Ab ins Beet
Drei Jahre lang mussten die Kleingärtner in Tiefenbach auf eine neue Anlage warten. Jetzt wird am Seelach gesät, gegraben und geharkt – und das in besonderer Gemeinschaft
In Edwin Sannwalds Beet sprießen die ersten Kräuter, Tomaten und Erdbeeren. Mit einer Harke in der Hand und einem Strohhut auf dem Kopf, steht der 72-Jährige an diesem Nachmittag in seiner Gartenparzelle und bearbeitet den Boden. Wolken ziehen am Himmel auf – aber das Wetter hält. Gut für den Schrebergärtner, für den es in den kommenden Wochen noch einiges zu tun gibt.
Erst Mitte April haben Tiefenbachs Kleingärtner ihre neue Anlage am Seelach bezogen. Seitdem wird auf dem 8000 Quadratmeter großen Grundstück geackert, was der Spaten hält. Innerhalb weniger Wochen sind 18 Parzellen entstanden, die nun angelegt und gepflegt werden. „Noch ist hier alles ein wenig Baustelle“, sagt Sprecher Sannwald und lacht. Und dennoch hätten es viele Pächter kaum erwarten können, endlich wieder loszulegen.
Drei Jahre ist es mittlerweile her, dass die Kleingärtner von ihrem bevorstehenden Umzug erfahren haben. Weil die Stadt an der Gannertshofener Straße ein neues Baugebiet erschließen will, mussten die dortigen Parzellen weichen. Ein neues Grundstück wurde gesucht – und nach Umwegen schließlich in Tiefenbachs Nordwesten gefunden. Für insgesamt 360 Euro Pacht im Jahr können die Kleingärtner am Seelach nun wieder ihrer Freizeitbeschäftigung nachgehen. Und die setzt derzeit nicht nur einen grünen Daumen, sondern auch handwerkliches Geschick voraus.
Herzstück der jeweils 14 auf 16 Meter großen Parzellen ist eine Hütte, die in jedem Garten an gleicher Stelle steht. Das Besondere: „Für den Bau werden nur Naturmaterialien verwendet.“Keine Eternitplatten, kein Wellblech. Man habe aus Fehlern der Vergangenheit gelernt, sagt Sannwald, dem auch das „einheitliche Bild“der Anlage wichtig ist. Im Gegensatz zu den Parzellen an der Gannertshofener Straße, auf denen Pächter großteils schalteten und walteten, wie sie wollten, gibt es in der neuen Anlage ein paar grundsätzliche Vorgaben. Neben einheitlichen und ökologisch gebauten Hütten sollen die Parzellen beispielsweise nicht zum Zweitwohnsitz ihrer Pächter werden. „Nach einer Grillparty mal dort zu übernachten, ist aber sicherlich okay“, sagt der 72-Jährige, dessen eigenes Holzhaus derzeit noch als Gerippe dasteht.
Ein paar Meter weiter, bei den Melniks, ist man da schon ein paar Schritte weiter. Während Waldemar Melnik mit Säge und Bohrer an der Hütte werkelt, gräbt seine Frau Re- gine den Garten um. Das aus Kasachstan stammende Paar ist neu in der Gemeinschaft der Kleingärtner. Nicht alle Gartler sind in die neue Anlage mit umgezogen. Einige gaben ihr Hobby aus Altersgründen auf. Sorgen um ausreichend Nachwuchs muss sich die Gruppe, die sich mittlerweile dem Tiefenbacher Obstund Gartenbauverein angeschlossen hat, aber nicht machen. Fünf mögliche Parzellenpächter stehen nach Angaben von Sannwald derzeit sogar auf der Warteliste.
Der eigene Anbau von Obst und Gemüse entwickelt sich zunehmend zu einem Trend. „Immer mehr Menschen wollen weg vom reinen Konsum“, erklärt Sannwald, der selbst als Gärtner gearbeitet hat. Und Regine Melnik sagt: „Es ist einfach toll, die eigenen Pflanzen wachsen zu sehen.“Besonders für Kinder, die so ein Gefühl dafür bekämen, dass Radieschen nicht im Supermarkt wachsen.
Auf die Fahnen geschrieben haben sich die Tiefenbacher Gärtner dabei vor allem den ökologischen Anbau. „Wir wollen zeigen, wie Gartenbau auch ohne chemische Mittel funktioniert“, sagt Sannwald. In einem Mustergarten, um den sich Gartenbauvereinsvorsitzender Heiner Loop kümmert, können sich die Pächter Anregungen holen. Dabei galt es für die Kleingärtner am Seelach erst einmal, Boden wieder gut zu machen. Denn dieser sei nach jahrelanger Bewirtschaftung mit Mais und Kunstdünger eine „reine Katastrophe“gewesen, so Loop. Allen Pächtern wurde deshalb geraten, erst einmal Kartoffeln anzubauen. „Die erwecken toten Boden wieder zum Leben“, sagt Sannwald.
Dass die Kleingartenanlage in Tiefenbach dabei weit mehr ist als nur ein Stück Land, auf dem Hobbygärtner ihre eigenen Pflanzen züchten, darauf ist der 72-Jährige besonders Stolz. Am Seelach treffen nicht nur Generationen, sondern auch unterschiedliche Kulturen aufeinander. Menschen aus Syrien, Palästina, Rumänien oder eben aus Tiefenbach arbeiten dort nebeneinander und miteinander. „Wir sind multikulti“, sagt Sannwald, der sich zudem im Illertisser Helferkreis engagiert. Auch Geflüchtete aus Eritrea halfen beim Aufbau mit. „Das ist gelebte Integration.“In gewisser Weise schließe sich damit ein Kreis. Denn bereits 1948, als die Anlage an der Gannertshofener Straße entstand, seien es überwiegend Heimatvertriebene und Flüchtlinge gewesen, die diese aufbauten.