Die Auserwählten
Beim Streichen von Leno, Petersen, Sané und Tah aus dem WM-Kader kommt sich der Bundestrainer vor wie bei einem 100-Meter-Lauf: Das Zielfoto entscheidet. Ein WM-Held steigt heute ins Teamtraining ein
Joachim Löw hörte sich an wie auf einer Beerdigung, er trug passendes Schwarz. Jetzt, sagte der Bundestrainer, käme es auch auf die Familie und die Angehörigen an, „denn sie müssen die Spieler auffangen. Die Enttäuschungen sind schon sehr, sehr groß“. Keine Angst. Dahingeschieden ist niemand, beerdigt wurden unter der Sonne Südtirols lediglich die WM-Träume von Bernd Leno, Jonathan Tah (beide Bayer Leverkusen), Nils Petersen (SC Freiburg) und Leroy Sané (Manchester City). Das Quartett ist am Montag bereits abgereist.
Die Bekanntgabe der Streichliste im Medienzentrum in Girlan war eine ungewöhnliche Veranstaltung, denn Fragen der Journalisten waren nicht zugelassen. So gab der Bundestrainer gegen Ende seines Monologs und nach einem Espresso zwar die vier Namen bekannt, bei der Begründung verstieg er sich jedoch nur ins Ungefähre: Er müsse eben das große Ganze im Blick haben. Alle hätten herausragende Fähigkeiten, sehr knapp sei alles gewesen: „Wie bei einem 100-m-Lauf bei Olympia, wenn das Zielfoto entscheiden muss.“
Doch Löw wäre nicht Löw, wenn er nicht auch eine Überraschung mitgebracht hätte ins Medienzelt: Dass der 22-jährige Verheißungsstürmer Leroy Sané nicht zum Aufgebot weiterzuarbeiten, für das Turnier bevorzugte der Bundestrainer jedoch neben dem gesetzten Stürmer Timo Werner (RB Leipzig) den Stuttgarter Mario Gomez: „Er ist in einer sehr guten Form“, so Löw, „sehr abschlussstark und körperlich sehr präsent im Training“. Drei Spieler für diese Position mitzunehmen, „wäre nicht ideal“.
Klar ist seit Montag auch, dass die deutsche Nationalelf die Mission fünfter WM-Titel mit ihrem Kapitän Manuel Neuer angehen wird. Der Torhüter, der nach einem Mittelfußbruch im Herbst erst auf der Zielgeraden fit geworden ist, war nach dem Österreich-Spiel direkt nach München zur ärztlichen Untersuchung gereist. Die Diagnose: Daumen hoch. Er sei mit seinem Fitnesszustand und der Form sehr zufrieden, sagte Neuer, „ich mache mir über die Verletzung keine Gedanken mehr. Das Risiko zu spielen ist nicht größer als bei jedem anderen Spieler“.
Für Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona bleibt nur die Reservistenrolle.
Jogi Löw scheint ein Faible für Überraschungen zu haben. Während der Bundestrainer seit einiger Zeit bei seinen Aufstellungen auf allzu große Rotation verzichtet, sind Kadernominierungen für ihn eine willkommene Gelegenheit, der Öffentlichkeit einen medialen Chinaböller vor die Füße zu werfen. Das war bei der Nominierung des WM-Kaders so: Neben drei wenig überraschenden Personalien (Petersen, Tah, Leno) war die NichtNominierung von Leroy Sané eine dicke Überraschung. Es ist eine mutige Entscheidung, mit der sich Löw selbst unter Druck setzt.
Für Sané hätte es gleich mehrere gute Gründe gegeben: Der 22-Jährige ist Stammspieler in Pep Guardiolas Star-Ensemble von Manchester City. Mit dem Team wurde
Julian Brandt erhält Vorzug vor Leroy Sané Fokus richtet sich auf das Spiel gegen Mexiko