In Seehofers Ministerium grummelt’s
Gerüchte um Grabenkämpfe. Dabei geht es nicht nur um das Bamf, wo neue Versäumnisse bekannt wurden
Sie sind längst verklungen, die freundlichen Worte, die der neue Hausherr bei seinem Antritt im Bundesinnenministerium für den alten gefunden hatte. Horst Seehofer hatte seinem Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) attestiert, sich um Deutschland verdient gemacht zu haben. Der hätte – daraus hat er keinen Hehl gemacht – sein Amt gern behalten. Doch in den Koalitionsverhandlungen hatte CDU-Kanzlerin Angela Merkel das Innenministerium an CSU-Chef Horst Seehofer geben müssen. Noch dazu wurde die Zuständigkeit erweitert – um die Bereiche Bauen und Heimat.
Merkels Parteifreund de Maizière aber ging leer aus. Dass er und sein Nachfolger keine Freunde mehr werden würden, war spätestens klar, seit er im Minister-Poker einige Spitzen gegen Seehofer gesendet hatte. So hatte de Maizière nicht nur angezweifelt, dass das Haus in seinem neuen Zuschnitt noch handhabbar ist, sondern auch indirekt Seehofers Eignung infrage gestellt. Für einen Verfassungsminister sei es doch sehr hilfreich, wenn er Jurist sei, ließ er verlauten. Auf Seehofer trifft das bekanntlich nicht zu. Umgekehrt ist auch Seehofer nicht als enger Freund de Maizières bekannt. Und seit er nun mit dem Skandal um die Missstände im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) konfrontiert wird – die meisten Vorfälle haben sich in der Amtszeit des Vorgängers ereignet –, gilt das Tischtuch zwischen CSU-Chef und CDU-Mann als endgültig zerschnitten. Die Baustelle, die Seehofer übernommen hat, scheint jedenfalls groß: Am Freitagabend wurde bekannt, dass bei der Überprüfung von Asylverfahren rund 35 000 Fälle aufgefallen sind, bei denen unklar ist, ob von den Asylbewerbern Fotos und Fingerabdrücke vorhanden sind. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) überprüfe insgesamt 2,2 Millionen Verfahren aus den Jahren 2005 bis 2018, berichtete Amtschefin Jutta Cordt am Freitag in Berlin. Der berichtete zuvor von 34 157 Fällen. Nach Angaben des Magazins weist das Bundesinnenministerium in einem Schreiben an den Innenausschuss des Bundestags darauf hin, dass das zunächst fehlende Vermerke im Computersystem seien – nun müsse in den Akten überprüft werden, ob tatsächlich keine Fingerabdrücke und Fotos vorliegen.
So oder so, es gibt viel zu tun. Dabei steht Seehofer gewaltig unter Druck. Er will rechtzeitig vor der bayerischen Landtagswahl Mitte Oktober sein Versprechen eingelöst haben, die gesamte Asylpolitik neu zu ordnen. Und muss sein Superministerium quasi nebenher neu aufstellen – eine Mammutaufgabe. Die Feindschaft zwischen Vorgänger und Nachfolger macht es dabei nicht einfacher und soll, so heißt es im Umfeld des Hauses, nun auch den personellen Umbau der Behörde überschatten. „Es laufen im Ministerium noch gewisse Grabenkämpfe“, sagt einer, der es wissen muss. Wie das Ministerium auf Anfrage mitteilt, sind dort derzeit 1580 Mitarbeiter beschäftigt. Für den neuen Bereich Heimat kommen 104 Stellen hinzu, die bisher nur zum Teil besetzt sind. Wie hoch der Personalzuwachs durch die Übernahme des Baubereichs sein wird, steht auch fast drei Monate nach dem Start der neuen Regierung noch nicht fest. Die Zahl der Mitarbeiter, die aus den bisher zuständigen Ministerien für Verkehr und für Umwelt ins Innenressort wechseln, sei „von den noch laufenden Abstimmungen abhängig“, heißt es offiziell.
Dass ein neuer Bundesminister die Führungsriege austauscht – in der Regel nach Parteibuch – gilt als üblich. Zunächst aber sah es danach aus, als würde dies unter Horst Seehofer ausbleiben – immerhin wechselte dass Ressort ja „nur“von einer Unions-Schwester zur anderen. Zudem fehlten Seehofer die Leute. Denn einige Vertraute folgten ihm nicht von München nach Berlin, etwa seine langjährige rechte Hand, die Chefin der Staatskanzlei, Karolina Gernbauer. So wurde der CSUInnenpolitik-Experte und Rechtsanwalt Stephan Mayer, den Seehofer zum Parlamentarischen Staatssekretär berief, zur Schlüsselfigur. Doch ausgerechnet der Oberbayer hat seinen Chef dem Vernehmen nach kürzlich dadurch mächtig verärgert, dass er Informationen über die Missstände in der Bremer BamfAußenstelle nicht weitergab.
Und gerade Mayer soll sich mit seiner forschen, selbstbewussten Art zu Beginn nicht allzu viele Freunde bei denen gemacht haben, die bis dahin im Haus den Ton angaben. Vor diesem Hintergrund sehen Insider auch Berichte über angebliche Verfehlungen Mayers, über die das Nachrichtenmagazin berichtet und die Mayer gegenüber unserer Zeitung dementiert hat. Bei der Lancierung der Vorwürfe könne es sich um eine Spitze aus dem Lager der ehemaligen Platzhirsche handeln, heißt es.
Sicher ist: Seehofer baut das Innenministerium kräftig um. So versetzte er kürzlich den Leiter der Abteilung „Migration, Integration, Flüchtlinge“in den einstweiligen Ruhestand – einen der engsten Mitarbeiter von Thomas de Maizière. Berichte, dass die Personalie mit dem Bamf-Skandal zu tun habe, wies das Ministerium zurück – die Entscheidung sei schon viel früher gefallen. Doch seit Seehofer im Zuge der Affäre seinen Vorgänger immer deutlicher kritisiert, fürchten frühere Vertraute de Maizières um Macht und Posten, heißt es im Ministerium. Eine Sprecherin bestätigte auf Anfrage unserer Zeitung, dass es auf weiteren hervorgehobenen Positionen Umbesetzungen gegeben hat.
Gewechselt hat demnach die Leitung der Zentralabteilung, des Bereichs Staats- und Verwaltungsrecht, der für die Bundespolizei zuständigen Abteilung und im Bereich Sport. Besetzt wurden laut Ministerium inzwischen auch die neu geschaffenen Abteilungen für „Digitale Gesellschaft, Verwaltungsdigitalisierung und Informationstechnik“, für „Cyber- und IT-Sicherheit“, für Heimat sowie „Grundsatz und Planung“. Zur „internen Stimmung“will das Innenministerium nicht Stellung nehmen.