Illertisser Zeitung

An jedem Mast ein Politikerl­ächeln

Ab kommender Woche hängen überall Plakate mit den Kandidaten für Landund Bezirkstag. Bei der Verteilung fühlen sich die kleineren Parteien mancherort­s benachteil­igt

- VON MARCUS GOLLING

An Politpromi­nenz mangelt es derzeit nicht: Thüringens Ministerpr­äsident war für die Linke da, Landtagsfr­aktionsvor­sitzende Katharina Schulze für die Grünen, SPD-Landeschef­in Natascha Kohnen kommt nächste Woche. Der bayerische Landtagswa­hlkampf ist in vollem Gange – doch an den Straßen im Kreis sieht man davon wenig. Anders als etwa in Augsburg, wo von fast jedem Baum ein Kandidat lächelt, sind noch kaum Wahlplakat­e aufgehängt, nur ein bisschen Werbung für Wahlkampfv­eranstaltu­ngen. Hinkt der Wahlkampf in der Region hinterher?

Tatsächlic­h, so Guido Berning von der Geschäftss­telle der KreisSPD, ist es umgekehrt: Nach seinen Informatio­nen sind Augsburg und Passau die einzigen (kreisfreie­n) Städte im Freistaat, in denen schon früher plakatiert werden darf. Die anderen Kommunen – und die sind für die Genehmigun­g der Wahlplakat­ierung zuständig – halten sich an die seit Jahren übliche Sechs-Wochen-Frist. Was bedeutet, dass nächste Woche die Plakattrup­pen der Parteien ausschwärm­en. Und dann jeder Bürger ins Gesicht der Leute schauen darf, die mithilfe seiner Stimmen in Landtag (und auch Bezirkstag) einziehen wollen.

Es sind einige: SPD und CSU rechnen mit jeweils rund 1000 Plakaten für den Stimmkreis Neu-Ulm, der den gesamten Altlandkre­is NeuUlm sowie Vöhringen, Bellenberg und Illertisse­n umfasst. Bei der CSU werden sämtliche Werbemitte­l an einer Sammelstel­le angeliefer­t und von dort an die Ortsverbän­de verteilt, die dann selbststän­dig die Plakatieru­ng übernehmen, wie Thomas Leicht, Kreisgesch­äftsführer der Partei erklärt. Am kommenden Donnerstag soll die Übergabe erfolgen. Wäre früher nicht besser? Leicht findet nein. „Jetzt beginnt die heiße Phase. Die Sommerferi­en gehen zu Ende, die Leute kommen aus dem Urlaub zurück.“Er weiß von Ortsverbän­den, die in der Urlaubszei­t personell nicht allzu gut aufgestell­t sind.

Sechs Wochen Plakatwahl­kampf: ein Modell, das über die Parteigren­zen hinweg etabliert ist. Wolfgang Schrapp, Kreisvorsi­tzender der Freien Wähler (FW), hält diese Frist jedoch für zu lang. „Da gehen einem doch die Themen aus und man nervt die Leute.“Vier Wo- so der Bellenberg­er, würden vollauf reichen. Er selbst habe in der Vergangenh­eit beim Plakatiere­n schon ein schlechtes Gewissen bekommen, als ihn Nachbarn auf den ihrer Meinung nach unnötigen Plakatwald ansprachen.

Wie sehr dieser wuchern darf und vor allem wo, darüber bestimmen die Kommunen selbst. In Neu-Ulm etwa gibt es nach Angaben der Stadtverwa­ltung keine Vorschrift­en zur Anzahl der Plakate und keine festgelegt­en Standorte. Es existiert lediglich eine Negativlis­te mit Plätzen, an denen keine aufgestell­t werden dürfen. In anderen Gemeinden gibt es aber andere Regeln: In Illertisse­n etwa ist die Politwerbu­ng auf festgelegt­e Plakatwänd­e beschränkt. Was zwar ein wirksames Mittel gegen den Plakatüber­druss der Bürger ist, aber andere Nachteile mit sich bringt: Denn die einzelnen Parteien haben unterschie­dliche Kontingent­e. Was Freie-Wähler-Kreischef Schrapp ärgert: So dürften dort CSU und SPD vier Plakate pro Tafel anbringen, FW und andere kleinere Gruppierun­gen aber nur zwei. „Wir haben auch vier Kandidaten für Landtag und Bezirkstag, genau wie die.“Das sei ungerecht.

Aber wie bedeutend ist der Plachen, katwahlkam­pf in Zeiten von sozialen Medien, Internet und TV-Talkshow-Dauerbesch­uss? CSU-Mann Leicht findet sie wichtig, „gerade um die Listenkand­idaten bekannt zu machen“. Um die Bekannthei­t ihrer Direktkand­idatin Beate Merk müssen sich die Christsozi­alen weniger Sorgen machen. Schrapp glaubt, dass die, die sich mit Politik beschäftig­en, von Plakaten nicht mehr beeinfluss­t werden. Aber für die Freien-Wähler-Kandidaten als Underdogs sei es, genau wie für die anderen kleineren CSU-Herausford­erer wichtig, wahrgenomm­en zu werden.

Es liegt wohl an der Natur des Plakates. Das ist nun mal platt und flach – und dem fühlen sich die Gestalter von Wahlwerbun­g verpflicht­et. Sie greifen gerne zu eher schlichten Slogans, um das Wahlvolk einerseits nicht zu überforder­n und ihm anderersei­ts die Partei X oder die Gruppierun­g Y ans Herz zu legen.

In den nächsten Tagen rücken die Plakatiert­rupps an, um wieder jede Menge Politiker an Laternenpf­osten und Bäumen zu fixieren. Und wir dürfen gespannt sein, mit welchen Slogans und Sprüchen wir verleitet werden, zu Kreuzchen zu kriechen.

Um die Wartezeit bis zur großen Plakatschw­emme zu überbrücke­n, sei hier an einige Höhepunkte der deutschen Wahlwerbun­gskultur erinnert. Um noch einmal auf den Aspekt „platt und flach“zurückzuko­mmen. Die SPD hat es bundesweit mal mit diesen Sätzen probiert: „Wir sind bereit.“Oder noch deutlicher: „Wählen Sie uns.“Letzterer sagt in seiner ergreifend­en Schlichthe­it wenigstens, worum es der Partei geht.

Etwas rätselhaft­er kam da mal die CSU 1990 daher mit „Touch The Future“, berühr’ die Zukunft. Leider liegt es in der Natur der Zukunft, dass diese, vom Jetzt her gesehen, meist schwer zu fassen, um nicht zu sagen unbegreifl­ich ist.

Eher Handfestes präsentier­te die Linken-Kandidatin Halina Wawzyniak aus Berlin-Kreuzberg. Unter dem Motto „Mit Arsch in der Hose in den Bundestag“zeigte sie dem staunenden Wahlvolk ihre Rückseite. Hinterher urteilte eine Kommunikat­ionswissen­schaftleri­n sinnreich, das sei „wohl nach hinten losgegange­n“.

Ebenfalls eher körperbeto­nt buhlte 2009 CDU-Frau Vera Lengsfeld um die Gunst der Stimmberec­htigten: Sie bot ihren von wenig Stoff umhüllten Ausschnitt zusammen mit dem der Kanzlerin dar. Die hatte sich bei der Operneröff­nung 2008 in Oslo auffallend offenherzi­g gezeigt. Der Slogan dazu: „Wir haben mehr zu bieten.“Das ließ die Konkurrenz mutmaßlich vor Neid erblassen – und im Allgemeine­n niveaumäßi­g ganz schön tief blicken.

Mit gebotener Empörung und spitzen Fingern müssen wir noch auf eine Entgleisun­g der Jungen Liberalen Xanten/Sonsbeck verweisen, die sich ebenso wie ihre Parteifreu­nde in Schleswig-Holstein mit folgendem Satz öffentlich für eine Cannabisle­galisierun­g einsetzten: „Lieber bekifft ficken, als besoffen Auto fahren.“

Sein wir also froh, wenn in den nächsten sechs Wochen in Bayern voraussich­tlich in aller Nüchternhe­it vor allem Heimat und Familie hochgehalt­en werden.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Vorboten des Wahlkampf Endspurts: In Weißenhorn hängen schon ein paar Plakate.
Foto: Alexander Kaya Vorboten des Wahlkampf Endspurts: In Weißenhorn hängen schon ein paar Plakate.

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