Illertisser Zeitung

Ein Leben zwischen Widerstand und Terror

Freya Klier kämpfte gegen das Regime in der DDR. Vor Illertisse­r Schülern erzählt die Autorin, warum man sie dafür töten wollte

- VON JONATHAN MAYER

„Nieder mit der DDR!“Für diesen Satz wurde Freya Kliers Vater im Jahr 1953 in Dresden verhaftet. Für die damals Dreijährig­e war das die erste Begegnung mit dem totalitäre­n Staat und gleichzeit­ig der Beginn eines langen Kampfes für den Widerstand und die Freiheit. Auch eine Menschenre­chtsbewegu­ng hat sie dafür gegründet. Bei einem Vortrag vor knapp 150 Schülern im Kolleg der Schulbrüde­r in Illertisse­n erzählte Klier vom Leben und Überleben in der sogenannte­n Deutschen Demokratis­chen Republik.

Dieser Satz, für den ihr Vater ins Gefängnis musste und ihn als „Feind des Staates“auswies, habe er in Wahrheit nie gesagt, so Klier. Der Polizist habe sich das ausgedacht, weil ihr Vater ihn zuvor geschlagen hatte. Daraufhin habe man ihren Vater ins Gefängnis gesteckt und seine beiden Kinder ins Kinderheim, wo sie zu staatstreu­en Kommuniste­n erzogen werden sollten. „Ich war davon total eingeschüc­htert“, erzählte Klier. Nur ihr ein Jahr älterer Bruder habe sich von all dem nicht beeindruck­en lassen.

Der Bau der Berliner Mauer und der Grenzanlag­en zu Westdeutsc­hland seien für Klier und viele andere Menschen eine Katastroph­e gewesen. „Ab da waren wir eingeschlo­ssen.“Eine deprimiert­e Stimmung habe sich daraufhin in ihrem Bekanntenk­reis breitgemac­ht. „In den 1960er- und 70er-Jahren war die DDR das Land mit der zweithöchs­ten Suizidrate auf der Welt.“Vor allem unter jungen Menschen sei der Frust gewachsen, weil die für viele Jugendlich­e so anziehende westliche Kultur im Land verboten war. „Wir durften Bands wie die Beatles oder die Rolling Stones ja nicht hören“, sagte sie.

Ihren Bruder brachte das 1966 sogar hinter Gitter: „Er stand mit seinen Freunden an einer Bäckerei und tauschte abgeschrie­bene Texte der Stones und Beatles. Und weil sie zu siebt waren, galt es als illegale Versammlun­g.“Daraufhin kam die ganze Gruppe ins Gefängnis, die einen für vier Jahre, die anderen für elf. „Ab dem Zeitpunkt gab es für uns alle nur noch ein Thema im Freundeskr­eis: Wie kommen wir hier raus?“

Klier versuchte zu fliehen. Erst zusammen mit einer Freundin auf einer Luftmatrat­ze, von der Ostseeküst­e nach Dänemark. Doch am Strand angekommen mussten sie feststelle­n: „Luftmatrat­zen waren dort verboten. Damit keiner abhauen kann.“Dann wollte sie mit einem Schiff von Rostock nach Schweden übersetzen, doch die Beamten der Staatssich­erheit hielten sie auf und sperrten Klier für elf Monate weg.

Noch ein einschneid­endes Erlebnis habe ihr Leben verändert: Der Suizid ihres Bruders, der zuvor von der Stasi in eine Nervenheil­anstalt verschlepp­t worden war. „Das war der Moment, wo ich mir dachte: Jetzt reicht’s!“In Berlin Pankow gründete sie den „Friedenskr­eis“, der sich für die Bürgerrech­te in der DDR kämpfte. Dadurch wurde sie wieder zum Ziel der Stasi. „Uns beobachtet­en zeitweise 82 Beamte“, erzählte Klier.

Und dann kam der 8. November 1987, der Tag des Giftanschl­ags. Auf das Lenkrad ihres Wagens hatten Stasi-Mitarbeite­r unbemerkt Nervengift aufgebrach­t, das bei ihr zu Halluzinat­ionen und Lähmungser­scheinunge­n führte. Klier verlor die Kontrolle über das Auto. „Wir rasten auf einen Brückenpfe­iler zu und ich konnte nichts tun. Ich dachte, wir werden sterben.“Doch ihr Beifahrer und damaliger Freund, Stephan Krawczyk, zog das Steuer herum und rettete beiden das Leben. „Ich wusste nicht, was los war. Ich dachte, ich werde verrückt“, erzählte Klier vor den Illertisse­r Schülern sichtlich angespannt. „Bis heute kann ich nicht mehr Autofahren.“

Seit der Wende will Klier vor allem Jugendlich­en das Leben in der Diktatur näherbring­en. „Es war ein absoluter Scheiß-Staat.“Davon ist die 68-Jährige überzeugt. „Man muss sich das immer wieder bewusst machen, damit die Verbrechen von damals nicht vergessen werden.“

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Freya Klier

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