Ein Leben zwischen Widerstand und Terror
Freya Klier kämpfte gegen das Regime in der DDR. Vor Illertisser Schülern erzählt die Autorin, warum man sie dafür töten wollte
„Nieder mit der DDR!“Für diesen Satz wurde Freya Kliers Vater im Jahr 1953 in Dresden verhaftet. Für die damals Dreijährige war das die erste Begegnung mit dem totalitären Staat und gleichzeitig der Beginn eines langen Kampfes für den Widerstand und die Freiheit. Auch eine Menschenrechtsbewegung hat sie dafür gegründet. Bei einem Vortrag vor knapp 150 Schülern im Kolleg der Schulbrüder in Illertissen erzählte Klier vom Leben und Überleben in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik.
Dieser Satz, für den ihr Vater ins Gefängnis musste und ihn als „Feind des Staates“auswies, habe er in Wahrheit nie gesagt, so Klier. Der Polizist habe sich das ausgedacht, weil ihr Vater ihn zuvor geschlagen hatte. Daraufhin habe man ihren Vater ins Gefängnis gesteckt und seine beiden Kinder ins Kinderheim, wo sie zu staatstreuen Kommunisten erzogen werden sollten. „Ich war davon total eingeschüchtert“, erzählte Klier. Nur ihr ein Jahr älterer Bruder habe sich von all dem nicht beeindrucken lassen.
Der Bau der Berliner Mauer und der Grenzanlagen zu Westdeutschland seien für Klier und viele andere Menschen eine Katastrophe gewesen. „Ab da waren wir eingeschlossen.“Eine deprimierte Stimmung habe sich daraufhin in ihrem Bekanntenkreis breitgemacht. „In den 1960er- und 70er-Jahren war die DDR das Land mit der zweithöchsten Suizidrate auf der Welt.“Vor allem unter jungen Menschen sei der Frust gewachsen, weil die für viele Jugendliche so anziehende westliche Kultur im Land verboten war. „Wir durften Bands wie die Beatles oder die Rolling Stones ja nicht hören“, sagte sie.
Ihren Bruder brachte das 1966 sogar hinter Gitter: „Er stand mit seinen Freunden an einer Bäckerei und tauschte abgeschriebene Texte der Stones und Beatles. Und weil sie zu siebt waren, galt es als illegale Versammlung.“Daraufhin kam die ganze Gruppe ins Gefängnis, die einen für vier Jahre, die anderen für elf. „Ab dem Zeitpunkt gab es für uns alle nur noch ein Thema im Freundeskreis: Wie kommen wir hier raus?“
Klier versuchte zu fliehen. Erst zusammen mit einer Freundin auf einer Luftmatratze, von der Ostseeküste nach Dänemark. Doch am Strand angekommen mussten sie feststellen: „Luftmatratzen waren dort verboten. Damit keiner abhauen kann.“Dann wollte sie mit einem Schiff von Rostock nach Schweden übersetzen, doch die Beamten der Staatssicherheit hielten sie auf und sperrten Klier für elf Monate weg.
Noch ein einschneidendes Erlebnis habe ihr Leben verändert: Der Suizid ihres Bruders, der zuvor von der Stasi in eine Nervenheilanstalt verschleppt worden war. „Das war der Moment, wo ich mir dachte: Jetzt reicht’s!“In Berlin Pankow gründete sie den „Friedenskreis“, der sich für die Bürgerrechte in der DDR kämpfte. Dadurch wurde sie wieder zum Ziel der Stasi. „Uns beobachteten zeitweise 82 Beamte“, erzählte Klier.
Und dann kam der 8. November 1987, der Tag des Giftanschlags. Auf das Lenkrad ihres Wagens hatten Stasi-Mitarbeiter unbemerkt Nervengift aufgebracht, das bei ihr zu Halluzinationen und Lähmungserscheinungen führte. Klier verlor die Kontrolle über das Auto. „Wir rasten auf einen Brückenpfeiler zu und ich konnte nichts tun. Ich dachte, wir werden sterben.“Doch ihr Beifahrer und damaliger Freund, Stephan Krawczyk, zog das Steuer herum und rettete beiden das Leben. „Ich wusste nicht, was los war. Ich dachte, ich werde verrückt“, erzählte Klier vor den Illertisser Schülern sichtlich angespannt. „Bis heute kann ich nicht mehr Autofahren.“
Seit der Wende will Klier vor allem Jugendlichen das Leben in der Diktatur näherbringen. „Es war ein absoluter Scheiß-Staat.“Davon ist die 68-Jährige überzeugt. „Man muss sich das immer wieder bewusst machen, damit die Verbrechen von damals nicht vergessen werden.“