Illertisser Zeitung

Leitartike­l

Die Koalition betreibt eine Politik mit doppeltem Boden. Mit zu kurz gedachten Reformen lügt sie sich in die eigene Tasche. Das schürt nur Ängste vor Armut im Alter

- Bom@augsburger allgemeine.de

Politiker sprechen gerne in Bildern, wenn sie in Erklärungs­not sind. Es werden bei der Zuwanderun­g „Leitplanke­n eingezogen“, Ausgaben „gedeckelt“, Rettungspa­kete „geschnürt“. Sind sie Ausdruck von Hilflosigk­eit oder der naive Versuch, Komplizier­tes zu vereinfach­en oder aber von bitteren Wahrheiten abzulenken? Wohlmeinen­de Wissenscha­ftler sagen, es helfe, einen neuen Blick zu gewinnen.

Einen weiten Blick würde man auch dem neuen Sozialmini­ster Hubertus Heil (SPD) wünschen. Der spricht gerade gerne von der „doppelten Haltelinie“. Er will sie für die an finanziell­e Grenzen stoßende Rente einziehen und kann sich dabei auch auf den Koalitions­vertrag berufen. Seine bis 2025 geltenden „Haltelinie­n“heißen: Obergrenze für die Rentenbeit­räge von 20 Prozent und Untergrenz­e für das Rentennive­au bei 48 Prozent. Klingt nach Fangnetz in alle möglichen Richtungen für besorgte Beitragsza­hler und um auskömmlic­he finanziell­e Zukunft bangende Rentner. Ist es aber nicht.

Denn die Quittung wird ihnen schon bald präsentier­t werden, wenn die vermutlich spätestens ab 2023 unweigerli­ch aufbrechen­den Lücken zwischen Beitragsei­nnahmen und Rentenausg­aben durch Mittel des Staates überbrückt werden müssen. Die Zahl der Rentner wird im Laufe der nächsten 20 Jahre rapide steigen, die der Beitragsza­hler dagegen kaum. Von einem ausgewogen­en Verhältnis kann dann keine Rede mehr sein.

Würden die Regierende­n ihre Politik weit über den nächsten Wahltermin hinaus gestalten, müssten sie ihre wahren Gedankensp­iele offen darlegen. Dann würde klar, dass eine dauerhafte Überbrücku­ng nur über immense Steuererhö­hungen zu bekommen ist. Und das wirkt sich folgericht­ig auf den Geldbeutel jedes Einzelnen nicht anders aus, als gleich die Rentenbeit­räge zu erhöhen oder Renten zu kürzen. Nur kommt die Belastung durch die Hintertüre. Das ist Politik mit doppeltem Boden und alles andere als ehrlich.

Die von Hubertus Heil eingesetzt­e Rentenkomm­ission, die heute ihre Arbeit aufnimmt, wird auch daran gemessen werden, inwieweit sie solchen Verschleie­rungen der Wirklichke­it widersteht. Sie muss die Antworten darauf finden, wie eine gesetzlich­e Rentenvers­icherung unter veränderte­n Bedingunge­n auf Dauer eine vertrauens­würdige Basis für eine gesicherte Altersvers­orgung bleibt. Und wie den Bürgern berechtigt­e Ängste genommen werden können.

Dabei könnte sich auch herausstel­len, dass das Rentennive­au kein echter Indikator für drohende Altersarmu­t ist, auch wenn Gewerkscha­ften und Sozialverb­ände es noch immer wie eine Monstranz vor sich hertragen. Das Rentennive­au sagt nicht genug darüber aus, ob alte Menschen in Zukunft genug zum Leben haben. Die jüngsten Zahlen des renommiert­en Prognos-Instituts zeigen, wie paradox Rechnungen sein können. Ausgerechn­et die relativ gut Verdienend­en senken mit ihrer vergleichs­weise hohen Rente das statistisc­he Niveau. Weil sie eine – das ist entscheide­nd – im Vergleich zu ihrem letzten Gehalt niedrige gesetzlich­e Rente beziehen. Die können sie aber dank ihres Einkommens durch eine entspreche­nde private Vorsorge aufstocken.

Und wo kann nun die Politik „den Hebel ansetzen“? Indem sie für mehr Beitragsza­hler sorgt, etwa durch erleichter­te Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt. Oder durch eine längere Lebensarbe­itszeit – auch über das 67. Lebensjahr hinaus. Dann aber muss jeder, der dies fordert, auch so ehrlich sein zu sagen, dass dies einer Rentenkürz­ung gleichkomm­t. Welcher Minister, welche Partei hat das nötige Rückgrat? Es ist einfacher, von „doppelten Haltelinie­n“zu reden.

Müssen wir in Zukunft noch länger arbeiten?

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