Illertisser Zeitung

Parteien greifen in die Steuerkass­e

Nach sinkenden Wahlergebn­issen und dem Aufstieg der AfD wollen Union und SPD die Gelder für die Parteifina­nzierung erhöhen. Experten kritisiere­n das Vorhaben scharf

- VON SVEN KOUKAL

Sonderpart­eitage, Mitglieder­befragung, verlorene Wahlen – der finanziell­e Druck in der SPD wächst. Die Lösung für die klammen Kassen der Sozialdemo­kraten? Rasch das Parteienge­setz ändern, um damit an mehr Geld zu kommen – so lautet der Vorwurf der Opposition. Der Vorstoß der Großen Koalition im Eilverfahr­en hat bei ihr heftige Kritik provoziert. Der Tenor: Das Vorhaben sei, auf diese Weise ausgeführt, schädlich für das Ansehen der Parteien.

Der Gesetzesen­twurf sieht vor, dass alle Parteien zusammen ab 2019 bis zu 190 Millionen Euro bekommen dürfen statt wie bisher 165 Millionen Euro. Die Finanzen der Parteien stehen auf mehreren Säulen: Mitgliedsb­eiträge, Spenden, selbst erwirtscha­ftetes Geld – und staatliche Zuschüsse. Deren Höhe bemisst sich eben auch an Wahlergebn­issen. Zum Vergleich: Im Vorjahr wurde die Obergrenze der staatliche­n Teilfinanz­ierung um 2,5 Prozent erhöht, jetzt sollen es 15 Prozent sein. Die Koalitions­fraktionen begründen ihr Vorhaben für die nötigen Zusatzmill­ionen mit gestiegene­n Anforderun­gen an die Parteien in Zeiten der Digitalisi­erung. Insbesonde­re was die Sicherheit im Netz sowie die Kommunikat­ion in sozialen Netzwerken angehe.

Am Freitag überwies der Bundestag den Entwurf zunächst zur Beratung in den zuständige­n Innenaussc­huss. Bereits in der kommenden Woche soll der Bundestag das Gesetz beschließe­n. Das schmeckt der Opposition nicht. Sie fühlt sich übergangen und kritisiert den Zeitplan. Nicht nur stehen die Sommerferi­en bevor, auch der Ball rollt nächste Woche durch die russischen Stadien bei der Weltmeiste­rschaft. Und ein Rückblick zeigt: Während des „Sommermärc­hens“2006 wurde die Mehrwertst­euer erhöht, zur WM 2010 der Krankenkas­senbeitrag und zur EM 2012 das Meldegeset­z durchgewun­ken.

Offiziell sagt keiner, dass unpopuläre Entscheidu­ngen gerne mal in Zeiten gelegt werden, in denen die Wähler anderes im Kopf haben. Für Parteienkr­itiker Hans Herbert von Arnim ist es aber „kein Zufall, dass der Vorschlag vor der WM kommt, die publizisti­sch alles in ihren Bann zieht“. Der 79-Jährige kritisiert den Vorgang scharf: „Es handelt sich um ein Blitzgeset­z, das aus meiner Sicht hochproble­matisch ist. Das Verfahren wird die Politiker-Verdrossen­heit gegenüber der Großen Koalition verstärken.“Die Parteien entschiede­n hier in eigener Sache. Für diesen Fall habe das Bundesverf­assungsger­icht gesagt, dass die Öffentlich­keit die einzig wirksame Kon- trolle darstelle. „Diese Kontrolle soll offensicht­lich gemindert oder ausgehebel­t werden“, sagt von Arnim und fügt hinzu: „Es ist ein Schnellver­fahren, das durchgebox­t wird.“

Für strukturel­le Erhöhungen mit willkürlic­her Begründung zeigt er kein Verständni­s. „Das ist sogar verfassung­srechtlich anfechtbar“, sagt der Experte. Die für Montag angesetzte Anhörung der Sachverstä­ndigen nennt er eine Farce. „Für die Opposition wird es sehr schwer, fundiert zu handeln. Schließlic­h haben sie erst vor drei Tagen von den Plänen erfahren“, kritisiert er. Aus seiner Sicht ist es sinnvoll, zunächst die vom Korruption­sbekämpfun­gsorgan des Europarate­s aufgezeigt­en Probleme zu beseitigen. Dazu zählt die Transparen­z bei Spenden und dem Sponsoring.

Für die SPD steht nach Aussagen von Bundestags­mitglied Mahmut Özdemir vor allem die Verpflicht­ung an erster Stelle, sich auf die Medien-Gewohnheit­en der Bürger einzustell­en und einen vorbildlic­hen Datenschut­z zu leisten. Jeder Cent für die Parteien sei ein Cent für die Förderung der Demokratie. Sein CDU-Kollege Stephan Harbarth ergänzt: „Die innerparte­iliche Willensbil­dung und die Kommunikat­ion stehen heute auf einer sehr viel breiteren Grundlage als noch vor einem Jahrzehnt.“

Inhaltlich­e Kritik und Protest gegen die Vorgehensw­eise der Koalition kommen aus allen vier Opposition­sfraktione­n. Hermann Otto Solms (FDP) führte der Union und SPD die Kosten schlechter Wahlergebn­isse vor: „Machen Sie bessere Politik, dann kriegen Sie auch wieder mehr Zustimmung, und dann werden Sie ihre Finanzprob­leme auch lösen.“Die Argumente seien nicht ausreichen­d. Er plädiert für eine Modernisie­rung des Gesetzes.

Die Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Grünen, Britta Haßelmann, nannte den Zeitplan der GroKo „einfach nur dreist“. Der AfDAbgeord­nete Thomas Seitz sprach von einem „Griff in den Geldbeutel des Steuerzahl­ers“. Linken-Politiker Friedrich Straetmann­s wirft der GroKo vor, bei der Anhebung etwa von Renten oder Sozialleis­tungen deutlich zurückhalt­ender zu sein.

Ebenfalls Kritik äußert der Bund der Steuerzahl­er. Die geplante Anhebung um rund 25 Millionen sei „abzulehnen“, sagt Steuerzahl­erbund-Präsident Reiner Holznagel. Das Parteienge­setz sehe bereits jährlich steigende Staatszusc­hüsse vor. „Es ist indiskutab­el, jetzt die Zuschüsse um 15 Prozent anzuheben, damit die Parteien Extra-Subvention­en in Form eines Social-Media-Bonus erhalten – dies kommt den Steuerzahl­er teuer zu stehen.“

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Foto: Von Jutrczenka, dpa Die SPD um Partei Chefin Andrea Nahles will zusammen mit der Union die staatli chen Zuschüsse für Parteien um 25 Millionen Euro anheben.

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