Lösen Viren Alzheimer aus?
Amerikanische Wissenschaftler sehen Zusammenhang von Herpesinfektion und der weitverbreiteten Demenz
Die Alzheimer-Krankheit steht möglicherweise in Verbindung mit bestimmten Herpes-Infektionen. In einer groß angelegten Untersuchung zeigten US-Forscher, dass Spuren der Varianten HHV-6A und HHV-7 gehäuft in Gehirnen von Alzheimer-Patienten vorkommen. Beide sind mit Lippen- und Genitalherpes verwandt.
Alzheimer ist die mit Abstand häufigste Demenzform weltweit. Allein in Deutschland sind Schätzungen zufolge rund eine Million Menschen betroffen. Seit Jahrzehnten suchen Forscher nach der Ursache der Erkrankung – bisher ohne klaren Erfolg. Auffällig sind Ablagerungen des Proteins „Tau“in Nervenzellen und des Proteins „Amyloid beta“zwischen Nervenzellen.
Die Forschung wird vor allem dadurch erschwert, dass die Schädigung des Gehirns zunächst unerkannt langsam voranschreitet. Zum Zeitpunkt der Diagnose ist die Krankheit dann oft schon weit fortgeschritten.
Seit über 65 Jahren hält sich der Verdacht, dass Infektionen an der Krankheit beteiligt sein könnten. Dafür haben Forscher um Ben Readhead von der Mount Sinai School of Medicine in New York nun den nach eigenen Angaben stärksten Beleg gefunden.
Das Team hatte ursprünglich nach molekularen Auffälligkeiten bei der Entstehung der Krankheit gefahndet. Dazu untersuchte es zunächst vier von der Krankheit betroffene Hirnareale bei 622 Hirnspendern mit Alzheimer-Symptomen und 322 anderen Menschen. Dabei fanden die Forscher bei Menschen mit dieser Demenzform häufiger als in der anderen Gruppe Erbgut von Humanen Herpesviren (HHV) der Typen 6a und 7. Die Analyse von drei anderen Datensätzen bestätigte diesen Zusammenhang. „Wir suchten nicht nach Viren, aber die Viren sprangen uns sozusagen an“, sagte Readhead.
Im nächsten Schritt untersuchte das Team, ob die Präsenz der Viren zu den krankhaften AlzheimerKennzeichen beitragen könnte. Dazu prüfte es, ob das menschliche Erbgut mit dem der Viren interagieren könnte. Auch diese Analyse ergab, dass die Viren den Hirnstoffwechsel beeinflussen könnten. Möglicherweise, so spekulieren die Forscher, setze eine hohe Virenlast im Gehirn eine Immunreaktion in Gang, die die Entstehung oder das Fortschreiten der Krankheit fördert.
„Wir können die Frage nicht beantworten, ob Herpesviren eine primäre Ursache der AlzheimerKrankheit sind“, räumt Studienleiter Joel Dudley ein. „Aber klar ist, dass sie Netzwerke stören und an Netzwerken beteiligt sind, die die Entwicklung des Gehirns Richtung Alzheimer-Struktur beschleunigen.“
HHV-6A und HHV-7 sind nur entfernt mit Lippen- und Genitalherpes (Herpes labialis) verwandt, ähnlich wie dieser aber bei weit über 90 Prozent der Bevölkerung verbreitet. HHV-6 und HHV-7 gelten als Verursacher des Drei-Tage-Fiebers, das vorwiegend bei Kindern auftritt. „Dies ist der bisher schlüssigste Beleg, der auf eine virale Beteiligung an der Entstehung oder am Fortschreiten der AlzheimerKrankheit hinweist“, betont CoAutor Sam Gandy.
Professor Stefan Bonn vom Uniklinikum Eppendorf in Hamburg hält die Arbeit für einen großen Schritt nach vorn. „Viren und Bakterien spielen möglicherweise bei vielen Krankheiten eine Rolle.“Zwar betont der Experte des Zentrums für Molekulare Neurobiologie (ZMNH), dass die Studie keine kausale Verbindung zwischen den Viren und der Demenzform nachweist. Aber man werde nun eine Kausalität gezielt untersuchen. „Wir sind in einer Ära der Wissenschaft, in der wir bemerken, dass wir sehr viele Bakterien und Viren in uns tragen“, sagt Bonn. „Darüber, was das bedeutet, ist bisher sehr wenig bekannt. Diese Forschung steht noch ganz am Anfang.“