Sie schippern mit der Schachtel aus der Schule
Vier Wochen lang haben Schüler der Praxisklasse der Peter-Schöllhorn-Mittelschule in Neu-Ulm zusammen ein Boot gebaut. Das Ergebnis ist so etwas wie ihre Abschlussarbeit. Ob es schwimmt, wussten sie bis zuletzt selbst nicht
Die „Ulmer Schachtel“ist ein schwimmendes Fossil. Zum ersten Mal zu Wasser gelassen im 16. Jahrhundert treibt sie seitdem über die Donau. Bis dahin hatten die Ulmer Fernhändler ihre Waren auf Flößen den Fluss hinabgeschickt. Aber was heute das Erdöl ist, war damals das Holz: teuer und knapp. Darum bereicherten sich die Ulmer an dem nautischen Know-how aus Ingolstadt, Deggendorf und Passau: Aus dem Holz für ein Floß konnten zwei „Schachteln“gezimmert werden und so begann 1570 die Tradition des Ulmer Schiffbaus, die ziemlich genau 400 Jahre dauern sollte.
Genannt wurde der neue Schiffstyp „Zille“. Wegen des oft niedrigen Wasserstandes an der Oberen Donau haben die Schiffsbauer das Boot mit einem flachen Boden an Stelle eines Kiels konstruiert. Der Titel „Schachtel“war ursprünglich lediglich eine abfällige Bezeichnung, die einmal im Stuttgarter Landtag gefallen war, um die Donauschifffahrt in Ulm herabzuwürdigen.
400 Jahre später: Der 17-jährige Marcel Toitsch steht kurz vor seinem Schulabschluss. Er sitzt als einer von 14 Schülern in der Praxisklasse der Neu-Ulmer Peter-Schöllhorn-Mittelschule. Leicht ist ihm der Weg bis dahin nicht gefallen. Aber dank der sogenannten Praxisklasse in seiner Schule kann er seine Stärken im Unterricht ausspielen: Im Gegensatz zu den normalen Abschlussklassen arbeiten die Schüler hier ein halbes Schuljahr handwerklich – und bauen gemeinsam eine Abschlussarbeit.
Marcel und seine Klassenkameraden haben sich dafür entschieden, eine Ulmer Schachtel zu konstruieren – die am Ende auch schwimmen soll. Bevor sie das aber testen konnten, kam es bei den Schülern erst einmal zum Streit.
„Einen Tag haben wir über nichts Anderes diskutiert“, sagt Marcel. Die Frage nach der Farbe, die das Boot haben sollte, nachdem sie wochenlang zusammengearbeitet hatten, stellte die Klassengemeinschaft auf die Probe. Das einzige Mädchen in der Runde wünschte sich unbedingt pink – womit sie sich bei den Kameraden nicht durchsetzen konnte. Ein paar Jungs wollten es lieber komplett schwarz. Aber Marcel und seine Kameraden Onor, Nosratan und Edon waren sich dann bald sicher: „Es soll schon der Geschichte entsprechen“. Und eine original Ulmer Schachtel ist nun mal schwarz-weiß gestreift. Darauf einigten sich schließlich alle. Der Klassenverbund hielt der Streitfrage stand. Überhaupt muss Marcel feststellen: „Am Ende ging es bei uns gar nicht mehr um die Note, sondern um den gemeinsamen Spaß.“
In den vier Wochen zuvor hatten die Schüler Skizzen und Modelle gebaut und dann das acht Meter lange Boot gefräst, gesägt, geschliffen und geleimt. Eine Sorge begleitete die Jugendlichen immer: Die Unsicherheit, ob ihre „Schachtel“tatsächlich schwimmen wird. Um die Probe aufs Exempel zu wagen, transportierten die Schüler zusammen mit ihrer Lehrerin Mirjam Müller die fertige Abschlussarbeit an den Sendener Waldbaggersee.
Das Ergebnis: Bestanden! Kein Leck, kein Wasser im Bootsinneren. Die Schüler paddelten stolz über den See. „Wir haben gelernt, wie man als Team Lösungen findet“, sagte Marcel. „Und am Ende waren wir richtig traurig, dass es vorbei war.“Die Streitereien waren vergessen.
Die Jugendlichen der PeterSchöllhorn-Mittelschule empfinden ihre Praxisklasse als große Chance. Einige haben durch die Praktika, die sie während des Schuljahres absolvierten eine Ausbildungsstelle gefunden. Mit der „Ulmer Schachtel“schippern die Schüler nun in die Berufswelt.