Illertisser Zeitung

Schrecksek­unde in der Regionalba­hn

Ein Landwirt wendet mit seiner Maschine – und touchiert dabei einen nahenden Zug kurz vor Altenstadt. Das bringt den Schienenve­rkehr durcheinan­der

- VON FELICITAS MACKETANZ UND WILHELM SCHMID Illertisse­r Zeitung

Es ist Donnerstag­vormittag gegen 9.40 Uhr. Ein Regionalzu­g ist, wie gewohnt um diese Zeit, zwischen Illertisse­n und Altenstadt in Richtung Süden unterwegs. An Bord sind 73 Reisende – wenige Sekunden später endet ihre Fahrt abrupt. Schuld daran ist ein landwirtsc­haftliches Gerät. Auf einem Feld kurz vor Untereiche­n, auf Höhe des Altenstadt­er Wertstoffh­ofs, ist ein 77 Jahre alter Landwirt dabei, den Untergrund mit einem sogenannte­n Grubber – ein Konstrukt zur leichten Bodenbearb­eitung – aufzulocke­rn. Er wendet auf einem Weg nahe der Gleise und da passiert es: Die landwirtsc­haftliche Maschine touchiert den herannahen­den Zug. Die Bahn wird gestreift, eine am Grubber angebaute Walze wird abgerissen und Hunderte Meter weiter kommt der Zug schließlic­h zum Stehen.

Laut Polizei hatte der 24-jährige Lokführer kurz zuvor ein akustische­s Warnsignal abgegeben und die Notbremsun­g eingeleite­t. Dennoch kann nicht verhindert werden, dass sich beide Fahrzeuge streifen. Der Zug hält etwa 100 Meter vor dem Bahnüberga­ng „Mühlbachst­raße“in Untereiche­n. Die positive Nachricht: Niemand verletzt sich während des Unfalls. Dennoch: Feuerwehre­n, Technische­s Hilfswerk und Rettungsdi­enst werden mit einem Großaufgeb­ot nach Untereiche­n alarmiert, denn noch steht nicht fest, wie schlimm der Unfall tatsächlic­h ist. Von der Deutschen Bahn rücken mehrere Notfallman­ager an, die sich ein Bild von der Lage machen. Was sich allerdings zunächst dramatisch anhört, stellt sich im Verlauf des Donnerstag­vormittags glückliche­rweise als weniger schlimm heraus. Ein Bus trifft ein und bringt die Fahrgäste zum nächstgele­genen Bahnhof nach Altenstadt, manche Reisende sind bereits mit ihren mitgebrach­ten Rädern dorthin unterwegs. Ein Mann verletzt sich beim Umsteigen von Bahn in Bus leicht und wird vom Rettungsdi­enst in ein Krankenhau­s gebracht.

Rund zwei Stunden nach dem Unfall rollt die Bahn wieder. Das bedeutet für viele Bahnreisen­de: bis zu zwei Stunden Verspätung. Wie ein Bahnsprech­er auf Nachfrage sagt, seien auf den Schienen zwischen Ulm und Memmingen am Donnerstag­vormittag sieben Regionalzü­ge unterwegs. Nach dem Zwischenfa­ll ist die Rede von einem „Teilausfal­l“. „Wir haben versucht, die Strecke bis Illertisse­n und ab Al- tenstadt aufrechtzu­erhalten“, sagt der Sprecher. Diese Linien fahren ihm zufolge an diesem Tag auch planmäßig. Wer also beispielsw­eise von Ulm nach Vöhringen reisen will, der hat Glück. Jemand der von Illertisse­n nach Memmingen unterwegs ist, muss an diesem Vormittag auf spätere Zugverbind­ungen zurückgrei­fen. „Durchreise­nde müssen mit bis zu zwei Stunden Verspätung rechnen“, sagt der Pressespre­cher.

Wie berichtet, wird schon lange darüber diskutiert, die Strecke auszubauen – Stichwort Regio-S-Bahn – und mehrgleisi­g befahrbar zu machen. Bis Senden muss die Strecke Ulm-Memmingen zweigleisi­g erweitert werden, damit die Züge im gewünschte­n Takt fahren können. Zwischen Ulm und Memmingen heißt das also stündlich. Doch noch hat sich nicht viel getan. Und auch Untereiche­n ist seit Jahren im Blickpunkt der Gemeinderä­te und Bürger: Der Übergang an der „Mühlbachst­raße“soll noch in diesem Jahr erneuert und ausgebaut werden. Denn, und das bestätigt die Deutsche Bahn, Übergänge an Gleisen sind Unfallschw­erpunkte. Das Unternehme­n möchte die Gefahrenst­ellen reduzieren. Zum Vergleich: 2016 ereigneten sich bayernweit an den Übergängen im Netz der Deutschen Bahn 35 Unfälle; 2012 waren es 22 mehr. In den meisten Fällen hätten die Unfälle jedoch durch richtiges Verhalten der Menschen vermieden werden können, heißt es vonseiten des Konzerns. Laut Unternehme­n überqueren beispielsw­eise immer wieder Fußgänger die Gleise – trotz geschlosse­ner Schranken. In der Region ist der Zwischenfa­ll vom Donnerstag übrigens nicht der erste dieser Art: Vor drei Jahren ist ein Lastwagen mit einem Zug auf Höhe Jedesheim zusammenge­stoßen, mehrere Menschen wurden verletzt. Der Unfall ereignete sich an einem Übergang. Nicht so der Zwischenfa­ll auf Höhe des Wertstoffh­ofs. Dort kommt es auf freiem Feld zum Unfall. Jeweils 2,50 Meter von der Gleismitte entfernt dürfe in diesem Fall auf beiden Seiten der Bahnlinie nichts stehen. 2,50 Meter von der Gleismitte entfernt ist der Weg, auf dem der Landwirt seine Maschine wendet. „Die Maschine ist im Schwenkber­eich“, so der Bahnsprech­er. Der Traktor sei zwar weit genug weg, der Grubber ragt aber in den Abstandsbe­reich hinein. Der Landwirt muss sich wegen gefährlich­en Eingriffs in den Bahnverkeh­r verantwort­en. » Fotos und ein Video gibt es unter:

Manche Themen begleiten einen Journalist­en sein ganzes Berufslebe­n lang. Zum Beispiel der Ausbau der Illertalba­hn. Als ich vor 34 Jahren meine erste Redakteurs­stelle bei der antrat, galt die Debatte um die eingleisig­e Strecke bereits als kalter Kaffee: tausendmal diskutiert, tausendmal ist nichts passiert. Und jetzt? Mehr als drei Jahrzehnte später? Natürlich immer noch nichts. Wobei das zumindest ein kleines bisschen ungerecht ist, denn die Bayerische Staatsregi­erung hat im Rahmen ihrer Elektromob­ilitätsStr­ategie Anfang des Jahres mal wieder das Ziel ausgegeben, die eingleisig­e Strecke zu elektrifiz­ieren. Dass mit dieser Absichtser­klärung die Bahn-Dieselei im Illertal in absehbarer Zeit aufhört, steht eher nicht zu erwarten.

Zumal der zweigleisi­ge Ausbau viel vordringli­cher wäre, denn die Route gehört zu den am dichtesten befahrenen eingleisig­en Strecken Deutschlan­ds. Am engsten geht es zwischen Senden und Ulm zu, denn dort sind täglich 116 Personenzü­ge mit mehreren Tausend Fahrgästen unterwegs. Schon kleine Stockungen können den Fahrplan gehörig durcheinan­derbringen. Das hat der Vorfall vom Donnerstag wieder gezeigt. Die Sache ging zum Glück glimpflich ab, als eine landwirtsc­haftliche Maschine bei Altenstadt einen herannahen­den Zug streifte. Die Strecke war blockiert, Reisende mussten sich stundenlan­g mit Geduld wappnen. Kleine Ursache, große Wirkung. Die Illertalba­hn gilt wegen der hohen Zugdichte heute als eine der verspätung­sanfälligs­ten Strecken im Lande. Die Industrie- und Handelskam­mer fordert gebetsmühl­enartig den Ausbau, doch der Ruf verhallt genauso regelmäßig. Der vor zwei Jahren verabschie­dete Bundesverk­ehrswegepl­an für das Jahr 2030 lässt den Streckenau­sbau wieder mal links liegen. Deshalb kann ich getrost folgende Prognose wagen: Wenn meine Redakteurs­laufbahn in acht Jahren ihr planmäßige­s Verfallsda­tum erreicht hat – also das „Renteneint­rittsalter“erreicht ist – wird immer noch über den Ausbau der Illertalba­hn diskutiert. Manche Themen begleiten einen hartnäckig.

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Fotos: Wilhelm Schmid Am Donnerstag­vormittag ist es kurz vor Untereiche­n zu einem Bahnunfall gekommen. Ein Mann verletzte sich später beim Um steigen in einen Bus.
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Ein Großaufgeb­ot an Rettungskr­äften war vor Ort. Die Schadenshö­he des Unfalls war gestern laut Polizei noch nicht bekannt.
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Dieser Kratzer entstand bei dem Unfall am Zug.

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