Große Oper im Provinzkino
Joseph Haydns „Orlando Paladino“zwischen Leinwand und Bühne
Es ist ein Theaterstoff, der Regisseure zum Provozieren, Fantasieren und zum Spektakel reizt. „Orlando furioso“, das Epos des Ludovico Ariost (1516), ist ein literarisches Monster zwischen Welttheater und Märchen, in dem sich Ritter, Imperien, Liebespaare austoben, das die Spielorte wechselt, von Brixen bis China, und in extremsten Passagen den Mond ansteuert – Welten-Wahnsinn, Renaissance-Science-Fiction.
Kein Wunder, dass heute auch das Kino Spielort für die Oper sein darf. Im Prinzregententheater wurde Joseph Haydns „Orlando Paladino“eine Fassung verpasst, worin der Film-Zelluloid eine tragende Rolle spielt – zum Vergnügen des begeisterten Publikums. Und es war ein Festessen für Axel Ranisch, den 35-jährigen Filmemacher, der 2017 mit „Babbeldasch“, dem improvisierten Ludwigshafen-Tatort, das TV-Publikum verstörte.
Ariosts „Orlando“ist bei Haydn (Libretto: Nunziato Porta) in eine abstruse Liebesgeschichte verwickelt. Mit wütender Inbrunst kämpfen er und Rodomente, König von Barbaria, um Königin Angelica, die aber in Medoro verliebt ist. Doch das Ganze ist mehr als eine kleinliche Rivalitätsstory – vielmehr laufen die beiden verwirrten Köpfe einfach Amok, wissen nicht mehr, was sie wirklich wollen: echte Liebe oder Kampf als „Macho“-Selbstzweck.
Orlando, ohnehin permanent verrückt (neurotisch?), eine Mischung aus Don Quijote und ziellosem Eroberer, leidet eher unter seinen Liebesattacken; Rodomente dagegen spreizt sich als eitler Ego-Pfau. Vergleichsweise normal ist Angelica, die ihren Liebsten Medoro vor den Rasenden verbirgt, diesen zaudernden Softie-Feigling, dem eigentlich alles zu stressig ist.
Abenteuer-Melodram, Ritter-Saga, dazu Liebesnöte, Schwüre und Schwärmerei, Grausamkeit und Tragik – dies alles findet sich auch in der Welt des Kinos, und so siedelt Regisseur Ramisch die Personnage dieses „dramma eroicomico“in einem Kino an, Grundspielort der Inszenierung. Dort agieren die Helden mal in Stummfilm-Schwarz-WeißManier, mal in kitschiger 50er-Jahre-Buntheit. Sie treten aus den projizierten Filmspots heraus auf die Real-Bühne eines skurrilen Provinzkinos, sehen sich selbst zu, verschwinden wieder im ZelluloidZauber. Vom Comic bis zur mythologischen Szene: Am Ende werden die Getriebenen am Lethe des Charon von ihrem Wahn erlöst.
Hinreißend bildhaft ist Haydns Musik, in den Arien und den unglaublich ausdrucksvollen Rezitativen, in der Orchestersprache, bei der entlarvend-ironische, aber auch edle Töne, echte Gefühle mitschwingen. Ivor Bolton entfesselt mit dem Münchner Kammerorchester einen funkelnden Zauber und zieht das vorzügliche Ensemble zwingend mit – Adela Zaharia (Angelica), Mathias Vidal (Orlando), Edwin Crossley-Mercer (Rodomente). Köstlich auch das „Buffo-Paar“David Portilla (Pasquale)/Elena Sancho Pereg (Eurilla), nicht zu vergessen der stumme Heiko Pinkowsky, der als Kinobesitzer seine Lieblinge stets auf den rechten Weg bringen will. 29. Juli 25., 27. und