An jedem Mast ein Politikerlächeln
Ab kommender Woche hängen überall Plakate mit den Kandidaten für Landund Bezirkstag. Bei der Verteilung fühlen sich die kleineren Parteien mancherorts benachteiligt
An Politprominenz mangelt es derzeit nicht: Thüringens Ministerpräsident war für die Linke da, Landtagsfraktionsvorsitzende Katharina Schulze für die Grünen, SPD-Landeschefin Natascha Kohnen kommt nächste Woche. Der bayerische Landtagswahlkampf ist in vollem Gange – doch an den Straßen im Kreis sieht man davon wenig. Anders als etwa in Augsburg, wo von fast jedem Baum ein Kandidat lächelt, sind noch kaum Wahlplakate aufgehängt, nur ein bisschen Werbung für Wahlkampfveranstaltungen. Hinkt der Wahlkampf in der Region hinterher?
Tatsächlich, so Guido Berning von der Geschäftsstelle der KreisSPD, ist es umgekehrt: Nach seinen Informationen sind Augsburg und Passau die einzigen (kreisfreien) Städte im Freistaat, in denen schon früher plakatiert werden darf. Die anderen Kommunen – und die sind für die Genehmigung der Wahlplakatierung zuständig – halten sich an die seit Jahren übliche Sechs-Wochen-Frist. Was bedeutet, dass nächste Woche die Plakattruppen der Parteien ausschwärmen. Und dann jeder Bürger ins Gesicht der Leute schauen darf, die mithilfe seiner Stimmen in Landtag (und auch Bezirkstag) einziehen wollen.
Es sind einige: SPD und CSU rechnen mit jeweils rund 1000 Plakaten für den Stimmkreis Neu-Ulm, der den gesamten Altlandkreis NeuUlm sowie Vöhringen, Bellenberg und Illertissen umfasst. Bei der CSU werden sämtliche Werbemittel an einer Sammelstelle angeliefert und von dort an die Ortsverbände verteilt, die dann selbstständig die Plakatierung übernehmen, wie Thomas Leicht, Kreisgeschäftsführer der Partei erklärt. Am kommenden Donnerstag soll die Übergabe erfolgen. Wäre früher nicht besser? Leicht findet nein. „Jetzt beginnt die heiße Phase. Die Sommerferien gehen zu Ende, die Leute kommen aus dem Urlaub zurück.“Er weiß von Ortsverbänden, die in der Urlaubszeit personell nicht allzu gut aufgestellt sind.
Sechs Wochen Plakatwahlkampf: ein Modell, das über die Parteigrenzen hinweg etabliert ist. Wolfgang Schrapp, Kreisvorsitzender der Freien Wähler (FW), hält diese Frist jedoch für zu lang. „Da gehen einem doch die Themen aus und man nervt die Leute.“Vier Wo- so der Bellenberger, würden vollauf reichen. Er selbst habe in der Vergangenheit beim Plakatieren schon ein schlechtes Gewissen bekommen, als ihn Nachbarn auf den ihrer Meinung nach unnötigen Plakatwald ansprachen.
Wie sehr dieser wuchern darf und vor allem wo, darüber bestimmen die Kommunen selbst. In Neu-Ulm etwa gibt es nach Angaben der Stadtverwaltung keine Vorschriften zur Anzahl der Plakate und keine festgelegten Standorte. Es existiert lediglich eine Negativliste mit Plätzen, an denen keine aufgestellt werden dürfen. In anderen Gemeinden gibt es aber andere Regeln: In Illertissen etwa ist die Politwerbung auf festgelegte Plakatwände beschränkt. Was zwar ein wirksames Mittel gegen den Plakatüberdruss der Bürger ist, aber andere Nachteile mit sich bringt: Denn die einzelnen Parteien haben unterschiedliche Kontingente. Was Freie-Wähler-Kreischef Schrapp ärgert: So dürften dort CSU und SPD vier Plakate pro Tafel anbringen, FW und andere kleinere Gruppierungen aber nur zwei. „Wir haben auch vier Kandidaten für Landtag und Bezirkstag, genau wie die.“Das sei ungerecht.
Aber wie bedeutend ist der Plachen, katwahlkampf in Zeiten von sozialen Medien, Internet und TV-Talkshow-Dauerbeschuss? CSU-Mann Leicht findet sie wichtig, „gerade um die Listenkandidaten bekannt zu machen“. Um die Bekanntheit ihrer Direktkandidatin Beate Merk müssen sich die Christsozialen weniger Sorgen machen. Schrapp glaubt, dass die, die sich mit Politik beschäftigen, von Plakaten nicht mehr beeinflusst werden. Aber für die Freien-Wähler-Kandidaten als Underdogs sei es, genau wie für die anderen kleineren CSU-Herausforderer wichtig, wahrgenommen zu werden.
Es liegt wohl an der Natur des Plakates. Das ist nun mal platt und flach – und dem fühlen sich die Gestalter von Wahlwerbung verpflichtet. Sie greifen gerne zu eher schlichten Slogans, um das Wahlvolk einerseits nicht zu überfordern und ihm andererseits die Partei X oder die Gruppierung Y ans Herz zu legen.
In den nächsten Tagen rücken die Plakatiertrupps an, um wieder jede Menge Politiker an Laternenpfosten und Bäumen zu fixieren. Und wir dürfen gespannt sein, mit welchen Slogans und Sprüchen wir verleitet werden, zu Kreuzchen zu kriechen.
Um die Wartezeit bis zur großen Plakatschwemme zu überbrücken, sei hier an einige Höhepunkte der deutschen Wahlwerbungskultur erinnert. Um noch einmal auf den Aspekt „platt und flach“zurückzukommen. Die SPD hat es bundesweit mal mit diesen Sätzen probiert: „Wir sind bereit.“Oder noch deutlicher: „Wählen Sie uns.“Letzterer sagt in seiner ergreifenden Schlichtheit wenigstens, worum es der Partei geht.
Etwas rätselhafter kam da mal die CSU 1990 daher mit „Touch The Future“, berühr’ die Zukunft. Leider liegt es in der Natur der Zukunft, dass diese, vom Jetzt her gesehen, meist schwer zu fassen, um nicht zu sagen unbegreiflich ist.
Eher Handfestes präsentierte die Linken-Kandidatin Halina Wawzyniak aus Berlin-Kreuzberg. Unter dem Motto „Mit Arsch in der Hose in den Bundestag“zeigte sie dem staunenden Wahlvolk ihre Rückseite. Hinterher urteilte eine Kommunikationswissenschaftlerin sinnreich, das sei „wohl nach hinten losgegangen“.
Ebenfalls eher körperbetont buhlte 2009 CDU-Frau Vera Lengsfeld um die Gunst der Stimmberechtigten: Sie bot ihren von wenig Stoff umhüllten Ausschnitt zusammen mit dem der Kanzlerin dar. Die hatte sich bei der Operneröffnung 2008 in Oslo auffallend offenherzig gezeigt. Der Slogan dazu: „Wir haben mehr zu bieten.“Das ließ die Konkurrenz mutmaßlich vor Neid erblassen – und im Allgemeinen niveaumäßig ganz schön tief blicken.
Mit gebotener Empörung und spitzen Fingern müssen wir noch auf eine Entgleisung der Jungen Liberalen Xanten/Sonsbeck verweisen, die sich ebenso wie ihre Parteifreunde in Schleswig-Holstein mit folgendem Satz öffentlich für eine Cannabislegalisierung einsetzten: „Lieber bekifft ficken, als besoffen Auto fahren.“
Sein wir also froh, wenn in den nächsten sechs Wochen in Bayern voraussichtlich in aller Nüchternheit vor allem Heimat und Familie hochgehalten werden.