Wenn selbst das Geld für die Miete fehlt
Jährlich suchen tausend Ulmer wegen drückender Schulden Hilfe bei den städtischen Beratern. Manchen droht die Obdachlosigkeit. Heute findet ein Aktionstag zum Thema statt
Manchmal braucht es nur einen unglücklichen Zufall, und die Schuldenfalle schnappt zu. Der Partner stirbt und plötzlich ist die Wohnung zu teuer. Oder eine schwere Krankheit tritt auf. Das Einkommen bricht weg, die Kosten bleiben.
Barbara Beyer ist als Fachkoordinatorin der Stadt Ulm für die Schuldnerberatung zuständig. Um die tausend Fälle bearbeiten die städtischen Berater im Jahr. Deutschlandweit, das geht aus dem 2017 erschienenen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hervor, sind mehr als vier Millionen Bürger überschuldet.
Beyer kennt viele Fälle – auch die von verzweifelten Bürgern, die sich gar nicht mehr trauen, ihre Post zu öffnen. Schuldner bringen Plastiktüten zur Beratung mit, gefüllt mit gelben Briefumschlägen mit aufgedruckter Postzustellungsurkunde – Mahn- oder Vollstreckungsbescheide befinden sich darin.
Die Stadt teilt sich die Hilfe für Menschen in Geldnot mit der Diakonischen Bezirksstelle. Die Schuldnerberatung des evangelischen Verbands betreut alle, die ein Einkommen von mehr als 1140 Euro haben. Dann darf der Gläubiger einen Teil des Einkommens einbehalten. Alle, deren Einkünfte unter dieser Grenze liegen, bekommen in der städtischen Beratungsstelle Hilfe. Es sind Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Männer und Frauen mit einer niedrigen Rente.
Nicht immer ist es das Pech, das Schuldenberge wachsen lässt. Oft sind es auf Raten gekaufte Produkte, durch die das Geld fürs Leben nach und nach aufgebraucht wird. Eine neue Waschmaschine zum Beispiel. Und bei jungen Leuten häufig sündteure Handys und Handyverträge. Bleiben die Zahlungen an die Firmen aus, schnellen die Kosten durch Inkasso-Verfahren in die Höhe.
„Ein Hauptproblem, wenn das Geld nicht mehr reicht, weil diese Zahlungen drücken, sind die Mieten“, sagt Beyer. Wenn es so weit kommt, sind die Probleme gewaltig. Zahlungsrückstände bei Miete und Energieversorgung nennen die Berater Primärschulden. Diese Kosten müssen immer bezahlt werden, das ist aus Sicht der Ulmer Beraterin entscheidend.
Denn wenn Schuldner die Mietzahlungen einstellen, landet die Kündigung der Wohnung im Briefkasten. „Wenn dieser Weg erst einmal eingeschlagen ist, geht es Richtung Obdachlosigkeit“, sagt Beyer. Dann hilft oft nur noch der gute Draht, den die Schuldnerberater zum Jobcenter aufgebaut haben. Die Einrichtung kann Empfängern von Sozialleistungen ein zinsloses Mietschuldendarlehen gewähren, das nach und nach abgestottert wird. Die folgenden Zahlungen überweist das Jobcenter direkt an den Vermieter, statt das Geld wie üblich auszuzahlen. Das klappt aber nur, wenn der Vermieter mitspielt. Die meisdie ten in Ulm, sagt Beyer, seien so tolerant und sozial eingestellt, dass sie sich auf solche Vereinbarungen einlassen. Außer, es gibt auch andere Probleme: ständigen Lärm, Ärger mit der Hausgemeinschaft und Ähnliches. Jedes Jahr verlieren Menschen in Ulm ihre Wohnung. Zahlen nennt Barbara Beyer nicht.
Die Berater setzen sich mit den Schuldnern zusammen und suchen nach Lösungen. Sie machen Aufstellungen, wie viel Geld durch feste Ausgaben verplant ist. „Manchmal bleiben zum Leben nur noch 150 bis 200 Euro, weil der Rest in Ratenzahlungen steckt“, sagt Beyer. Die Berater prüfen auch, ob die Schuldner alle Leistungen erhalten, die ihnen zustehen. Haben sie Ansprüche auf Wohngeld oder andere Sozialleistung? Nutzen sie die Lobbycard, mit der beispielsweise Nahverkehrstickets und Einkäufe in Tafelläden oder bei der Neuen Arbeit vergünstigt sind?
Nicht immer lassen sich Schulden komplett abstreifen. Die Berater wollen den Menschen in Not deswegen auch darauf vorbereiten, mit ihren Schulden zu leben. „Weg mit den Schulden“ist deshalb auch Motto eines bundesweiten Aktionstags. Ein Motto, das bewusst mehrdeutig zu verstehen ist – als Weg und als weg.
Am heutigen Mittwoch, 6. Juni, informieren Schuldnerberater der Stadt und der Diakonie von 10 Uhr an, an zwei gemeinsamen Aktionsständen in der Fußgängerzone in der Ulmer Hirschstraße und bieten Gespräche an.