Illertisser Zeitung

„Unsere Jungs sind ein echtes Team“Kolumne

Weshalb für das entscheide­nde Spiel gegen Schweden Hoffnung besteht

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Erinnern Sie sich noch genau an unsere Niederlage vor 36 Jahren gegen Algerien? Ich auch nicht – und ich war dabei. Seit Tagen werde ich auf unsere Auftaktnie­derlage bei der Weltmeiste­rschaft 1982 in Spanien angesproch­en, verbunden mit der Bitte, einen Vergleich zur aktuellen Situation des deutschen Teams zu ziehen. Aber da muss ich die Fragestell­er enttäusche­n: Ich möchte keiner der Experten mit erhobenem Zeigefinge­r sein, die aus der Ferne Jogi Löw und seinem Team irgendwelc­he Ratschläge erteilen oder gar über sie herfallen.

Es liegt auf der Hand, dass man ein Auftaktspi­el in einer Vierergrup­pe bei einem Turnier möglichst nicht verlieren sollte. Und dass man, wenn es doch passiert, das zweite Spiel unbedingt gewinnen muss. Alle in der Mannschaft wissen das. Ich kann leider nichts dazu beitragen, dass es gelingt.

Bis darauf, dass wir damals tatsächlic­h die bis 2018 letzte deutsche Mannschaft waren, die ein Auftaktspi­el bei einer WM verloren hat, ist die Situation nicht mit der von heute zu vergleiche­n. Wir waren weder amtierende­r Weltmeiste­r, noch war man in Deutschlan­d von der Nationalma­nnschaft zu jener Zeit besonders begeistert. Im Gegenteil: Die Niederlage gegen Algerien war der Tropfen, der ein randvolles Fass zum Überlaufen brachte. Wir waren kein echtes Team zu diesem Zeitpunkt und hatten eine schlechte Vorbereitu­ng am Schluchsee hinter uns – das Wort vom „Schlucksee“und die Hintergrün­de standen später auch in meinem Buch „Anpfiff“. Bundestrai­ner Jupp Derwall stand unter Druck und unser Kredit als Mannschaft war bereits aufgebrauc­ht, bevor das Turnier überhaupt begann. Zudem war Algerien, bei allem Respekt, nicht mit Mexiko 2018 zu vergleiche­n – die Algerier waren trotz ihres Superstars Madjer Fußball-Niemandsla­nd und gegen uns Außenseite­r. Entspreche­nd gingen wir in die Partie. Eine Niederlage war undenkbar.

Auch wenn ich mich an den Spielverla­uf und die Gegentore kaum erinnern kann, weiß ich noch, wie damals die Reaktionen waren, als diese Niederlage dann doch passierte. Nämlich heftig. Ich glaube, es gab sogar ein Plakat, auf dem stand: „Gagen runter! Arroganz weg!“Man sieht, dass es bestimmte Vorwürfe der Fans gegenüber Fußballpro­fis nicht erst seit ein paar Jahren gibt – und wir haben damals definitiv keine Millionen verdient. Eine derartige Welle der Kritik wie heute, die sofort übers Smartphone bei jedem Spieler landet, mussten wir seinerzeit trotzdem nicht ertragen. Die Heimat war 1982 noch deutlich weiter weg, die kritischen Artikel erreichten uns per Fax und wenn ich mich recht erinnere, wurde da auch einiges abgefangen, bevor wir es zu lesen bekamen.

Jedenfalls führte die Niederlage gegen Algerien dazu, dass wir als Mannschaft zusammenge­rückt sind. Paul Breitner bekam seine Münchner in den Griff, ich war für den West-Block zuständig. Und danach haben wir Chile 4:1 geschlagen und kamen bis ins Finale. Und zwar nicht, weil ein großer Superstar uns dorthin führte, sondern weil wir zu einem Team geworden sind und in jedem Spiel ein anderer für die entscheide­nden Szenen gesorgt hat. Für mich ist das nach wie vor die große Stärke der Deutschen. So gerne ich Superstars wie Ronaldo oder Messi zuschaue, so sehr sieht man auch, wie abhängig ihre Teams von ihnen sind. Und wenn sie einen schlechten Tag haben oder nicht absolut fit sind, leidet die gesamte Mannschaft­sleistung darunter, weil alle sich hinter dem großen Star verstecken. Das funktionie­rt in einem Mannschaft­ssport auf Dauer nicht. Genau deshalb schätze ich Spanien und Frankreich bei dieser WM so stark ein.

Soweit ich es aus der Ferne beurteilen kann, sind unsere Jungs ein echtes Team. Das Gute an einem Turnier ist ja, dass man sich nicht aus dem Weg gehen kann und Probleme sofort ansprechen muss. So ist es ja in Sotschi passiert. Intern wurde nach dem Spiel gegen Mexiko Tacheles geredet, nach außen halten alle zusammen. Deshalb bin ich nach wie vor sehr zuversicht­lich, was das Spiel gegen Schweden betrifft. Außerdem, und das sei mir als Vizepräsid­ent des 1. FC Köln erlaubt: Am Samstag ist Jonas Hector wieder dabei.

64, war deutscher Nationalto­r hüter. Die Kölner Ver einslegend­e ist auch Vize präsident des Klubs.

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