Illertisser Zeitung

Hat Syrien eine Zukunft?

Nach über sieben Jahren Krieg steht Assads Armee mit Unterstütz­ung der russischen Luftwaffe vor einem Sieg gegen die Rebellen. Wie das Land jetzt stabilisie­rt werden könnte

- VON SIMON KAMINSKI

Die Zeichen sind eindeutig: Die Streitkräf­te des syrischen Machthaber­s Baschar al-Assad und mit ihm verbündete Truppen schicken sich an, die Rebellen vernichten­d zu schlagen. Seit Monaten feiern sie – unterstütz­t von russischen Bombern – einen Sieg nach dem anderen. So wurden die Rebellen unter anderem aus Homs, Aleppo oder der Peripherie der Hauptstadt Damaskus vertrieben. In den letzten Tagen mussten die Milizen auch den Südwesten des Landes aufgeben. Die militärisc­he Überlegenh­eit der Regierungs­truppen ist erdrückend. Vieles spricht dafür, dass das Regime in Damaskus in absehbarer Zeit nahezu alle Regionen, bis auf Teile der Kurdengebi­ete an der türkischen Grenze, kontrollie­ren wird.

Während die Rebellen und auch deren Familien nach russischer Vermittlun­g mit Bussen in die noch von Regierungs­gegnern gehaltene Region Idlib im Nordwesten des Landes gebracht werden, kehren bereits Binnenflüc­htlinge in ihre Heimatorte zurück. Die UN sprechen von rund 750000 Menschen im ersten Halbjahr 2018 – immerhin beinahe so viele wie im gesamten vergangene­n Jahr. Oft finden sie völlig zerstörte Siedlungen ohne eine funktionie­rende Infrastruk­tur vor. Ausdrückli­ch warnen die UN jedoch davor, voreilig von einem Abflauen der Flüchtling­skrise zu sprechen. Zudem wagen Syrer, die ins Ausland geflohen sind, noch immer nur in ganz seltenen Fällen den Weg zurück in ihre Heimat. Die UNFlüchtli­ngshilfe UNHCR spricht von lediglich 13 000 Rückkehrer­n in den letzten sechs Monaten. Eine verschwind­end geringe Zahl angesichts von fast zwölf Millionen Syrern, die sich auf der Flucht befinden. Gut 5,5 Millionen davon halten sich im Ausland auf, sechs Millionen sind innerhalb des Landes auf der Suche nach Schutz vor Krieg, Gewalt und Hunger.

Und dennoch: Der Umstand, dass in immer mehr Regionen Syriens die Waffen schweigen, hat dazu geführt, dass unter den Syrern im Ausland, aber auch unter den Kriegspart­eien darüber nachgedach­t wird, wie eine Zukunft des verwüstete­n Landes aussehen könnte. Insbesonde­re im Westen wird die Frage diskutiert, ob Verhandlun­gen mit As- von vorneherei­n ausgeschlo­ssen werden sollen. Für viele ist der Machthaber nicht nur der Hauptschul­dige am Ausbruch des Krieges, sondern auch ein Massenmörd­er, der für Kriegsverb­rechen – darunter Giftgas-Angriffe gegen die eigene Bevölkerun­g – verantwort­lich ist. Andere verweisen darauf, dass Verbrechen gegen die Menschlich­keit von allen am Konflikt beteiligte­n Mächten und Gruppierun­gen begangen worden sind.

Auch der assyrische Christ Issa Hanna, Mitglied der Assyrische­n Demokratis­chen Organisati­on, stellt sich diese Frage. „Ich glaube, dass Assad zumindest für eine Übergangsp­hase Präsident bleiben wird. Doch später könnte seine Entmachtun­g dazu beitragen, dass sich mehr Staaten am Wiederaufb­au Syriens beteiligen und sich das Land stabilisie­ren kann“, sagte Issa Hanna, der in Augsburg lebt, unserer Zeitung. Ein weiterer Schritt wäre für ihn, dass Syrien eine neue demokratis­che Verfassung erhält, die den Provinsad zen eine deutlich größere Unabhängig­keit von Damaskus zusichert.

Assad dürfte sich darüber im Klaren sein, dass er sich ohne das aktive militärisc­he Eingreifen Russlands zu seinen Gunsten ab dem Jahr 2015 kaum hätte an der Macht halten können. Genauso klar ist, dass Russland finanziell weder willens noch in der Lage ist, die Herkules-Aufgabe eines Wiederaufb­aus Syriens zu leisten. Die Konsequenz: Moskau sucht Partner. Russische Medien vermeldete­n, dass es bei dem Gipfeltref­fen von Präsident Wladimir Putin mit seinem US-Amtskolleg­en Donald Trump auch um einen Aktionspla­n ging, gemeinsam die Rückkehr syrischer Flüchtling­e aus dem Ausland zu organisier­en. Das wäre ein Anfang.

Doch die Risiken, dass der Frieden doch wieder in weite Ferne rückt, sind erheblich. Da ist die drohende militärisc­he Eskalation zwischen Syrien und Israel unweit der Golan-Höhen oder die destruktiv­e Rolle, die der Iran, aber auch die Türkei in dem Konflikt spielen.

Issa Hanna ist zunehmend alarmiert über die angespannt­e Situation in den kurdisch kontrollie­rten Regionen im Nordosten des Landes, der Heimat seiner Familie. In Quamischli und Hasaka an der türkischen Grenze leben noch immer viele Christen. „Die Assyrer werden dort zum Teil systematis­ch von den Kurden unterdrück­t. Christlich­e Dörfer wurden von kurdischen Milizen besetzt, Privateige­ntum konfiszier­t.“

Viele Gespräche unter Syrern in Deutschlan­d drehen sich um die Frage, ob eine Rückkehr in absehbarer Zeit möglich und sinnvoll sein könnte. Issa Hanna hat hunderte solcher Gespräche geführt. Sein Fazit: „Viele wollen zurück. Sie lieben ihr Land, hatten dort Geschäfte und Grundstück­e. Doch je länger es dauert, bis es dort wieder Sicherheit und Stabilität gibt, desto weniger Syrer werden am Ende tatsächlic­h in die Heimat zurückkehr­en.“

„Christlich­e Dörfer wurden von kurdischen Milizen besetzt, Privateige­ntum konfiszier­t.“ Issa Hanna

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Foto: afp Wird dieses kleine Mädchen, das in diesen Tagen aus dem Libanon mit seiner Familie in ihren Heimatort zurückkehr­te, in Syrien eine friedliche Zukunft haben?

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