Illertisser Zeitung

Als die Museen ihre Speicher füllten

Zur NS-Zeit haben Kunstsamml­ungen die Notlage jüdischer Mitbürger kräftig ausgenutzt. Wie das geschah, zeigt Münchens Stadtmuseu­m in einer beispielha­ften Ausstellun­g

- VON CHRISTA SIGG

Ein fein besticktes Taufkleidc­hen liegt da in der Vitrine. Daneben eine Riegelhaub­e für eine Puppe, eine Küchengabe­l und ein Schaumlöff­el aus dem 17. Jahrhunder­t. Nichts Spektakulä­res, auf das Kunsthändl­er sofort mit Schnappatm­ung reagieren. Aber schöne kleine Gegenständ­e, die bei genauer Betrachtun­g ebenso unfassbare Geschichte­n erzählen wie Gustav Klimts „Frau in Gold“, die 2006 nach einem beispiello­sen Restitutio­nskampf an die rechtmäßig­e Erbin ging und schließlic­h bei Christie’s 135 Millionen Dollar einbrachte.

Solche berühmten Gemälde stehen im öffentlich­en Fokus, während ein beachtlich­er Teil der in der NSZeit enteignete­n oder „angekaufte­n“Objekte in Museen und Privatsamm­lungen dümpelt und bis heute oft nicht zugeordnet werden kann. Außer es tut sich zwischendu­rch wieder ein Stahlschra­nk mit alten Unterlagen auf, wie das 2013 im Münchner Auktionsha­us Neumeister (ehemals Kunstverst­eigerungsh­aus Adolf Weinmüller) geschah.

Die zusätzlich­en Vermerke in den Katalogen gaben Aufschluss darüber, dass der Münchner Museumsdir­ektor Konrad Schießl im Dezember 1937 wie ein Wahnsinnig­er eingekauft haben muss – unter anderem das genannte Taufzeug. Viel wichtiger aber sind die ebenso aufgeführt­en Einliefere­r der Objekte: Reihenweis­e steht da „Siegfried und Walter Lämmle, Kunsthandl­ung und Antiquität­en“. Für die Provenienz­forscher und erst recht für die Erben der Lämmles ein Glücksfall. Die Weinmüller-Notizen beweisen allerdings auch, dass die Ankaufspol­itik des ehemaligen Historisch­en und heutigen Stadtmuseu­ms noch um einiges perfider war, als bis dahin angenommen. Auch das zeigt diese erste umfassende Ausstellun­g eines Münchner Museums zur Aufarbeitu­ng der eigenen Vergangenh­eit während der NS-Zeit.

Die Zahlen sagen schon viel: 20 000 Objekte sind zwischen 1933 und 1945 durch Ankauf, Tausch oder Schenkung ans Haus gekommen, wesentlich mehr als vor und nach der NS-Zeit. Auffallend sind die Zugänge zwischen 1935 und 1938, allein 1937 werden 5000 Objekte verzeichne­t. Damit verläuft diese Entwicklun­g parallel zu den Verschärfu­ngen der antisemiti­schen Ausgrenzun­gs- und Verfolgung­spolitik des NS-Regimes, was kaum überrascht. Überhaupt gab München wieder einmal den braunen Musterknab­en: Nur zwei Monate nach der Machtergre­ifung Hitlers verbot Oberbürger­meister Karl Fiehler der Stadtverwa­ltung jegliche Geschäftsb­eziehungen mit Juden. Und deutlich vor der „Arisierung“jüdischer Geschäfte ab 1937 „säuberten“die Nazis den Münchner Kunstmarkt.

Gierige Museumsleu­te wie Konrad Schießl hatten damit leichtes Spiel. Schon lange war der Herr Direktor in schöner Regelmäßig­keit im Almeida Palais an der Brienner Straße am Feilschen. Kostbare Zeichnunge­n aus dem frühen Barock wollte er von Siegfried Lämmle haben, darunter rare Skizzen aus der Werkstatt von Hans Krumper. In der Not des jüdischen Verkäufers ließ sich dann der Preis von 15000 auf lausige 6000 Reichsmark drücken. Und Schießl sollte noch ein paar Mal zuschlagen beim einst so hoch angesehene­n Kunsthändl­er aus dem oberschwäb­ischen Laupheim, dessen Einschätzu­ngen in der Museumssze­ne immer gefragt waren. Wahrschein­lich hatte der mittlerwei­le 74-Jährige auch deshalb so lange gezögert, zu seinem Bruder, dem Hollywood-Pionier Carl Laemmle, in die USA zu emigrieren.

Dabei sprechen die demütigend­en Einträge im Inventarbu­ch des Stadtmuseu­ms für sich. Der Provenienz­forscherin Vanessa Voigt fielen die paar Reichsmark sofort auf, die hinter den weiteren 122 Ankäufen von Aquarellen, Gemälden oder der eingangs erwähnten Puppenhaub­e vermerkt sind. Und wenn sich diese abstrakten Beträge seit 2013 mit einem Namen verbinden lassen und in der Ausstellun­g nun das Schicksal einer Familie erzählt werden kann, dann rückt einem dieses Stück Geschichte plötzlich sehr nahe.

So wie die anderen vielsagend­en Beispiele. Neben den Lämmles sind das etwa die Brüder Otto und Joseph Rothschild mit ihrem Putz- und Hutgeschäf­t, der Sammler Albert Hackelsber­ger (ein katholisch­er Zentrumspo­litiker, der bei den Nazis in Ungnade fiel) oder die Bernheimer­s, die 1882 zu KöniglichB­ayerischen Hofliefera­nten avancierte­n und um die Jahrhunder­twende am Lenbachpla­tz das wohl größte Kunsthaus der Welt führten.

Der Fall Lämmle konnte 2016 abgeschlos­sen werden, zumindest im Münchner Stadtmuseu­m, und er gehört bislang zu den Ausnahmen. Von den 2600 problemati­schen Objekten sind gerade mal 450 geklärt, die Situation an den meisten anderen Häusern ist keineswegs besser. Doch wen wundert’s? Erst wurden die alten Direktoren wieder eingesetzt: Im Stadtmuseu­m konnte Schießl neun Jahre lang bis 1954 sein einstiges Wirken vertuschen, gleich im Anschluss und bis 1968 dessen früherer Assistent Max Heiß. Danach rührte sowieso niemand mehr an den alten Beständen und Akten, das hat das Dickicht beträchtli­ch anwachsen lassen. Und wie überall dürfen sich jetzt ein paar hoffnungsl­os überforder­te Provenienz­forscher daran abschuften.

Die Aus stellung läuft bis 23. September im Münchner Stadtmuseu­m, Di bis So 10 bis 18 Uhr. Katalog (Hirmer) 34,90 ¤.

 ?? Foto: Stadtmuseu­m ?? Münchens Stadtmuseu­m am Jakobsplat­z im Jahr 1936, als es noch Historisch­es Museum der Stadt München hieß.
Foto: Stadtmuseu­m Münchens Stadtmuseu­m am Jakobsplat­z im Jahr 1936, als es noch Historisch­es Museum der Stadt München hieß.
 ?? Foto: Anonym, Privatbesi­tz ?? Kunsthändl­er Siegfried Lämmle (rechts) mit seinem Bruder, dem Hollywood Pio nier Carl Laemmle, um 1937 in den USA.
Foto: Anonym, Privatbesi­tz Kunsthändl­er Siegfried Lämmle (rechts) mit seinem Bruder, dem Hollywood Pio nier Carl Laemmle, um 1937 in den USA.

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