Für Handyfasten, gegen Borderline und Einsamkeit
Die Ulmer Uni-Psychiatrie feiert Geburtstag. Ihr Chef, Hirnforscher Manfred Spitzer, hat Ratschläge parat
„Handyfasten!“Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer rät angesichts der nahenden Urlaubssaison dazu, die Elektronik einfach mal auszuschalten: „Das ist gut für die Beziehung, das ist gut für jeden einzelnen User“, sagt der Psychiater und Neurologe. Eigentlich hat Spitzer an diesem Dienstagnachmittag anderes zu tun, als zu beraten, zu warnen oder zu fordern: Die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ulm, deren Ärztlicher Direktor Spitzer seit der Gründung ist, feiert ihr 20-jähriges Bestehen. Und doch nimmt sich Spitzer auch jetzt die Zeit, klare Signale von der Politik einzufordern: Sie müsse endlich dafür sorgen, dass die Gefahren der zunehmenden Digitalisierung benannt werden.
Mit ihrem Direktor hat die Psychiatrische Uniklinik einen in Talkshows gern gesehenen Gast, der immer wieder für Schlagzeilen gut ist: „Computer an Schulen machen die Schwachen noch schwächer, besser wird dadurch niemand“, sagte Spitzer jüngst. Studien zeigten, dass Gedrucktes für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen geeigneter sei. Wer etwas auf Papier lese, lerne besser. Smartphones machten krank. Mit Blick auf Google, Facebook & Co. formuliert er: „Dass wir die Gesundheit und die Bildung der nächsten Generation den Profitinteressen der fünf reichsten Firmen der Welt aus dem Silicon Valley überlassen, ist unverantwortlich.“
Die Psychiatrische Uniklinik bietet mehr als einen prominenten Chef: „Wir haben 69 Betten, eine Tagesklinik und die Ambulanz“, zählt Oberarzt Professor Roland Freudenmann auf. Die Schwerpunkte der Klinik liegen unter anderem in der Akut- und Notfallpsychiatrie, der Allgemeinpsychiatrie, der Psychotherapie, aber auch im Bereich der Neurostimulationsverfahren. Besonders an Bedeutung gewonnen hat in den vergangenen Jahren die Behandlung von Posttraumatische Belastungsstörungen, Borderline-Störungen oder ADHS.
Bis vor 20 Jahren gab es für psychisch schwer erkrankte Patienten im südöstlichen Baden-Württemberg keine universitäre Behandlungsmöglichkeit. Mit dem Ulmer Uniklinikum sollte die Lücke geschlossen werden. Spitzer erinnert sich: „Dann haben wir uns hingesetzt und uns gefragt: Wie gründet man eigentlich eine Psychiatrische Universitätsklinik? Wir alle hatten ja keine Erfahrung mit solchen Gründungen, aber machten das einfach, ohne irgendwelche alten Zöpfe.“Mit dem Schritt sollte auch ein weiterer Auftrag erfüllt werden: Der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen entgegenwirken.
Heute stellt sich die Psychiatrie auf neue Herausforderungen ein: „Wir behandeln Flüchtlinge mit Kriegserfahrungen, wir begleiten den demografischen Wandel, wir sehen immer mehr einsame Menschen in der Gesellschaft und beobachten, welche Auswirkungen Smartphones oder Glücksspiele haben“, blickt Oberarzt Freudenmann voraus. Er rät angesichts von Lärm und Stress zur Entschleunigung.
Die Einsamkeit in den Städten ist für Direktor Spitzer Grund genug für eine weitere Warnung. Seine These: Wer einsam ist, erkrankt häufiger als andere Menschen. Zudem breite sich Einsamkeit aus wie eine Epidemie. Spitzer rät: „Jeder will doch gebraucht werden. Darum kann man der Einsamkeit entgegenwirken, wenn man sich engagiert, beispielsweise Kindern vorliest, und wenn es nur für eine halbe Stunde pro Woche ist!“