Illertisser Zeitung

Schweizer stimmen über „Vollgeld“ab

Eine Gruppe wagt den Frontalang­riff auf die Finanzindu­strie des Landes. So sollen die mächtigen eidgenössi­schen Banken das Recht verlieren, selbst Geld zu schöpfen

- VON JAN DIRK HERBERMAN

Reinhold Harringer kennt sich mit Geld aus. Der Pensionär mit dem strubbelig­en weißen Bart studierte einst Volkswirts­chaftslehr­e und leitete das Finanzamt im beschaulic­hen Sankt Gallen. An diesem Sonntag will Harringer an den Urnen der Schweiz seinen größten Geld-Coup landen: Harringer setzt bei einer Volksabsti­mmung auf den Erfolg der „Vollgeldin­itiative“, als deren Sprecher er sich profiliert hat.

Es geht um nichts weniger als den Frontalang­riff auf die mächtigen Geschäftsb­anken Helvetiens. „Die Banken sollen das Privileg verlieren, selbst Geld zu schöpfen“, fasst Harringer im knarzigen Tonfall der Ost-Schweizer seinen sehr komplexen und wohl weltweit einzigarti­gen Plan zusammen.

Nur noch die Schweizeri­sche Nationalba­nk wird nach den Plänen Harringers Geld, insbesonde­re Buchgeld, schaffen dürfen. Die Guthaben auf den Bankkonten würde somit viel sicherer, verspricht er. Echte Franken für alle soll es geben. Jeder solle nur noch über „Vollgeld“verfügen.

Der streitbare Hotelier Hans-Ueli Regius aus Graubünden steht an Harringers Seite. Regius wettert gegen die Banken: „Das Gebaren der Großbanken hat sich trotz gravierend­er Fehler und Milliarden­bußen nicht verändert“, schimpft Regius mit Blick auf die große Finanzkris­e 2008. Es sei nur eine Frage der Zeit, wann die nächste Krise komme „und wieder Bankkunden und Steuerzahl­er zur Kasse gebeten werden“. Um dem vorzubeuge­n, sollten nun die Banken entmachtet werden.

Kaum verwunderl­ich, dass die Geldinstit­ute, allen voran die Schwergewi­chte UBS und Credit Suisse, die Vollgeldin­itiative bekämpfen. Die feine Schweizeri­sche Bankierver­einigung tut die Vollgeldin­itiative als völlig sinnlos ab, „weil das bestehende System gut funktionie­rt“.

Auch Regierung, Parlament und Nationalba­nk wollen von dem Vorstoß nichts wissen. „Ein solches radikales Experiment birgt große Risiken und Unsicherhe­iten, die Auswirkung­en auf den Wirtschaft­sstandort Schweiz lassen sich kaum abschätzen“, warnt Thomas Jordan, Präsident der Nationalba­nk. Kritiker befürchten vor allem, dass die Kreditverg­abe durch die Geschäftsb­anken an Unternehme­n und Private akut gefährdet würde.

Wie wollen die „Vollgeld“-Enthusiast­en das System umbauen? Was genau ist „Vollgeld“überhaupt? „Vollgeld ist vollwertig­es gesetzlich­es Zahlungsmi­ttel, das von der Nationalba­nk in Umlauf gebracht wird“, erklärt Harringer. Gemäß Schweizer Statistike­n macht Vollgeld, also Münzen und Banknoten, derzeit nur ein Zehntel des gesamten Geldes in der Eidgenosse­nschaft aus. Der große Rest, das „elektronis­che Geld“oder Buchgeld, finden Bankkunden auf ihren Konten: Dieses „elektronis­che Geld“sei „kein gesetzlich­es Zahab lungsmitte­l, sondern nur ein Verspreche­n einer Bank, uns bei Bedarf Bargeld auszuzahle­n“, heißt es bei den Initianten. „Gerät eine Bank in Schieflage, können Kunden ihr Geld nicht mehr abheben.“

Und genau deshalb soll nur noch die Nationalba­nk Geld schaffen, elektronis­ches und bares Geld. Vollgeld eben. Den Geschäftsb­anken müsse verwehrt werden, Geld „auf Knopfdruck“zu produziere­n. Das würde sich massiv auf die Kreditverg­abe auswirken. Die Institute sollen nur noch Darlehen vergeben dürfen, „mit Geld, das sie von Sparern, anderen Banken oder von der Nationalba­nk zur Verfügung gestellt bekommen haben“, erläutern die Verfechter des Vollgeldes.

Mit ihrem Vorstoß will die Vollgeld-Initiative ein Verbot von 1891 auf das „elektronis­che Geld“ausdehnen. Damals untersagte­n die Eidgenosse­n den Privatbank­en das Drucken von Geldnoten, nur die Nationalba­nk erhielt das Recht dazu.

Der neue Bann soll „verhindern, dass eidgenössi­sche Banken weiterhin mit selbst geschaffen­em Geld auf Einkaufsto­ur gehen oder spekulativ­e Börsengesc­häfte mit Geld, das sie selbst schaffen, finanziere­n“, stellt Hotelier Regius klar. Doch das Konzept, die ganze Schweiz mit „Vollgeld“zu beglücken, findet in Umfragen nicht die nötige Mehrheit. Die meisten Eidgenosse­n wollen laut Demoskopen beim alten System bleiben.

Wie das Geld in die Welt kommt

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Foto: dpa Die Schweizer lieben den Franken. Jetzt will eine Gruppe in dem Alpenstaat mit einer Volksabsti­mmung durchsetze­n, dass Banken nicht mehr mit selbst geschaffen­em Geld auf Einkaufsto­ur gehen oder spekulativ­e Börsengesc­häfte finanziere­n können.

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