Die Aussortierten
Der Bundestrainer hat vor jedem Turnier Härtefälle in Kauf genommen. Meist traf es junge Talente
für die WM in Russland gehören wird, war nicht zu erwarten gewesen. Der Ex-Schalker gehört beim englischen Meister Manchester City zum Stammaufgebot, Trainer Pep Guardiola schenkt ihm großes Vertrauen. In der abgelaufenen Premier-League-Saison kam Sané auf 32 Einsätze, er erzielte 14 Tore und gab 19 Vorlagen. Doch der Bundestrainer betonte auch in der Vergangenheit, dass Leistungen im Verein nicht die einzige Währung ist, die er gelten lässt: Wie funktioniert der Spieler in der Nationalmannschaft? Das zählt bei Löw mehr als alles andere, und da sah er offenbar Defizite bei Sané.
Für Joachim Löw ist das Streichen von Spielern aus dem endgültigen Turnieraufgebot nichts Neues. Seit der Beförderung zum Bundestrainer 2006 hat er vor jedem Turnier einen Kader mit mehr als 23 Fußballern nominiert. Bei seiner finalen Auswahl „4 aus 27“für die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland sagte Löw am Montag im Trainingslager in Südtirol: „Die Entscheidung war wahnsinnig knapp.“20 Feldspieler und drei Torhüter erhielten am Montag ihr WM-Ticket.
Die schlechte Botschaft für Torwart Bernd Leno, Nils Petersen, Jonathan Tah und Leroy Sané überbrachte Löw persönlich. „Ich spreche ja nicht mit einem Mats Hummels, Jérôme Boateng oder Jo Kimmich an diesem Morgen, sondern mit den Spielern, die gehen“, hatte er zuvor schon gesagt und anschließend von „sehr, sehr großer Enttäuschung“bei den vier Gestrichenen berichtet.
Meist traf es die ins Trainingscamp mitgenommenen Talente. Echte A-Promis sortierte er noch nicht aus – auch wenn die Heimreise
Als sich ein kleiner Kreis an Journalisten beim kurzen Gang vom Medienzelt zum Bus von Joachim Löw nicht abschütteln ließ, ging der Coach doch noch etwas ins Detail: Sané sei bei seinen Einsätzen im Nationalteam „noch nicht richtig angekommen, das hat vielleicht ein bisschen den Ausschlag gegeben“. Den Ausschlag zugunsten von Julian Brandt (Bayer Leverkusen), dem Löw eine gute Entwicklung und gute Trainingsleistungen attestierte. Brandt habe durch das Turnier um den Confed Cup im vergangenen für Sané schon überraschend kam. Große Namen schieden meist durch Verletzungen aus, wie Kapitän Michael Ballack vor der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. ● (EM in Österreich/ Schweiz): Für die Vorbereitung auf sein erstes Turnier als Cheftrainer nominiert Löw 26 Spieler. Nach dem 2:2 im Testspiel gegen Weißrussland streicht er auf Mallorca den Schalker Jermaine Jones, den Kölner Patrick Helmes und den Gladbacher „Zauberlehrling“Marko Marin. „Es war nur ein Sandkorn, das die Waage auf diese Seite ausschlagen ließ“, sagt Löw. Das Casting habe sich aber bewährt. „Wir würden es wieder tun, 26 Spieler mitzunehmen.“● (WM in Südafrika): Vor seiner ersten WM beruft Löw sogar 27 Akteure. Im Trainingscamp in Südtirol muss er am Ende aber nur den Hoffenheimer Außenverteidiger Andreas Beck streichen. Grund ist Verletzungspech: Kapitän Ballack, Christian Träsch und Heiko Westermann fallen für das Turnier in Südafrika aus. „Er ist tief enttäuscht“, Jahr einen Sprung gemacht. Der Kader für die Titelverteidigung müsse ausgewogen sein, so der Bundestrainer weiter, „wir können nicht hinten in der Verteidigung einen wegnehmen und dafür noch einen offensiven Spieler mitnehmen. Man kann nicht alles umdrehen, man muss diese harten Entscheidungen treffen“.
Mit Tränen, berichtete Petersens Vater dem habe sein Sohn Nils das Aus aufgenommen. Nicht wenige hatten damit gerechnet, dass der 29-Jährige Löws Turnier-Joker sagt Löw über Beck, den einzigen echten Verlierer. ● (EM in Polen und Ukraine): Wieder beruft Löw 27 Akteure für die Turniervorbereitung. Das Streichquartett bilden in Südfrankreich Routinier Cacau sowie die Talente Marc-André ter Stegen, Julian Draxler und Sven Bender. Der damals 20-jährige Torwart ter Stegen spricht von „einer interessanten Erfahrung“. Er hat immerhin zuvor sein Länderspieldebüt erlebt – beim 3:5 im Test gegen die Schweiz. ● (WM in Brasilien): 30 Spieler nominiert Löw anfangs. Nach dem 0:0 im Test gegen Polen dürfen 27 mit ins Trainingslager: Die Schalker Max Meyer und Leon Goretzka sowie der lange verletzte Hamburger Marcell Jansen fallen raus, zudem ersetzt der Gladbacher Christoph Kramer den Augsburger André Hahn. Der Leverkusener Lars Bender verletzt sich beim Training in Südtirol. Marcel Schmelzer sowie die Neulinge Kevin Volland und Shkodran Mustafi streicht Löw. Mustafi wird trotzdem noch Weltmeister. Den Verteidiger nominiert werden könnte. Der Freiburger, mit 15 Toren bester deutscher Stürmer der vergangenen Bundesliga-Saison, war aus dem Mallorca-Urlaub zurückgeholt worden. Löw pries die Vorzüge des Stürmers, der vor allem in Notsituationen eine Option gewesen wäre: Petersens Qualitäten als Einwechselspieler sind überragend. Der Neuling habe ein paar kleine Probleme gehabt mit der Akklimatisierung in der Nationalelf, verriet der Coach, „aber er ist von Tag zu Tag besser geworden“. Löw sagte, es lohne sich mit Petersen im Herbst Löw für Marco Reus nach. Der Dortmunder verletzte sich einen Tag vor der Abreise nach Brasilien Das letzte Vorbereitungsspiel am Freitag in Leverkusen gegen Saudi-Arabien wird auch für die Nummer eins zum letzten Härtetest. Das Comeback-Spiel gegen Österreich sei für ihn persönlich „sehr wichtig“gewesen, betonte Neuer, ebenso das „ehrliche Feedback der Mitspieler und Trainer“. Mit seinem Leistungsstand vor seiner dritten WM als Deutschlands Nummer 1 sei er „aktuell sehr zufrieden“, sagte Neuer.
Der Stamm der 2014er Weltmeister von Rio um eben Neuer, Mats Hummels, Sami Khedira, Mesut Özil, Thomas Müller und Jerome Boateng, der am Dienstag ins Mannschaftstraining einsteigen wird, soll es also richten in Russland. „Seine Verletzung ist völlig ausgeheilt“, berichtete Löw über Bayern-Verteidiger Boateng.
Alles ist ausgerichtet auf das erste Gruppenspiel der Weltmeisterschaft gegen Mexico am 17. Juni. Löws Blick geht nur noch nach vorne, nicht mehr zurück. im letzten Testspiel gegen Armenien schwer. ● (EM in Frankreich): Für den verletzten Marco Reus platzt wieder ein Turniertraum. Auch Sebastian Rudy, Julian Brandt und Karim Bellarabi schaffen es nicht in den Kader. Der Härtefall ist aber Reus, dem Löw die „bittere Entscheidung“an dessen 27. Geburtstag im Trainingscamp in der Schweiz mitteilen muss. „Er kann nur geradeaus laufen“, äußert Löw über den Zustand von Reus. Bei den angeschlagenen Stammkräften Bastian Schweinsteiger und Mats Hummels geht Löw dagegen ins Risiko. Das Duo nimmt er mit nach Frankreich. ● (WM in Russland): Auf der Pressekonferenz im Trainingslager in Eppan berichtet Löw von „sehr, sehr großer“Enttäuschung bei den vier Profis, mit denen er am Montagmorgen sprach. Torwart Bernd Leno, Freiburgs Angreifer Nils Petersen, Verteidiger Jonathan Tah und überraschend auch Leroy Sané vom englischen Meister Manchester City müssen abreisen. der ehemalige Schalker in der vergangenen Saison englischer Meister. Die Profis der Premier League wählten Sané zudem zum besten Nachwuchsspieler. Der Branchendienst Transfermarkt listet ihn mit einem Marktwert von 90 Millionen Euro auf. Kein anderer deutscher Spieler, nicht einmal Toni Kroos, ist höher eingestuft.
Zudem hat Sané eine Qualität, die kaum ein anderer Kicker in Löws Aufgebot hat. Er ist einer, der Situationen nahezu im Alleingang lösen kann: mit seiner Schnelligkeit, seiner Dribbelstärke. Einer, den man hineinwerfen kann, wenn sonst nichts mehr geht. Löw verzichtet nun darauf – zum völligen Unverständnis seines ehemaligen Kapitäns Michael Ballack. Der schrieb auf Twitter: „Leroy Sané, der beste junge Spieler in der Premier League, muss zu Hause bleiben. Jogi, nicht dein Sane-Tag heute?!“
Offenbar hat sich Sané im Vorfeld der WM verdribbelt. Löw ließ gestern keinen Zweifel daran, dass er mit der Entwicklung des Talents in der Nationalmannschaft nicht ganz zufrieden ist. Dessen Konkurrent Julian Brandt aus Leverkusen etwa hätte beim Confed Cup starke Leistungen gezeigt. Das Turnier vor einem Jahr hatte Sané, der bislang in keinem seiner Länderspiele überzeugen konnte, wegen einer nicht zwingend notwendigen Nasen-OP verpasst. Stattdessen nutzte er den Sommer dazu, um sich ein Tattoo von sich selbst in einer Jubelpose stechen zu lassen – über den ganzen Rücken. Nun ja.
Eines macht die Entscheidung von Löw nochmals klar: Der Bundestrainer hat keine Angst vor unpopulären Entscheidungen. Das kann auch sehr wertvoll sein.