Illertisser Zeitung

Sie schippern mit der Schachtel aus der Schule

Vier Wochen lang haben Schüler der Praxisklas­se der Peter-Schöllhorn-Mittelschu­le in Neu-Ulm zusammen ein Boot gebaut. Das Ergebnis ist so etwas wie ihre Abschlussa­rbeit. Ob es schwimmt, wussten sie bis zuletzt selbst nicht

- VON ALEXANDER RUPFLIN

Die „Ulmer Schachtel“ist ein schwimmend­es Fossil. Zum ersten Mal zu Wasser gelassen im 16. Jahrhunder­t treibt sie seitdem über die Donau. Bis dahin hatten die Ulmer Fernhändle­r ihre Waren auf Flößen den Fluss hinabgesch­ickt. Aber was heute das Erdöl ist, war damals das Holz: teuer und knapp. Darum bereichert­en sich die Ulmer an dem nautischen Know-how aus Ingolstadt, Deggendorf und Passau: Aus dem Holz für ein Floß konnten zwei „Schachteln“gezimmert werden und so begann 1570 die Tradition des Ulmer Schiffbaus, die ziemlich genau 400 Jahre dauern sollte.

Genannt wurde der neue Schiffstyp „Zille“. Wegen des oft niedrigen Wasserstan­des an der Oberen Donau haben die Schiffsbau­er das Boot mit einem flachen Boden an Stelle eines Kiels konstruier­t. Der Titel „Schachtel“war ursprüngli­ch lediglich eine abfällige Bezeichnun­g, die einmal im Stuttgarte­r Landtag gefallen war, um die Donauschif­ffahrt in Ulm herabzuwür­digen.

400 Jahre später: Der 17-jährige Marcel Toitsch steht kurz vor seinem Schulabsch­luss. Er sitzt als einer von 14 Schülern in der Praxisklas­se der Neu-Ulmer Peter-Schöllhorn-Mittelschu­le. Leicht ist ihm der Weg bis dahin nicht gefallen. Aber dank der sogenannte­n Praxisklas­se in seiner Schule kann er seine Stärken im Unterricht ausspielen: Im Gegensatz zu den normalen Abschlussk­lassen arbeiten die Schüler hier ein halbes Schuljahr handwerkli­ch – und bauen gemeinsam eine Abschlussa­rbeit.

Marcel und seine Klassenkam­eraden haben sich dafür entschiede­n, eine Ulmer Schachtel zu konstruier­en – die am Ende auch schwimmen soll. Bevor sie das aber testen konnten, kam es bei den Schülern erst einmal zum Streit.

„Einen Tag haben wir über nichts Anderes diskutiert“, sagt Marcel. Die Frage nach der Farbe, die das Boot haben sollte, nachdem sie wochenlang zusammenge­arbeitet hatten, stellte die Klassengem­einschaft auf die Probe. Das einzige Mädchen in der Runde wünschte sich unbedingt pink – womit sie sich bei den Kameraden nicht durchsetze­n konnte. Ein paar Jungs wollten es lieber komplett schwarz. Aber Marcel und seine Kameraden Onor, Nosratan und Edon waren sich dann bald sicher: „Es soll schon der Geschichte entspreche­n“. Und eine original Ulmer Schachtel ist nun mal schwarz-weiß gestreift. Darauf einigten sich schließlic­h alle. Der Klassenver­bund hielt der Streitfrag­e stand. Überhaupt muss Marcel feststelle­n: „Am Ende ging es bei uns gar nicht mehr um die Note, sondern um den gemeinsame­n Spaß.“

In den vier Wochen zuvor hatten die Schüler Skizzen und Modelle gebaut und dann das acht Meter lange Boot gefräst, gesägt, geschliffe­n und geleimt. Eine Sorge begleitete die Jugendlich­en immer: Die Unsicherhe­it, ob ihre „Schachtel“tatsächlic­h schwimmen wird. Um die Probe aufs Exempel zu wagen, transporti­erten die Schüler zusammen mit ihrer Lehrerin Mirjam Müller die fertige Abschlussa­rbeit an den Sendener Waldbagger­see.

Das Ergebnis: Bestanden! Kein Leck, kein Wasser im Bootsinner­en. Die Schüler paddelten stolz über den See. „Wir haben gelernt, wie man als Team Lösungen findet“, sagte Marcel. „Und am Ende waren wir richtig traurig, dass es vorbei war.“Die Streiterei­en waren vergessen.

Die Jugendlich­en der PeterSchöl­lhorn-Mittelschu­le empfinden ihre Praxisklas­se als große Chance. Einige haben durch die Praktika, die sie während des Schuljahre­s absolviert­en eine Ausbildung­sstelle gefunden. Mit der „Ulmer Schachtel“schippern die Schüler nun in die Berufswelt.

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Fotos: Felix Oechsler Zusammen mit Lehrerin Mirjam Müller und Schreiner Uwe Tech haben die Schüler der Praxisklas­se von der Peter Schöllhorn Mittelschu­le eine Ulmer Schachtel gebaut. Das Projekt war ihre Abschlussa­rbeit.
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Das Boot schwimmt! Wochenlang haben die Schüler an der Ulmer Schachtel gearbei tet ohne zu wissen, ob sie am Ende auch seetauglic­h ist.

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