Ein Junge, ein Verbrechen und die Risse einer Stadt
Wie kann eine Mutter dabei zusehen, wie ihr Sohn von ihrem Freund und mehreren „Kunden“vergewaltigt wird? In Staufen bei Freiburg fragen sich das die Menschen seit Monaten. Jetzt beginnt der Prozess. Der Vermieter der Frau hat schon viel zu erzählen
Das Kind soll für sie wie eine Sache gewesen sein, einen Namen brauchte es da nicht. In den bisherigen Vernehmungen nannten sie es nur „den Jungen“. Was ist das für eine Mutter, die ihr Kind missbraucht und an Pädophile verkauft? Was ist das für ein Lebensgefährte, der den Kleinen vergewaltigt? Die Menschen in Staufen haben sich die Köpfe zerbrochen über diese Fragen. So viel Grausamkeit in ihrem Städtchen, 8000 Einwohner, Breisgau-Romantik. Und jetzt der Prozess.
Woher Goethe seine Inspiration für den Faust nahm, ist leicht nachzuvollziehen. Vor dem Ort erhebt sich die Burgruine, das Wahrzeichen Staufens wenige Kilometer von Freiburg entfernt. An den Hängen wächst Spätburgunder und Chardonnay. Der Wein blüht früh dieses Jahr, das könnte die Lese gefährden. Der Sommerregen droht die Trauben zur Fäule zu bringen, die Ernte wäre dahin. Der historische Kern wird von einem Bach durchzogen, Kopfsteinpflaster ziert die Fußgängerzone, das Goethe-Haus, der Dekoladen Faust & Gretchen und die Faust-Apotheke erinnern an den berühmtesten Einwohner, Doktor Johann Georg Faust, und die wohl auf die Souterrain-Wohnung nebenan. „Da brannte fast die ganze Nacht das Licht, das schien mir immer direkt ins Schlafzimmer“, erinnert sie sich. Der Junge sei „immer lieb und nett“gewesen: „Da konnte einem nichts auffallen.“
Vielleicht, vermutet sie, hat die Mutter dem Kind eingebläut, nichts zu sagen. Die sei irgendwie „seltsam“gewesen, machte einen verwirrten Eindruck. Der Mann, der habe was Aggressives gehabt, erzählt die Nachbarin. Sie ist dabei auszuziehen, wie viele in dem Mietkomplex. „Das ist hier ein Kommen und Gehen seit dieser Sache.“
Als Vermieter Henninges mitbekam, dass Christian L. dort ein und aus ging und irgendwann praktisch dort lebte („Der hat getrunken, geraucht und geschnarcht“), versuchte er der Frau zu kündigen. Doch das Gericht lehnte seine Klage auf Eigenbedarf ab, sein erwachsener Sohn durfte nicht einziehen. Inzwischen spitzte sich die Situation zu, häufiger sei es zu „Auseinandersetzungen“gekommen. Henninges erzählt von Schreien des Kindes. „Ich will nicht“, soll es gerufen haben.
Als das Paar verhaftet wurde, räumte der Arzt die Wohnung. „Sie glauben nicht, wie es da ausgesehen hat.“Fotos hat er nicht mehr, eine Boulevardzeitung habe seine Speicherkarte
Der Angeklagte spricht. Aber Reue ist das nicht Der Arzt ist sauer – vielleicht auch auf sich selbst