Er radelte sich zurück ins Leben
2016 erlitt Bernd Zörlein aus Vöhringen einen Herzinfarkt. Seinen Alltag änderte er daraufhin radikal. Heute fühlt er sich fitter denn je – und will anderen Betroffenen Mut machen
Wer im Sommer in 17 Tagen mit dem Rennrad 2400 Kilometer durch die Berge der EmiliaRomagna in Italien fährt und dabei insgesamt 26 000 Höhenmeter überwindet, muss ein sehr gut trainierter Leistungssportler, ein etwas verrückter oder ein außergewöhnlicher Mensch sein. Der Vöhringer Bernd Zörlein hat gerade erst all das geleistet und er ist von allem etwas.
Dabei ist er vor eindreiviertel Jahren mit viel Glück dem wahrscheinlichen Tod entronnen. „Ich hatte am 22. September 2016 Schmerzen in der Brust und bin vorsichtshalber zum Arzt gefahren“, sagt Zörlein. „Was mir wohl das Leben gerettet hat, denn in der Praxis erlitt ich einen Herzinfarkt und mein Hausarzt konnte mir sofort helfen.“Und er half sich auch selbst: „Ich habe mich und meine Lebensgewohnheiten danach um 180 Grad gedreht. Ich bin heute total fit.“Zörlein ist jetzt 72 Jahre alt und es gibt für ihn quasi keinen Tag mehr ohne Sport.
Was Zörlein sagt, lässt aufhorchen: „Eigentlich muss ich froh sein, den Infarkt gehabt zu haben, weil es mir viel besser geht als früher.“Früher, das waren die 16 Jahre vor seinem Infarkt, in denen er sich aufopferungsvoll und eigentlich in jeder freien Minute erst den Skisportlern und dann den Inline-Slalomfahrern der Sektion Neu-Ulm des Deutschen Alpenvereins (DAV) widmete. In der Arbeit für diese, zu denen auch sein Sohn Manuel gehört, ist er aufgegangen. Als der Skisport in seinem Verein so gut wie out war, hat er die Inline-Slalomfahrer zur absoluten Weltspitze geführt. Nur sich selbst hat er in dieser Zeit vernachlässigt.
Der Liebhaber der italienischen Küche, der freilich den guten alkoholischen Getränken aus diesem Land und anderen Gegenden so gut wie nichts abgewinnen kann, nahm immer mehr zu, bis er fast zwei Zentner auf die Waage brachte. „Ich bin in dieser Zeit zusammen keine 20 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren“, blickt der Mann zurück, der als recht junger Kerl Windsurfing betrieben, als sehr guter Tischtennisspieler für den TTC Ulm in der zweiten Liga Süd gespielt und der unter anderem als Ausdauersportler zweimal an einem 230 Kilometer langen Mountainbike-Marathon im Salzkammergut teilgenommen hatte, für den er einmal 15:24 und das andere Mal 15:22 Stunden benötigte. „Dabei war damals auch ein Fernsehteam von Eurosport“, erzählt Bernd Zörlein. „Das hat gefilmt und ein Interview mit mir gemacht. Da habe ich auf die Frage, wie es war, den Spruch fallen lassen: ,Einmal Hölle und zurück’. Die Veranstalter des Marathons haben mich nachher gefragt, ob sie ihrer Veranstaltung diesen Spruch als Titel geben dürfen. Natürlich habe ich eingewilligt.“
Das sind wunderschöne Erinnerungen für den Vöhringer. Was im September 2016 war, hat er aber auch nicht vergessen. Auch weil es sein Leben drastisch verändert hat. Der Vöhringer hat seitdem 33 Kilogramm abgenommen, treibt regelmäßig Ausdauersport, außer Radfahren auch Laufen und ein wenig Schwimmen und hat seine Ernährung komplett umgestellt. „Ich habe meinen Wurst- und Fleischverzehr um 80 bis 90 Prozent reduziert und esse entsprechend mehr Fisch, und zwar Kaltwasserfisch, weil der mehr Omega-3-Fettsäure enthält. Dazu gibt es viel Salat und Gemüse, alles mit Raps- oder Olivenöl statt Sonnenblumenöl wie früher zubereitet.“Mehr als zwei Mahlzeiten pro Tag sind für den 72-jährigen, drahtigen Mann nicht drin. „Ich frühstücke etwas später und recht gut und abends gibt es noch ein warmes Essen, das reicht.“Dabei bringt Zörlein Leistungen wie ein Junger. „Na, vielleicht nicht ganz“, ist der gut Gebräunte etwas kritisch mit sich selbst. „Früher bin ich im Jahr 20 000 Kilometer geradelt, jetzt nur noch 14000 bis 15000.“
Angefangen mit seinem neuen Leben habe er schon während der Reha. In der Bad Wörishofener Klinik sei ihm Professor Jens Wagner eine ganz große Hilfe gewesen, vor allem, weil er an ihn geglaubt habe. „Der sagte, nach einem Herzinfarkt sei man herzkrank und bleibe es“, erinnert sich der „verrückte“ Vöhringer, wie ihn seine Frau Inge nennt. „Aber er sagte auch, man könne mit dieser Erkrankung theoretisch 120 Jahre alt werden. Was man nun aus seinem Leben mache, würden zu 90 Prozent die Patienten selbst bestimmen und nur zu zehn Prozent die Ärzte. Da habe ich zu mir gesagt: Dein Leben als Cheforganisator für x-erlei Projekte ist vorbei und Du wirst dein Leben komplett ändern.“Zörlein hat das mit unwahrscheinlichem Willen, großem Aufwand und viel Begeisterung geschafft. Während der Reha sei er in jeder freien Minute auf dem Ergometer gesessen und habe begonnen, abzunehmen. „Nach der Reha bin ich bei Wind und Wetter raus. Einmal bin ich bei minus zwölf Grad und eisigem Ostwind 41 Kilometer gelaufen. Das hat mir nichts ausgemacht. Natürlich gab es schon einmal Kämpfe zwischen dem Kopf und dem inneren Schweinehund, aber der Kopf hat immer gewonnen.“
Er weiß aber auch, dass viele Herzinfarktler nicht so stark sind und Angst vor einem zweiten Infarkt haben. Denen lebe er vor, wie es gehen kann und wolle ihnen so die Angst nehmen. „Ich selbst“, so der Senior, „habe keine Angst vor einem zweiten Infarkt. Ich vertraue meinem Körper. Obwohl ich gerade 2400 Kilometer geradelt bin, habe ich mich seit 20 oder 25 Jahren im Urlaub nicht so gut erholt wie jetzt. Und mein Motto lautet heute: Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter.“Für Bernd Zörlein dürfte es noch sehr viele solcher Tage geben.
„Mein Motto lautet heute: Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter.“ Bernd Zörlein