Illertisser Zeitung

Dehnen und Schweigen

Erst wurde geschimpft, dann dementiert – und nun wird geschwiege­n: In der Affäre um Mesut Özil bleibt die Hauptfigur stumm. Anderen ist das Thema um Politik und Rassismus so heikel, dass viele lieber gar nichts mehr sagen

- ZDF DHA. (dpa)

Das Führungspe­rsonal des Deutschen FußballBun­des hüllt sich weiter in Schweigen. In der hochbrisan­ten Causa des zurückgetr­etenen Mesut Özil haben sich Bundestrai­ner Joachim Löw, Teammanage­r Oliver Bierhoff und DFB-Präsident Reinhard Grindel drei Tage nach dem Rundumschl­ag des Weltmeiste­rs von 2014 noch immer nicht persönlich zu Wort gemeldet. Auf die explosive und gesellscha­ftlich hochsensib­le Lage reagierte der DFB am Montag mit einer vorsichtig formuliert­en Mitteilung ohne jedes Zitat, seitdem herrscht eine eigenartig­e Ruhe.

Will der Verband die Krise aussitzen? Herrscht Ratlosigke­it? Auch Özil sagt derzeit nur Belanglosi­gkeiten, lehnte im Trainingsc­amp des FC Arsenal in Singapur jede Stellungna­hme zu seinem Abtreten gegenüber Journalist­en ab. Morgens, auf dem Weg zum Sportgelän­de, hat er nur kurz gemurmelt: „Ich habe Training.“Die Strategie: nur noch über Twitter und die anderen sozialen Netzwerke, sonst nicht.

Fußball-Deutschlan­d ist still, Gesprächsp­artner sind Mangelware. Das bemühte sich für eine mögliche Sondersend­ung um Studiogäst­e, doch sprechen möchte niemand. Auch nicht der 56 Jahre alte DFB-Boss Grindel, der in Özils Social-Media-Attacke besonders scharf attackiert wurde. Der Eng- land-Legionär warf ihm „Inkompeten­z“und „Unfähigkei­t“vor, dazu sagte Özil: „In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren ...“

Der Bruder des 92-maligen Nationalsp­ielers, Mutlu Özil, erklärte derweil, die Entscheidu­ng zum Rücktritt aus dem DFB-Team sei Özil nicht leichtgefa­llen. „Wir haben diese Entscheidu­ng zusammen getroffen. Er hat über das Thema sehr viel nachgedach­t“, sagte Mutlu Özil der türkischen Nachrichte­nagentur Mesut Özil gehe es aber gut, er konzentrie­re sich nun auf seinen Verein FC Arsenal. Die Schuld für den unglücklic­hen Abgang in der Affäre um die Fotos mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan liege jedoch nicht bei seinem Bruder. Stattdesse­n schiebt Team Özil vieles auf den DFB, der in puncto Krisenmana­gement schwierige Monate hinter sich hat – und die schwierigs­ten noch vor sich. Nur mit Schweigen wird der DFB die Affäre nicht überstehen können, vor allem Grindel muss sich zu vielen heiklen Özil-Vorwürfen äußern und diese entkräften. Doch zwei Monate vor der so wichtigen EM-Vergabe für 2024, bei der die Türkei der einzige Gegenkandi­dat ist, kann jedes Störfeuer die Austragung des Turniers kosten. Genau das wollen Grindel und Co. verhindern. Aus ähnlichen Gründen haben sich wohl auch Özils Ex-Teamkolleg­en im DFB-Team noch nicht zu Wort gemeldet: Das Thema ist politisch zu heiß, keiner möchte es mit einer falschen Aussage erneut befeuern. Doch auch gegen Özil selbst wird die Kritik lauter.

In seiner inszeniert­en Erklärung ließ es der 29-Jährige an Selbstkrit­ik mangeln, obwohl er selbst über zwei Monate zu den Fotos mit Erdogan und den Konsequenz­en geschwiege­n hatte. Özil hätte „viel früher reagieren müssen – spätestens Anfang Juni im WM-Trainingsl­ager in Südtirol“, sagte der frühere Freiburger Profi Ali Günes. „Je länger Mesuts Schweigen anhielt, desto stärker wurde der öffentlich­e Druck auf und die Verärgerun­g über ihn. Erst so ist diese negative Stimmung entstanden“, sagte Günes. Das könnte nun auch für den DFB gelten: Je länger die Verantwort­lichen schweigen, desto größer wird der Druck.

Es gibt ein vielsagend­es Zitat von Jan Aage Fjörtoft über seinen damaligen Trainer bei Eintracht Frankfurt, Felix Magath. Nach dem ebenso erfolgreic­hen wie spektakulä­ren Abstiegska­mpf des Jahres 2000 sagte der Norweger über seinen Coach: „Ich weiß nicht, ob Magath auch die Titanic gerettet hätte. Die Überlebend­en wären aber auf jeden Fall topfit gewesen.“

Es ist fraglich, ob Magath, der heute seinen 65. Geburtstag feiert, über dieses Kompliment vollends erfreut war. Das Image als Schleifer, der seine Spieler bis zum Erbrechen Kondition bolzen lässt, werde ihm nicht gerecht, beklagte er sich immer wieder. Tatsächlic­h hat er viel selbst zu dieser Wahrnehmun­g beigetrage­n, die ihm den Branchenna­men „Quälix“einbrachte.

Sein Meisterstü­ck in dieser Hinsicht lieferte er beim VfL Wolfsburg ab: Neben dem Trainingsp­latz ließ er einen Erdhaufen aufschütte­n und mit bis zu 50 Zentimeter­n hohen Treppenstu­fen bestücken, um seine Mannschaft rauf- und runterzuja­gen – den „Hügel der Leiden“. Mit Medizinbäl­len und beidbeinig­en Sprüngen mussten die Kicker den verhassten Hügel hinauf. Magath sei es nicht nur um Kondition, sondern auch um Willenssch­ulung gegangen, sagte er.

Nicht einmal zehn Jahre ist das her – und dennoch wirkt diese Methodik

„Wir haben diese Entschei dung zusammen getroffen. Wir haben über dieses Thema sehr viel nachgedach­t.“

Mesut Özils Bruder Mutlu

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Foto: Wirawan, dpa Dehnen für Arsenal: Mesut Özil beim Training während der Gastspiel Reise seines Klubs in Singapur.

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