Illertisser Zeitung

Auf der Jagd nach Bildern

Tom Engel ist passionier­ter Wildtierfo­tograf. Im nördlichen Unterallgä­u sind ihm schon viele spektakulä­re Aufnahmen gelungen. Wie es dazu kommt – ein Streifzug

- VON SABRINA SCHATZ

Morgens, als die Sonne es noch nicht ganz über die Baumwipfel geschafft hat und der Tau an den Grashalmen glitzert, legt sich Tom Engel auf die Wiese. Genauer: in einen Wassergrab­en, der die Wiese durchzieht. Als sinke er in Treibsand ein, ist nur noch sein Oberkörper zu sehen. Er rückt die Camouflage-Cap auf dem Kopf zurecht, dann die etwa sechs Kilo schwere Kamera auf dem Stativ. Ein zotteliges Tarnnetz ist über das Objektiv gestreift, dessen Durchmesse­r vorne tellergroß ist. Damit nimmt der Fellheimer seine Beute ins Visier: Feldhasen, Frischling­e, Rehböcke. Engel ist auf der Jagd nach Bildern.

Kies knirscht unter den Autoreifen, als der 53-Jährige eine halbe Stunde zuvor mit seinem Auto von einem Parkplatz am Waldrand aus losfährt. Wo er unterwegs ist, will er nicht an die große Glocke hängen. Er hat mit einigen Jägern vereinbart, dass er in ihren Revieren im nördlichen Unterallgä­u auf Streifzüge gehen darf. Schießen die Jäger, meidet er die Gebiete – zu gefährlich. Nach ein paar Metern bremst Engel plötzlich, tastet nach dem Fernglas auf dem Armaturenb­rett. Seine Augen fixieren einen braunen Punkt im entfernten Kornfeld. „Ein Rehbock, drei oder vier Jahre alt“, flüstert er. Ein Hops, der Punkt verschwind­et in den Ähren.

Hohes Gras, Büsche, Sträucher, Maisstaude­n – dort ziehen sich Wildschwei­ne, Rehe, Dachse gerne zurück. Engel nennt sie „Wohnzimmer der Tiere“. Und er kennt sich gut in diesen aus. Während der Brunft, wenn die Tiere liebestoll und übermütig sind, legt sich Engel bis zu vier Mal pro Woche auf die Lauer. Oder er stapft durch Wald und Wiesen. Harrt aus, bis das Fuchsbaby seine Schnauze aus dem Bau, versteckt unter Wurzeln und Moos, streckt. Beobachtet eine beliebte Route der Wildschwei­ne, die von Weißenhorn ins Unterallgä­u führe und die Engel ihre „Autobahn“nennt. Nicht nur Fotograf, auch Spurensuch­er müsse man sein.

Als der Fellheimer aus dem Auto steigt, huscht ihm ein Lächeln übers Gesicht. Es riecht nach gemähtem Gras und feuchter Erde, Vögel zwitschern. Ein Feldhase hoppelt ein paar Meter weiter über den Weg, wirbelt Staub auf, flugs ins Maisfeld. Der Fotograf marschiert los.

Braun, oliv, grün – seine Kleidung und Ausrüstung tragen die Farben der Natur. „Es ist nicht so, dass ich vollgetarn­t durch die Pampa laufe. Aber es schadet nicht, wenn man sich bedeckt hält“, sagt er. „Die Tiere sind wirklich schlau.“Jogger, Mountainbi­ker und Mähwerke hätten sie allzu oft erschreckt. So wie Engel einmal eine Spaziergän­gerin, die nicht damit gerechnet hatte, dass da ein Mann im Gras liegt. Den Bemühungen zum Trotz, nicht allzu früh aufzufalle­n, bedeutet sein Hobby vor allem eines: warten. Die Tiere springen, hopsen, flattern ihm nicht einfach vor die Linse. „Die Quote ist miserabel“, gibt er zu. „Aber man wird entschädig­t. Allein die Sonnenaufg­änge.“

Für Engel sind diese Momente ein Ausgleich. Er ist Gastronom, leitet mit seiner Familie zwei Restaurant­s und ein Hotel in Berkheim. Ein stressiger Beruf, wie er sagt, immer Betrieb. Auch in dieser Nacht kam er erst um 1 Uhr ins Bett. Dennoch ist er vor sechs Uhr wieder auf den Beinen. „Ich brauch die Ruhe, mal nix hören, kein Telefon.“

Schon als Bub war Engel im Forst und auf Feldern unterwegs. Sein Großvater war Jäger, von ihm habe er vieles gelernt. Anderes Wissen habe er sich mit der Zeit selbst angeeignet: Etwa, dass man sich dem Wild entgegen der Windrichtu­ng nähern müsse. Sonst wittert es den Menschen. „Die sind so sensibel, die kriegen das mit und warnen sich gegenseiti­g.“Als eine Feder im Gras liegt, hebt er sie auf und hält sie in die Luft. Die feinen Härchen zieht es heute gen Südosten.

Besondere Tricks hat der Fellheimer von Kollegen erfahren. „Ich war bei einem der besten Wildtierfo­tografen Deutschlan­ds eingeladen, im Schwarzwal­d. Das war toll“, erzählt er. Bei sibirische­n Temperatur­en habe er in einem Ansitz gesessen. Die Erfahrung war’s wert. Auf Jägerständ­e klettert er sonst aber nie – er will die Tiere auf Augenhöhe ablichten.

Am Rand einer Wiese zieht Engel eine fingerhutg­roße Röhre aus der Ärmeltasch­e und setzt sie an die Lippen. Als er pustet, ist ein Fiepen zu hören. Es soll klingen wie ein Rehkitz, das nach seiner Mutter ruft. Und es soll einen Bock locken.

Der Unterallgä­uer ist viel herumgekom­men in der Welt. Einige Jahre lebte er auf Sardinien. Erst, als sein Vater dort stationier­t war, dann, als er seinen eigenen Wehrdienst am dortigen Luftwaffen­stützpunkt leistete. Da habe er seine Passion für Fotografie entdeckt. Er knipste Militärjet­s, die durch die Luft preschen oder zur Landung ansetzen. Durch seine Kontakte konnte er sich nach dem Dienst einen Traum erfüllen: Er durfte auf Flugzeugtr­ägern dabei sein, in Amerika und im Nahen Osten. „Ich war an Orten, an denen man normalerwe­ise nicht mit der Kamera hinkommt.“Auch eine Foto-Safari in Südafrika hat er unternomme­n. Aber in der Region sei es doch interessan­ter, sagt er.

Seine schönste Aufnahme zu benennen, fällt Engel schwer. Einmal, da habe er vier Stunden nach einem ausgewilde­rten Rehbock gesucht. Plötzlich stand er hinter ihm und starrte ihn mit braunen Augen an – „Unglaublic­h“. Und dann war da die Begegnung mit dem Wildschwei­n, das knapp vor ihm aus dem Gebüsch raste. Tier und Mensch erschraken wohl gleicherma­ßen. Aber das Bild war im Kasten: ein Keiler im Sprung.

So viel Glück hat er an diesem Morgen nicht. Als er seinen Platz im Graben verlassen hat und wieder im Auto sitzt, fliegt noch ein Wildentenp­aar vor ihm in die Luft. Flügelschl­agen. Engel hält inne. Klick.

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Fotos (2): Sabrina Schatz Tom Engel aus Fellheim fotografie­rt aus Leidenscha­ft Wildtiere im nördlichen Unterallgä­u. Die meisten Bilder macht er für sich. Manche schickt er auch an unsere Zeitung.
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„Beobachten ist das A und O“, das hat Engel mit der Zeit gelernt.

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