Illertisser Zeitung

Ein Junge, ein Verbrechen und die Risse einer Stadt

Wie kann eine Mutter dabei zusehen, wie ihr Sohn von ihrem Freund und mehreren „Kunden“vergewalti­gt wird? In Staufen bei Freiburg fragen sich das die Menschen seit Monaten. Jetzt beginnt der Prozess. Der Vermieter der Frau hat schon viel zu erzählen

- VON MIRJAM MOLL

Das Kind soll für sie wie eine Sache gewesen sein, einen Namen brauchte es da nicht. In den bisherigen Vernehmung­en nannten sie es nur „den Jungen“. Was ist das für eine Mutter, die ihr Kind missbrauch­t und an Pädophile verkauft? Was ist das für ein Lebensgefä­hrte, der den Kleinen vergewalti­gt? Die Menschen in Staufen haben sich die Köpfe zerbrochen über diese Fragen. So viel Grausamkei­t in ihrem Städtchen, 8000 Einwohner, Breisgau-Romantik. Und jetzt der Prozess.

Woher Goethe seine Inspiratio­n für den Faust nahm, ist leicht nachzuvoll­ziehen. Vor dem Ort erhebt sich die Burgruine, das Wahrzeiche­n Staufens wenige Kilometer von Freiburg entfernt. An den Hängen wächst Spätburgun­der und Chardonnay. Der Wein blüht früh dieses Jahr, das könnte die Lese gefährden. Der Sommerrege­n droht die Trauben zur Fäule zu bringen, die Ernte wäre dahin. Der historisch­e Kern wird von einem Bach durchzogen, Kopfsteinp­flaster ziert die Fußgängerz­one, das Goethe-Haus, der Dekoladen Faust & Gretchen und die Faust-Apotheke erinnern an den berühmtest­en Einwohner, Doktor Johann Georg Faust, und die wohl auf die Souterrain-Wohnung nebenan. „Da brannte fast die ganze Nacht das Licht, das schien mir immer direkt ins Schlafzimm­er“, erinnert sie sich. Der Junge sei „immer lieb und nett“gewesen: „Da konnte einem nichts auffallen.“

Vielleicht, vermutet sie, hat die Mutter dem Kind eingebläut, nichts zu sagen. Die sei irgendwie „seltsam“gewesen, machte einen verwirrten Eindruck. Der Mann, der habe was Aggressive­s gehabt, erzählt die Nachbarin. Sie ist dabei auszuziehe­n, wie viele in dem Mietkomple­x. „Das ist hier ein Kommen und Gehen seit dieser Sache.“

Als Vermieter Henninges mitbekam, dass Christian L. dort ein und aus ging und irgendwann praktisch dort lebte („Der hat getrunken, geraucht und geschnarch­t“), versuchte er der Frau zu kündigen. Doch das Gericht lehnte seine Klage auf Eigenbedar­f ab, sein erwachsene­r Sohn durfte nicht einziehen. Inzwischen spitzte sich die Situation zu, häufiger sei es zu „Auseinande­rsetzungen“gekommen. Henninges erzählt von Schreien des Kindes. „Ich will nicht“, soll es gerufen haben.

Als das Paar verhaftet wurde, räumte der Arzt die Wohnung. „Sie glauben nicht, wie es da ausgesehen hat.“Fotos hat er nicht mehr, eine Boulevardz­eitung habe seine Speicherka­rte

Der Angeklagte spricht. Aber Reue ist das nicht Der Arzt ist sauer – vielleicht auch auf sich selbst

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Foto: Winfried Rothermel, Imago Ein Riss und eine Art Pflaster – Folge missglückt­er Geothermie Bohrungen in Staufen im Breisgau. Mehr als 250 Häuser waren betroffen. Aber man kann das hier auch sym bolisch sehen für das, was der Missbrauch­sfall mit der Stadt gemacht hat.

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