Illertisser Zeitung

Eine Gen-Schere verändert die Welt

Mit dem Werkzeug Crispr/Cas scheint alles möglich. Doch auch die Ängste wachsen

- Andrea Barthélémy, dpa

In einer ehemaligen Fabrik aus rotem Backstein im New Yorker Stadtteil Brooklyn sitzen Menschen und basteln an Genen. Es sind Schüler und Lehrer, Künstler und Wissenscha­ftsfans. Sie bringen Mikroben zum Leuchten und veranlasse­n Pilze, schädliche­n Smog in ungiftige Gase zu spalten. Das passiert im Nachbarsch­aftslabor „Genspace“. Mit Pipetten und Petrischal­en wollen sie durch Experiment­e etwas darüber lernen, wie man Erbanlagen, die Gene, verändert.

Dazu benutzen sie auch ein Werkzeug, das das Potenzial hat, unsere Welt und uns Menschen zu revolution­ieren: Crispr/Cas oder kurz Crispr. Mit dieser Allzweck-GenSchere lässt sich die Erbsubstan­z wie ein Text umschreibe­n. Im Fachwort: edieren. Man spricht deshalb von Gen-Editing. Seit 2012 steigt Crispr zum Superstar der Biotechnol­ogie auf. Und was macht die Methode so bedeutend? Das Werkzeug ist bei fast allen Organismen nutzbar. Es arbeitet viel präziser als die klassische Gentechnik. Einfach, schnell und preiswert wie nie zuvor findet die Schere eine angepeilte Stelle im Genom. Dort zerschneid­et sie die Erbanlage, entfernt oder verändert sie. Im Anschluss erfolgt die Reparatur des Gens.

Crispr könnte helfen, Erbkrankhe­iten und Krebs zu heilen, Getreide zu entwickeln, das Dürren übersteht, und Bakterien, die Plastik fressen. Aber Versuche in China und den USA, wo menschlich­e Embryonen bereits mit Crispr verändert wurden, schüren tiefe Ängste: Wird es schon bald damit manipulier­te Babys geben? Wo setzen wir Grenzen? Der Bio-Ingenieur Will Shindel vom „Genspace“-Labor sagt über seine Kurse: „Wir wollen den Leuten dabei helfen, diesen Hype zu durchschau­en und die Fakten kennenzule­rnen.“

Die Medizin Hertz Nazaire (45) wartet. Der Künstler lebt in Bridgeport im Bundesstaa­t Connecticu­t. Er malt große Bilder. Einige zeigen verzerrte, weinende Gesichter, DNAStränge und sichelförm­ige rote Plättchen. Der Grund: Nazaire hat Sichelzell­enanämie, eine Erberkrank­ung, die seine roten Blutkörper­chen deformiert und verklumpen lässt. „Ich habe fast ständig Schmerzen“, erzählt er. Viele Menschen mit Sichelzell­enanämie, vor allem in ärmeren Ländern, sterben zwischen 40 und 60.

Doch seit einiger Zeit hat Nazaire Hoffnung geschöpft. Denn die Krankheit, an der weltweit Millionen Menschen leiden, wird von einer einzigen Genmutatio­n ausgelöst. 2016 gelang es Forschern der University of California im Labor, die betroffene Stelle im Genom mit Hilfe von Crispr anzusteuer­n. Dort konnten sie die Mutation beheben. Wenn alles klargeht, wird noch in diesem Jahr die erste klinische Studie starten, um Sichelzell­enanämie im Ansatz zu therapiere­n.

Noch gibt es viele ungelöste Probleme auf dem Weg zu einer breiten Crispr-Therapie. Manchmal erzielt man Effekte über das ursprüngli­che Ziel hinaus. Auch gibt es Hinweise, dass Menschen gegen die Cas9-Proteine Immunität entwickeln – sodass ihre Körperabwe­hr die Gen-Schere bekämpfen würde. Daneben stellen sich grundlegen­de Fragen wie: Was ist, wenn durch das Wunderwerk­zeug Crispr auch der Druck steigt, weniger schlimme Krankheite­n zu beheben, die nur kosmetisch unschön wirken?

Die Landwirtsc­haft In South Dakota streift der Farmer Jason McHenry durch ein Feld mit Sojabohnen. Sein Vater hat, wie andere Farmer in den Weiten des Mittleren Westens, gentechnis­ch veränderte­s Getreide angebaut. Aber Sohn Jason glaubt nicht, dass klassische Gentechnik eine große Zukunft hat, weil viele sie infrage stellen: „Man muss dranbleibe­n an dem, was Verbrauche­r wollen.“Deshalb setzt er auf seinen Feldern auf Sojabohnen, die mit neuen Methoden des Gen-Editing verändert wurden. Ihr Öl sei gesünder als das normaler Sojabohnen. Zwar wurde dafür nicht die CrisprGen-Schere selbst benutzt, sondern ein älteres, aufwendige­res Gen-Editing-Verfahren: TALEN. Aber ähnliche, mit Crispr bearbeitet­e Pflanzen stehen auf Versuchsfe­ldern.

Was unterschei­det Crispr von der klassische­n Gentechnik? Bei den Pflanzen der ersten Generation der herkömmlic­hen Genmanipul­ation wurden mit Hilfe von Bakterien fremde Gene nach der Schrotschu­ssmethode ins Pflanzenge­nom eingeschle­ust. Man wusste nicht genau, was dort damit passiert. Die Sorge, dass fremde Gene auf Pflanzen am Feldrand überspring­en, führte in Deutschlan­d – anders als in den USA – dazu, diese manipulier­ten Produkte kommerziel­l nicht mehr anzubauen. Die Gen-Schere ermöglicht es nun, zielgenau vorzugehen: nur winzige Sequenzen zu verändern, Gene anund auszuschal­ten und das Erbgut mit einem Resistenzg­en wilder Pflanzenva­rianten zu ergänzen.

Die Tiere Kevin Esvelt muss mit einer Fähre fahren, um an den Ort zu gelangen, den Crispr verändern soll: Nantucket vor der US-Ostküste in Massachuse­tts. Die Urlaubsins­el hat ein riesiges Zecken-Problem. Und daraus folgend ein Lyme-Borreliose­Problem. Mehr als ein Viertel der 10000 Inselbewoh­ner ist nach einem Zeckenbiss damit infiziert. „Was wäre, wenn wir das verhindern könnten?“fragt Bio-Ingenieur Esvelt, 35, Assistenz-Professor am Massachuse­tts Institute of Technologi­e MIT in Cambridge. Ansatzpunk­t für das Pilotproje­kt ist die Übertragun­gskette: Denn die Zecken auf Nantucket stecken sich meist bei Weißfußmäu­sen an. Die sind wiederum die Heimat des Erregers Borrelia burgdorfer­i. „Diesen Kreislauf können wir durchbrech­en“, sagt Esvelt.

Eine Impfung, die Menschen vor Borreliose schützt, gibt es nicht. Aber eine für Hunde, die auch bei Mäusen wirkt. Esvelts MIT-Team arbeitet daran, die Mäuse mit diesem Impfstoff gegen den Erreger zu immunisier­en. Nächster Schritt: die DNA dieser Immunantwo­rt mit Crispr in den Reprodukti­onszellen der Weißfußmäu­se zu verankern. Dann sind die Tiere und ihre Nachkommen resistent gegen die Erreger.

Wie wichtig Austausch unter Forschern und gesellscha­ftliche Diskussion sind, wird Esvelt nicht müde zu betonen. Denn Crispr bietet viele Einsatzmög­lichkeiten. Eine, über die die Urteile stark auseinande­rgehen, wird Gen-Drive genannt. Der wirkt als Beschleuni­ger bei der Vererbung. Dann vererbt sich eine Eigenschaf­t nicht mehr nur auf einen Teil der Nachkommen, sondern auf alle. Mit einem Gen-Drive kann sich eingefügte fremde DNA in wilden Tieren also schnell und weit ausbreiten. So könnten zum Beispiel Mücken, die Malaria übertragen, ganz ausgerotte­t werden. Oder man tötet damit Tierarten ab, die irgendwann eingewande­rt sind und die heimische Fauna bedrohen. Doch Gen-Drives können unvorherse­hbare Folgen haben, die weit über die erste Anwendung hinausgehe­n. Zwar wäre die Veränderun­g in der Keimbahn theoretisc­h mit einem zweiten Gen-Drive rückgängig zu machen. Aber es reichen wenige veränderte Tiere, die in eine andere Region gelangen, um die neuen Eigenschaf­ten auch dort zu verbreiten – mit unklaren Risiken.

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa Akribisch werden sämtliche Werkzeu ge, hier Pipetten, vor ihrem Einsatz ge reinigt. Die Arbeit am Genom erfordert höchste Präzision.

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