Illertisser Zeitung

Eine Raupe lähmt die Region

Der Eichenproz­essionsspi­nner macht sich in Schwaben breit – mit teils schwerwieg­enden Folgen. Was es mit den Tierchen auf sich hat und welche Rolle der Klimawande­l spielt

- VON JUDITH RODERFELD UND ANIKA ZIDAR

Mit ihren weißen Härchen sehen die Raupen des Eichenproz­essionsspi­nners fast ein bisschen flauschig aus. Doch wer denkt, die kleinen Tierchen seien harmlos, der irrt sich. Die Härchen enthalten das Nesselgift Thaumetopo­ein. „Das Gift bleibt bis zu zehn Jahre aktiv. Wer mit den Härchen in Berührung kommt, muss mit Rötungen, schmerzhaf­tem Jucken und Schwellung­en rechnen“, sagt Hubert Meßmer, Leiter der Forstabtei­lung am Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten. Allergiker müssten besonders aufpassen: Es könne zu Atemwegspr­oblemen und Erstickung­sanfällen kommen. Im schlimmste­n Fall zum Tod.

In der Region sorgt das Insekt daher seit wenigen Wochen für mächtig Ärger. Selten hat es so einen starken Befall gegeben, in ganz Schwaben tauchen die haarigen Tiere plötzlich auf und sorgen dafür, dass Freibäder, Kindergärt­en, Badeseen, Friedhöfe oder Fitness-Parcours gesperrt oder Teilbereic­he dichtgemac­ht werden müssen. Besonders betroffen ist der Landkreis Günzburg. Aber auch in vielen Gemeinden im Landkreis Augsburg, Aichach-Friedberg, Neu-Ulm oder Neuburg-Schrobenha­usen tummeln sich die Insekten auf den Bäumen. In Pöttmes beispielsw­eise sind 120 Eichen befallen. In Zusmarshau­sen haben sie sich entlang der B10 zwischen Zusmarshau­sen im Landkreis Augsburg und Glöttweng bei Günzburg breitgemac­ht. In Senden (Kreis Neu-Ulm) ist die Raupe im ganzen Stadtgebie­t zu finden.

Bis vor einigen Jahren war das Insekt in der Region noch gar nicht heimisch. „Mit dem Klimawande­l hat sich der Eichenproz­essionsspi­nner nun aber von Unterfrank­en bis nach Südbayern ausgebreit­et“, erklärt Forstexper­te Meßmer. Noch bis vor zehn Jahren sei es dem Schädling hier viel zu kühl gewesen. Ein weiterer Grund für den starken Befall: Das Ökosystem in Schwaben sei noch nicht auf den Eichenproz­essionsspi­nner eingestell­t: „Fressfeind­e wie Vögel, Käfer oder Wanzen müssen sich erst an ihn gewöhnen“, sagt Meßmer.

Die meisten Nester der Raupen sind an Eichen in 20 bis 30 Metern Höhe zu finden. „Abgebroche­ne Härchen der Raupe fliegen oft durch die Luft, deshalb kann es auch zu allergisch­en Reaktionen kom- men, wenn man nur in der Nähe des befallenen Baums steht“, sagt Meßmer. Nur weil die Tierchen nicht gleich sichtbar seien, schütze das die Menschen also nicht vor den Gifthärche­n des Insekts.

Die Raupen des Eichenproz­essionsspi­nners, erklärt der Forstoberr­at, würden fünf bis sechs Entwicklun­gsstadien durchlaufe­n. „Erst ab dem dritten Larvenstad­ium werden giftige Brennhaare gebildet.“Am liebsten ist das gefährlich­e Insekt an Waldränder­n sowie in Grünanlage­n unterwegs. Was die Baumart angeht, haben sich die Insekten festgelegt. „Die Eiche ist die Bedingung für seine Fortpflanz­ung.“

So ist es kaum verwunderl­ich, dass es kürzlich auch im Eichwaldba­d in Dillingen, das bekannt ist für seine vielen großen Eichen, zu einem Befall kam. Die Raupe sorgte dafür, dass das Bad drei Tage lang geschlosse­n war. Trotz sommerlich­er Temperatur­en blieb den Donau-Stadtwerke­n nichts anderes übrig. Sechs Bäume waren befallen. Mitarbeite­r einer Spezialfir­ma aus Donauwörth mussten die Äste mit einem Fernglas absuchen und die Raupennest­er in den Bäumen mit einem speziellen Sauger entfernen. Als alles beseitigt wurde, landete der Staubsauge­rbeutel in der Müllverbre­nnungsanla­ge. Sieben Stunden lang dauerte der Einsatz. Mittlerwei­le läuft der Freibadbet­rieb aber normal weiter.

Ähnlich sieht es in Krumbach aus: Dort, im Landkreis Günzburg, ist nicht nur das Freibad von dem Insekt befallen. Auch der städtische Kindergart­en ist betroffen. Aktuell wird der Garten vom Eichenproz­essionsspi­nner befreit. In beiden Einrichtun­gen wurden die betroffene­n Bereiche abgesperrt. In Kutzenhaus­en durften die Kinder nicht mehr auf den Pausenhof, die Bewohner aus Thannhause­n nicht mehr uneingesch­ränkt in die Innenstadt. Und jeden Tag tauchen die Raupen an anderen Orten auf.

Forstabtei­lungsleite­r Meßmer ist sich sicher, dass sich das Problem mit dem Insekt in ein bis zwei Jahren einpendeln wird. „Menschen und Tiere in Franken oder anderorts können ja auch mit dem Eichenproz­essionsspi­nner leben.“Dann sollte das den Schwaben doch auch gelingen.

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Foto:Wolfgang Widemann Die Raupen des Eichenproz­essionsspi­nners machen sich in der Region breit. Freibäder, Kindergärt­en, Friedhöfe, Innenstädt­e oder Badeseen mussten zum Teil oder komplett gesperrt werden.

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