Illertisser Zeitung

Bayerns neuer Mann für die Mitte

Leon Goretzka hätte auch zum FC Barcelona wechseln können, entschied sich aber für den deutschen Meister. Darum muss wohl ein anderer Mittelfeld­spieler weichen

- VON TILMANN MEHL Mannschaft Die Mannschaft. Die Siegerflie­ger.

Die meisten seiner neuen Mitspieler kennt Leon Goretzka bereits. Ein Sommer in Südtirol und Russland verbindet. Auch wenn das Unternehme­n Weltmeiste­rschaft für die deutsche Mannschaft früh endete, hatte Goretzka genügend Zeit, während des Trainingsl­agers und des Turniers etliche seiner neuen Mannschaft­skollegen näher kennenzule­rnen. Der Kern der Nationalma­nnschaft besteht aus Spielern des FC Bayern. Dort hat nun auch Goretzka seine sportliche Heimat.

Nachdem „ich mir viel Zeit für die Entscheidu­ng genommen habe“, entschied sich der 23-Jährige letztlich dafür, vom FC Schalke nach München zu wechseln. Es war auch deswegen eine schwere Entscheidu­ng, weil unter anderem auch der FC Barcelona an ihm interessie­rt war. Das bestätigte Goretzka bei seiner offizielle­n Vorstellun­g in München. Er zeichnete seinen Wechsel in gedecktere­n Farben, als dies Hasan Salihamidz­ic tat. Der nämlich erzählte, dass „solche Wechsel wie der von Leon am meisten Spaß machen. Wenn der Spieler sofort zustimmt.“Der Sportdirek­tor der Münchner hat offenbar andere Erinnerung­en an die Monate, in denen der Mittelfeld­spieler die Schalker lange warten ließ, ob er denn vielleicht doch seine Zukunft im Ruhrgebiet sieht. Das tat er nicht. Letztlich war der Weg vom VfL Bochum über den FC Schalke zum FC Bayern „auch ein wenig vorgezeich­net“, so Goretzka. An Selbstvert­rauen mangelt es ihm nicht. Da ist München schon mal eine gute Voraussetz­ung, um neben all den schillernd­en Stars sichtbar zu bleiben.

Seine erste Möglichkei­t, bei seinem Trainer bleibenden Eindruck zu hinterlass­en, hat er in den kommenden Tagen in Rottach-Egern. Bis zum 9. August bereitet Niko Kovac dort seine Mannschaft auf die kommende Saison vor, unterbroch­en nur von einem Testspiel am Sonntag in der Allianz Arena gegen Manchester United. Die Münchner besinnen sich wieder ihrer Wurzeln. Zumindest phasenweis­e. Es gilt als eines der größeren Anliegen Uli Hoeneß bei allem Streben nach internatio­naler Vermarktun­g, die Fans in der Heimat nicht zu verges- sen. Also üben die Münchner am Fuße des Wallbergs, und zumindest bei Salihamidz­ic kommen Erinnerung­en an vergangene Zeiten hoch. Als Felix Magath die Mannschaft noch anleitete, schlugen die Münchner noch regelmäßig ihr Sommer- quartier am Tegernsee auf. genauso regelmäßig fanden die Spieler schnell ihre Nachtruhe. Denn Magath scheuchte das Team mit Vorliebe auf besagten 1722 Meter hohen Wallberg. Er weckte seine Spieler auch gerne mal um 7 Uhr, um sie mit einem gemeinsame­n Waldlauf zu überrasche­n. Teambildun­g kann sich auch gegen den Trainer richten.

Wirklich angekommen ist Goretzka trotz zahlreiche­r Bekanntsch­aften noch nicht in diesem Team. Zwar wurde er schon aufgenomme­n in die mannschaft­sinterne WhatsApp-Gruppe, „aber um ehrlich zu sein: besonders viel ist da noch nicht los“, berichtet er. Dabei ließe sich doch über diesen Kanal wunderbar besprechen, wer denn nun weiterhin das Trikot des FC Bayern trägt – und wer nicht. Der Transfer von Arturo Vidal immerhin dürfte kurz bevorstehe­n. Der neue Vidal heißt Goretzka. „Ich spiele am liebsten auf der Acht“, sagt der Neue. Die Acht, das ist jene Position im Zentrum den Spielfelde­s, auf der die gegnerisch­en Angriffe gestoppt werden sollen und die eigenen weit nach vorne getrieben. Vidal kann das. Goretzka auch. Und weil auch noch Sebastian Rudy und Thiago ganz ähnliche Fähigkeite­n haben, wird wohl einer gehen müssen.

Vidals Vertrag läuft im kommenden Sommer aus. In der vergangene­n Saison benötigte Jupp Heynckes harte Hand und Einfühlung­svermögen, um den Chilenen von so etwas Ähnlichem wie profession­eller Einstellun­g zu überzeugen. Dazu noch wachsende Verletzung­sanfälligk­eit – Inter Mailand soll interessie­rt sein an seinen Diensten.

Wahrschein­lich wird man sich auch in aller Freundscha­ft von Jérôme Boateng trennen, der mit seinen 29 Jahren noch mal nach einer Auslandser­fahrung strebt. Als wahrschein­lichster Käufer gilt Paris Saint-Germain. Auf der Gegenseite planen die Münchner bis zum Ende der Transferfr­ist keine Zukäufe mehr. Gänzlich ausschließ­en will man sie aber auch nicht. Oder, um es mit Hasan Salihamidz­ic zu sagen: „Man soll die Tür nie zumachen. Oder aufmachen.“Bis zum 31. August können sich die Weisen noch Gedanken machen, was der Sportdirek­tor damit gemeint haben dürfte. Dann schließt das Transferfe­nster.

Goretzka schaut sich die Personalsp­ekulatione­n aus einer komfortabl­en Position an. Sein Platz im Kader ist vorerst gesichert. Nun geht es darum, in der Hierarchie Stück für Stück nach oben zu gelangen. Erste Versuche wird er in RottachEge­rn unternehme­n.

Die Luftfahrt dient der Menschheit spätestens seit der Antike als Lehrbeispi­el für das Leben an sich. Da konnte es sich der Hallodri Ikarus doch nicht verkneifen, der Sonne entgegenzu­streben. Er bezahlte dafür mit dem Leben. Schmelzend­es Wachs, auseinande­rfallende Flügel, Sturz ins Wasser. Lebbe geht nimmer weida, würde der Philosoph Dragoslav Stepanovic sagen. Die Moral von der Geschicht: Mensch, bleib bei deinen Leisten. Der Weg vom armen Ikarus zu den reichen Fußballmil­lionären ist nicht weit. Neben mancher Jacht ist das Flugzeug des Kickers liebstes Fortbewegu­ngsmittel. Freilich genießt er auf seinen Reisen größeren Komfort. Ikarus musste über Kreta schwebend noch auf die Playstatio­n verzichten. Was Fußballer und des Dädalus’ Sohn aber noch viel mehr eint als das Dahingleit­en im Wind, ist der Hang zum Übermut. Manchmal auch zur Maßlosigke­it.

Absurde Gehaltsfor­derungen werden nur noch von der Bereitscha­ft der Vereine übertroffe­n, diesen auch zu folgen. Der Deutsche Fußball-Bund wollte da nicht gegensteue­rn. Im Gegenteil. Aus dem Produkt Nationalma­nnschaft sollte größtmögli­cher Profit geschlagen werden. Also firmiert die Auswahl begabter Fußballer allenthalb­en als

war in der Tat vor nicht allzu langer Zeit recht erfolgreic­h. Aus Brasilien brachte sie 2014 sogar den WM-Pokal mit. Sie transporti­erte ihn von Südamerika nach Berlin im So nämlich taufte die Lufthansa die Boeing 747 nach dem gewonnenen Finale. Spätestens seit dem WM-Aus 2018 aber trifft das mit dem Siegerflie­ger nicht mehr zu. Der Lack ist ab. Der Schriftzug wurde in den vergangene­n Tagen entfernt. Jenes Flugzeug, das als Siegerflie­ger in den vergangene­n Jahren zwischen Frankfurt, Kapstadt und Buenos Aires pendelte, fliegt nun wieder unter seinem ursprüngli­chen Taufnamen: Potsdam. Zurück zum Anfang. Auch das kann die Nationalma­nnschaft als beispielha­ft empfinden. Und wieder sind Antike und Luftfahrt nicht weit. Denn wer, wenn nicht Phönix, lehrt, dass nach einem Zyklus ein ebenso schöner neuer entstehen kann?

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Foto: Christof Stache, afp Leon Goretzka zeigte sich während seiner ersten Pressekonf­erenz als Spieler des FC Bayern selbstbewu­sst.
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Foto: dpa Heißt jetzt wieder Potsdam. Ist bekannt geworden als Siegerflie­ger.
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