Illertisser Zeitung

Wie stabil sind unsere Brücken?

Das Unglück von Genua hat auch Experten verunsiche­rt – und könnte zu einem Umdenken in der Region führen. Strenge Prüfungen sollen verhindern, dass die Bauwerke einstürzen

- VON SEBASTIAN MAYR

Was, wenn es auch hier geschieht? Was, wenn eine Brücke ihre Last nicht mehr tragen kann? Die eingestürz­te Autobahnbr­ücke in der italienisc­hen Hafenstadt Genua hat Dutzende Menschen in den Tod gerissen. In der Doppelstad­t gelten die Bauwerke als Sorgenkind­er. Allein in Ulm stammt etwa die Hälfte der 234 Brücken und Unterführu­ngen aus den 60er- und 70er-Jahren. Viele müssen bald generalsan­iert werden, manche sogar neu gebaut. Könnten sie einstürzen?

„Ganz ausschließ­en kann man das nicht, weil wir nicht in die Brücken hineinsehe­n können“, sagt Gerhard Fraidel, der städtische Brückenexp­erte. Doch akute Sorgen macht er sich nicht. Die Stadt prüfe nach strengen Vorgaben: alle sechs Jahre eine Hauptunter­suchung, alle drei Jahre eine Zwischenun­tersuchung, jährlich eine Sichtprüfu­ng und zusätzlich­e Kontrollen durch den Bauhof, die teilweise sogar im Wochentakt stattfinde­n.

Auf den Autobahnen sieht es nicht anders aus: Die Bauwerke werden nach den gleichen Regeln getestet. Leo Weiß, stellvertr­etender Leiter der zuständige­n Dienststel­le der Autobahndi­rektion Südbayern in Kempten, macht sich keine Sorgen: „Wir haben und hatten da keine einzige Brücke, die in Einsturzge­fahr wäre“, sagt er. Die A8 ist erst vor Kurzem ausgebaut worden, auch auf der A7 gebe es keine ernsten Probleme. Im Einzelfall werde dort häufiger geprüft als vorgeschri­eben. Nur einmal, vor dem sechsstrei­figen Ausbau der A8, ließ die Autobahndi­rektion sicherheit­shalber eine zusätzlich­e Stütze an einer Brücke zwischen Günzburg und Augsburg anbringen. Die Übergangsl­ösung erwies sich als nicht notwendig. Doch Weiß sagt: „Aufs Absacken lassen wir es nicht ankommen. Normalerwe­ise wird man viel früher tätig.“

Tätig geworden sind auch die Städte Ulm und Neu-Ulm erst vor Kurzem wieder: Seit Ende Juni sind zwei der vier Spuren der maroden Gänstorbrü­cke über die Donau gesperrt. „So eine Sperrung sehen wir jetzt gelassener“, sagt Gerhard Fraidel, der die Abteilung Verkehrsin­frastruktu­r der Stadt Ulm leitet. Auch in anderen Fällen könnte die Verwaltung in Zukunft auf Nummer sicher gehen. Man werde sich kritische Stellen nun im Zweifel einmal mehr ansehen, sagt Fraidel. Die Bilder der eingestürz­ten Autobahnbr­ücke in Genua haben ihn schockiert. „Man schluckt schon und denkt drüber nach: Hoffentlic­h schauen wir alles an, hoffentlic­h merken wir alles.“

Eine entscheide­nde Frage ist aus Sicht des Ulmer Brückenexp­erten: Ist es im Voraus erkennbar, dass ein Bauwerk versagt? Bei den größten Ulmer Verkehrswe­gen droht ein plötzliche­r Absturz wohl nicht. Die Gänstorbrü­cke, die Adenauerbr­ücke, die Wallstraße­nbrücke, die Blautalbrü­cke und die Brücke über das Blaubeurer Tor sind allesamt so gebaut, dass sich die stählernen Tragseile dehnen. Die Bauwerke würden also wohl um einige Zentimeter absacken, aber nicht komplett durchbrech­en.

Die größten Sorgenkind­er sind bekannt: Die Beringerbr­ücke ist schon seit Längerem für Autos gesperrt. Auf anderen Bauwerken hat die Stadt Ulm Kontrollme­chanismen installier­t. Sie funktionie­ren so: Fährt ein Lastwagen über die Brücke, entstehen kleine Risse. Diese sollten anschließe­nd wieder zurückgehe­n. Tun sie das nicht, schlägt das System Alarm. Eine solche Anlage ist auf der Adenauerbr­ücke installier­t. Auf der Gänstorbrü­cke zeichnet das Sicherheit­ssystem auch Töne auf: „Wenn der Stahl reißen würde, hätte das einen speziellen Klang“, erklärt Fraidel. Die Anlage erkennt das und gibt die Warnung weiter. An der Ludwig-Erhard-Brücke misst die Kontrollan­lage die Feuchtigke­it, weil dort die sogenannte Abdichtung beschädigt ist.

Dass die Bauwerke überstrapa­ziert sind, ist für Fraidel keine Überraschu­ng. In den Unterlagen des Abteilungs­leiters befindet sich ein Foto. Es zeigt einen einzelnen zweiachsig­en Lastwagen mit Anhänger, dazu die Beschriftu­ng: „Ringbrücke mit Schwerlast­verkehr“. Ringbrücke wurde die Adenauerbr­ücke früher genannt, die Aufnahme stammt aus der Zeit kurz nach ihrem Bau. Der Schwerlast­verkehr von heute wiegt das Dreifache. Und dass nur ein Lastwagen zur gleichen Zeit dort fährt, ist mindestens ungewöhnli­ch.

Eine Ferndiagno­se der Probleme an der Brücke in Genua wollen weder Fraidel noch Weiß abgeben. Doch der Vize-Chef der Kemptener Autobahndi­rektion sagt: „Ich bin froh, dass wir keine solche Brücke haben.“Denn durch die raffiniert­e Konstrukti­on des eingestürz­ten Bauwerks seien viele Teile für die Statik relevant gewesen. Bei den massiveren Brücken in der Region müssen die Prüfer deutlich weniger Punkte unter die Lupe nehmen. „Wir haben nie die Angst gehabt, dass uns eine Brücke einstürzt“, betont Weiß.

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Foto: Alexander Kaya Die Gänstorbrü­cke zwischen Ulm und Neu Ulm ist seit Ende Juni teilweise gesperrt, weil sie marode ist. Doch einstürzen wie in Ge nua werden die Bauwerke in der Doppelstad­t voraussich­tlich nicht.

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