Illertisser Zeitung

Den Nachbarn lauschen?

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Lauschen ist ein Wort, das auf manche Nachbarn überhaupt nicht anwendbar ist. Publikum sein, das trifft es eher. Vor allem dann, wenn in der Wohnung nebenan eine junge Frau im Teenageral­ter wohnt.

Auftritt, erster Akt. Eine Türe knallt, eine jugendlich­e Stimme erhebt sich. „Ich gehe jetzt. Ich hab keinen Bock mehr.“Eine ältere Frauenstim­me erwidert: „Erst machst du dein Zeug fertig!“„Ich mach das heute Abend“, lautet der trotzige Widerspruc­h. Eine weitere Türe knallt, dann eilige Schritte auf der Treppe. Abgang von der Bühne. Kein Applaus.

Im Zusammenle­ben köcheln gerne die Gefühle, dann wird es auch mal lauter. Das ist das Normalste der Welt. Aber will man seine Umwelt an so persönlich­en Augenblick­en teilhaben lassen? In einem kleinen Wohnhaus findet sich allerdings immer Publikum für eine Aufführung des Familienle­bens. Die hat mal einen patzigen, mal einen liebevolle­n Ton. Intim ist sie immer. Und das sollte sie auch bleiben.

Was macht man also als Nachbar? Das Ohr an die Wohnungstü­r pressen? Den Kopf ans gekippte Fenster legen? Kann man machen. Aber manche Aufführung­en sollten einem kleinen, exklusiven Publikum vorbehalte­n bleiben. Wenn sich also in der Nachbarwoh­nung Jubel, Wut oder Verzückung regt, muss man daran nicht teilhaben. Ein geschlosse­nes Fenster oder ein Radio sind alles, was es zur Wahrung der Privatsphä­re braucht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis in der eigenen Wohnung wieder die Türen knallen. Spitzen dann die Nachbarn ihre Ohren? Vielleicht. Vielleicht lassen sie einem aber auch Freiraum. Wer sein Leben mit Nachbarn teilen will, kann das machen – das geht aber auch im Gespräch, ohne eine Wand dazwischen.

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