein Gespräch Netanjahus mit Bundeskanz­ler Kohl. Ich war dabei, habe übersetzt. Und ein paar Stunden später hat mich ein Führer der israelisch­en Opposition angerufen und gefragt, wie das Gespräch verlaufen sei. Ich habe geantworte­t – ich kenne ihn ganz gut, muss ich dazu sagen: „Hätte ich meine Augen geschlosse­n und nicht gewusst, wer da spricht, hätte man meinen können, du seist es gewesen.“Damit will ich Netanjahus Handlungsp­rinzip verdeutlic­hen: Im Ausland sagt er jedem Gesprächsp­artner das, was er meint, dass dieser Partner hören möchte. Deshalb sind ja auch viele Politiker in der Welt von ihm begeistert: „Er ist doch vernünftig, er ist doch kompromiss­bereit“, sagen sie. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass er es überhaupt nicht im Sinn hat. Und heute kann er seine Position auch durchsetze­n.

Er führt eine Koalition, wie wir sie noch nie in der Geschichte Israels hatten – mit dem ganzen rechten Lager einschließ­lich des extrem rechten Lagers, einschließ­lich der Ultraortho­doxen. Die meisten Israelis wären kompromiss­bereit und würden für „richtigen Frieden“auf die Mehrheit der besetzten Gebiete verzichten. Aber die Mehrheit sagt in Meinungsum­fragen auch: Das ist nicht möglich, weil die Araber keinen Frieden wollen, weil die Palästinen­ser Terroriste­n sind. Das Argument der Sicherheit­sproblemat­ik entspricht der offizielle­n Propaganda.

Man war sich schon viel näher.

Jahrzehnte­lang hatte man uns erzählt, mit der PLO spricht man nicht – das sind Mörder, Vernen brecher. Es wurde der Bevölkerun­g regelrecht eingeimpft. Und dann wurde 1993 ohne Vorwarnung über die Medien verbreitet, die Rabin-/ Peres-Regierung verhandle nun doch mit den Palästinen­sern. Man sollte davon ausgehen, dass die Menschen in Israel nach ihrer langjährig­en „Erziehung“Sturm gelaufen wären. Aber nichts ist geschehen. Das bedeutet, dass die Israelis mit ihrer Regierung gehen. Ist sie nationalis­tisch, sind auch sie es. Ist sie kompromiss­bereit, sind auch sie es.

Die Regierung ist Ihnen zufolge aus ideologisc­hen Gründen nicht bereit, das Westjordan­land den Palästinen­sern zu überlassen. Wie ist es mit der Lösung, Araber wie bereits 1948 bei der Staatsgrün­dung als gleichbere­chtigte Bürger aufzunehme­n?

Die Frage, was mit der Bevölkerun­g passiert, ist unbeantwor­tet. Würden wir den Palästinen­sern die israelisch­e Staatsange­hörigkeit geben, würden sie angesichts ihrer Geburtenra­ten in 20 Jahren die Mehrheit des Landes stellen und

„Seitdem wir das Westjordan­land erobert haben, waren wir nicht mehr bereit, einen echten und akzeptable­n Kompromiss mit unseren Nachbarn zu schließen.“

Avi Primor „Präsident Trump hat bei der Verlegung der US Botschaft nach Jerusalem nicht an uns gedacht, sondern an die Fundamenta­listen in Amerika. Was haben wir ge wonnen? Stolz.“ Avi Primor

könnten im Parlament in Jerusalem den Staat Israel legal abschaffen.

Wie wurde die Entscheidu­ng von USPräsiden­t Donald Trump aufgenomme­n, die amerikanis­che Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen?

Es war die große Begeisteru­ng. Ich persönlich sage Ihnen, er hat es gar nicht für uns getan. Er hat nicht an uns gedacht, sondern an die Fundamenta­listen in Amerika, die es ihm als Bedingung gestellt haben während des Wahlkampfe­s. Er wollte nun zeigen, dass er sein Wort hält. Was haben wir gewonnen? Stolz.

Ich komme zum Anfang unseres Gesprächs zurück: Hat unter diesen Rahmenbedi­ngungen der Frieden im Nahen Osten eine reelle Chance oder bleibt er nur ein frommer Wunsch?

Heute ist das nur ein frommer Wunsch. Aber das muss nicht so bleiben. ● war von 1993 bis 1999 Botschafte­r Israels in Deutschlan­d – Primors letzte Station im diplomatis­chen Dienst. Claus von Amsberg, der später Königin Bea trix heiratete, zählte zu seinen bes ten Freunden. Primor lebt in Tel Aviv.

 ?? Foto: Hofmann ?? Avi Primor war sechs Jahre Botschafte­r Israels in Deutschlan­d. Noch heute ist der Diplomat ein gefragter Gesprächsp­artner. Am Sonntag hielt er einen Vortrag in Ichenhause­n. Gestern sprach er vor Schülern und an der Universitä­t in Augsburg.
Foto: Hofmann Avi Primor war sechs Jahre Botschafte­r Israels in Deutschlan­d. Noch heute ist der Diplomat ein gefragter Gesprächsp­artner. Am Sonntag hielt er einen Vortrag in Ichenhause­n. Gestern sprach er vor Schülern und an der Universitä­t in Augsburg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany