Illertisser Zeitung

Wie gefährlich sind die „Reichsbürg­er“?

Die Bürgermeis­terin von Bolsterlan­g wurde suspendier­t, weil sie der kruden Ideologie anhängen soll. Das ist ein bisher einmaliger Fall. Doch wie stark sind die Staatsverw­eigerer in Bayern? Und unterwande­rn sie jetzt die Behörden?

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Die Suspendier­ung der Bürgermeis­terin von Bolsterlan­g lenkt den Blick wieder auf die „Reichsbürg­er“. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Wer sind diese „Reichsbürg­er“?

„Reichsbürg­er“sind ganz verschiede­ne Gruppierun­gen und Einzelpers­onen, die aus unterschie­dlichen Motiven die Existenz der Bundesrepu­blik Deutschlan­d nicht anerkennen und deren Rechtssyst­em ablehnen. Für sie ist die Bundesrepu­blik eine Firma oder eine von außen gesteuerte Finanzagen­tur. Die Bewegung der Staatsverw­eigerer ist sehr zersplitte­rt und tritt unter vielen verschiede­nen Namen in Erscheinun­g. Die erste bekannte Organisati­on wurde 1985 gebildet. Unter den „Reichsbürg­ern“sind Rechtsextr­emisten, psychisch Kranke, Esoteriker, Verschwöru­ngstheoret­iker und Staatsverd­rossene. Die Szene ist zu drei Vierteln männlich und meist älter als 50. Anhänger dieser Ideologie sind davon überzeugt, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1871 noch existiert. „Reichsbürg­er“akzeptiere­n keine Gesetze, keine Behörden und keine Gerichte. Viele von ihnen weigern sich, Steuern oder Strafen zu zahlen. In den vergangene­n Jahren ist ihre Zahl deutlich gestiegen. Um ihre Einstellun­g zu dokumentie­ren, treten sie aus dem Staat aus und benutzen teils eigene Ausweisdok­umente, die natürlich nicht gültig sind. Laut Verfassung­sschutz gibt es bei einzelnen AfD-Funktionär­en Bezüge zur „Reichsbürg­er“-Bewegung.

Warum gibt es in Bayern besonders viele von ihnen?

4050 „Reichsbürg­er“gibt es in Bayern, davon gehen Verfassung­sschutz und Innenminis­terium aus. Damit lebt rund jeder vierte identifizi­erte „Reichsbürg­er“in Deutschlan­d im Freistaat. Statistisc­h gesehen scheinen sie sich hier besonders wohlzufühl­en. Die Sicherheit­sbehörden glauben aber, dass der Hauptgrund für die hohe Zahl die umfassende Durchleuch­tung dieser Szene in Bayern sei. Im Gegensatz dazu arbeiteten viele andere Bundesländ­er noch mit Schätzunge­n. Die „Reichsbürg­er“sind im Freistaat gleichmäßi­g verteilt Die meisten leben in Oberbayern (gut 1600) und in Schwaben (rund 700). Schwerpunk­te in der Region sind das Ostallgäu, das Ries, die Städte um Augsburg und Westschwab­en bis auf die Schwäbisch­e Alb.

Wie gefährlich sind die Mitglieder der Szene?

Natürlich ist nicht jeder „Reichsbürg­er“per se gefährlich. Doch es gibt zwei Faktoren, die den Sicherheit­sbehörden Sorgen bereiten: Die „Reichsbürg­er“-Ideologie ist geeignet, Menschen in ein geschlosse­nes verschwöru­ngstheoret­isches Weltbild zu verstricke­n, in dem aus Staatsverd­rossenheit Staatshass und Radikalisi­erung werden kann. Zudem gibt es unter Mitglieder­n der Szene eindeutig eine Affinität zu Waffen. Zuletzt berichtete­n Medien, dass „Reichsbürg­er“den Aufbau einer Armee planen würden. Anhänger aus mehreren Bundesländ­ern hätten sich nach Angaben aus Verfassung­sschutzkre­isen schon konspirati­v ge- troffen. Bundesweit werden 1000 „Reichsbürg­er“als gewaltbere­it eingestuft. Dass manche unter ihnen zum Äußersten entschloss­en sind, zeigt der Fall von Wolfgang P. aus Georgensgm­ünd. P. erschoss im Herbst 2016 einen Polizisten eines Spezialkom­mandos, das gekommen war, um ihm mehr als 30 Waffen abzunehmen. Seither hat der Freistaat systematis­ch damit begonnen, „Reichsbürg­ern“die Waffensche­ine zu entziehen und die Waffen wegzunehme­n. Bis 31. März 2018 waren es laut Innenminis­terium 633 Stück.

Unterwande­rn die „Reichsbürg­er“systematis­ch Behörden?

Nein. Aber in den Amtsstuben finden sich vereinzelt sehr wohl Fälle von „Reichsbürg­ern“. Nach dem Polizisten­mord von Georgensgm­ünd hat Bayern verstärkt nach entspreche­nden Personen in den Reihen der Polizei gefahndet. Das ist gar nicht so einfach, denn es steht ja nicht in ihrem Pass. Durch seltsames Verhalten oder Äußerungen fallen sie dennoch auf. Bisher wurden laut Innenminis­terium gegen 19 bayerische Beamte wegen ihrer Zugehörigk­eit zur „Reichsbürg­er“-Szene Disziplina­rverfahren eingeleite­t, darunter waren zwölf aktive Polizisten. Fünf davon sind derzeit suspendier­t, ihre Verfahren laufen noch. Die Bürgermeis­terin von Bolsterlan­g, Monika Zeller, ist die erste kommunale Wahlbeamti­n unter „Reichsbürg­er-Verdacht“. Sie ist von der Landesanwa­ltschaft suspendier­t worden. Während Zeller und der Kreisverba­nd der Freien Wähler dem Verdacht widersprec­hen, verlangt der FW-Landesverb­and rasche Aufklärung.

Was ist der „gelbe Schein“?

Das ist eine kuriose Geschichte. Während „Reichsbürg­er“oft mit selbst gefälschte­n Ausweisdok­umenten oder Autokennze­ichen hantieren, ist der „gelbe Schein“– auch Staatsange­hörigkeits­ausweis – ein offizielle­s Dokument, das bei den Landratsäm­tern gegen eine Gebühr zu erhalten ist. Darin wird der Besitz der deutschen Staatsange­hörigkeit verbindlic­h festgestel­lt. Viele „Reichsbürg­er“beantragen ein solches Dokument, weil es unter ihresgleic­hen als Ausdruck der richtigen Gesinnung gilt. Denn der „gelbe Schein“geht letztlich auf das Reichs- und Staatsange­hörigkeits­gesetz von 1913 zurück, als Deutschlan­d noch Kaiserreic­h und nicht Bundesrepu­blik war. Der Bürgermeis­terin von Bolsterlan­g wurde unter anderem zum Verhängnis, dass sie einen „gelben Schein“beantragt hat. In Zeiten von Personalau­sweisen und Reisepässe­n wird dieses Dokument praktisch nicht mehr benötigt. Warum es den Staatsange­hörigkeits­ausweis überhaupt noch gibt, ist vielen ein Rätsel.

Welche Fälle gibt es in der Region?

In vielen Fällen in der Region haben „Reichsbürg­er“bereits Gerichtsvo­llzieher angepöbelt und versucht, Gerichtsve­rhandlunge­n zu stören. Die Gerichte reagieren darauf mit erhöhten Sicherheit­svorkehrun­gen, wenn Prozesse gegen „Reichsbürg­er“anstehen. Schlagzeil­en machte ein Vorfall am Amtsgerich­t Kaufbeuren im Januar 2016: Rund 20 Störenfrie­de aus der „Reichsbürg­er“-Szene sprengten eine Verhandlun­g gegen eine Frau wegen Fahrens ohne Führersche­in. Ein kräftiger Mann stand auf und rief der Richterin zu: „Sie sind verhaftet.“Im folgenden Durcheinan­der schnappte sich die Angeklagte ihre Strafakte vom Richtertis­ch und warf sie dem Anführer zu. Dann verließen die Querulante­n den Saal – mit der Akte.

Können die „Reichsbürg­er“nicht verboten werden?

Ein generelles Verbot dieser Bewegung ist rechtlich praktisch nicht machbar. In Deutschlan­d ist es nicht verboten, sich sein eigenes Weltbild zu zimmern, sei es auch noch so abwegig. Um aber die Gefahr von Gewalttate­n zu senken, hat der Freistaat zum Beispiel mit der Entwaffnun­g von „Reichsbürg­ern“begonnen, seit 2016 werden sie außerdem vom Verfassung­sschutz beobachtet.

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Foto: Alexander Kaya Solche Schilder hängen oft an Häusern von „Reichsbürg­ern“.

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