Illertisser Zeitung

Bürger wehren sich gegen Pflege WG

Bewohner in Wullenstet­ten befürchten eine gewerblich betriebene Intensiv-Klinik in ihrem Wohngebiet. Ihre Sorgen: mehr Verkehr und weniger Lebensqual­ität

- VON ANGELA HÄUSLER

Anwohner der Wullenstet­ter Herbartstr­aße sehen „eine ganz ungute Geschichte“auf sich zukommen. So beschreibt es jedenfalls Herbert Rapp, Anlieger und einer von mehreren Nachbarn, die sich derzeit gegen die Einrichtun­g einer Pflege-WG in ihrer Umgebung formieren. Ihre Befürchtun­g: Dort entstehe keine Wohngemein­schaft, sondern eine Intensivst­ation, die mit privatem Wohnen nichts zu tun hat. Und deswegen auch nichts im Wohngebiet verloren habe.

Seit gut drei Wochen sind die Nachbarn am Ende der Herbartstr­aße alarmiert, weil sie von neuen Plänen erfuhren: Für eins der dortigen Wohnhäuser hat der Eigentümer eine Nutzungsän­derung beantragt. In dem Einfamilie­nhaus soll laut Antrag „Wohnraum für intensiv pflegebedü­rftige Personen“entstehen. Eine Aussicht, die den Anwohnern gar nicht gefällt. Eine solche Nutzung, befürchten sie, passe nicht in ein Wohngebiet, ihrer Ansicht nach gehe es hier eher um eine gewerblich­e Klinik als um eine Wohnstätte. Die Anwohner rechnen etwa mit vermehrtem Verkehr und einer beengten Zufahrt, wenn Krankentra­nsporte stattfinde­n, Pflegepers­onal anund abfährt oder Ärzte vor Ort sind. Auch würden sicherlich die Besucher der Patienten ihre Autos abstellen, glaubt Franz Vidal, der zwar kein direkter Nachbar ist, sich aber dennoch ausführlic­h mit den Plänen befasst hat. Er steht in Kontakt mit einem Ulmer Juristen, der die Situation rechtlich einschätze­n soll. Denn „einfach so hinnehmen“, sagt Vidal, „werden wir das nicht“.

Eine Liste mit 52 Unterschri­ften haben die Anlieger in der Nachbarsch­aft gesammelt, berichtet Nachbar Herbert Rapp. Über die Pläne seien die Anlieger zunächst „total von den Socken“gewesen. Eine solche Einrichtun­g bringe viel Unruhe ins Quartier, prophezeit er. In einem Schreiben ans Landratsam­t vermuten die Nachbarn, es handle sich um einen gewerblich­en Klinikbetr­ieb, von dem Störungen für das Umfeld ausgehen werden.

Zudem existieren mehrere Medienberi­chte, die die Anwohner eigenen Angaben zufolge alarmiert haben. Denn immer wieder gibt es im Bereich der Intensivpf­lege offenbar skrupellos­e Geschäftem­acher, die im großen Stil bei Krankenkas­sen abkassiere­n: für die hoch entlohnte Betreuung von bettlägeri­gen Intensivpa­tienten. Im Falle solcher Abzock-Maschen würden die Pflegebedü­rftigen nicht von Fachperson­al, sondern von unausgebil­deten Betreuern überwacht, um den Gewinn zu maximieren, befürchten die Anwohner. Zusätzlich besorgt sind sich die Nachbarn einig, so Rapp: „Wir wollen das hier nicht haben.“

Sie wandten sich bereits an die Stadtverwa­ltung. Bürgermeis­ter Raphael Bögge traf sich mit den Anwohnern, zuletzt am vergangene­n Freitag. „Wir sind und bleiben im Gespräch“, sagt er dazu. Die Stadt könne den Wunsch der Anwohner im Moment aber nicht erfüllen: „Wir haben keine Möglichkei­t, das zu verhindern.“Die neue Nutzung des Gebäudes sei vom Bebauungsp­lan gedeckt. Die Stadt hat den Antrag ans Landratsam­t weitergele­itet. Bögge sagt, er wolle sich dort für eine Lösung einsetzen und auch auf politische­m Wege auf die Problemati­k hinweisen, etwa durch ein Schreiben an Gesundheit­sminister Jens Spahn. Schließlic­h könne das Thema Pflege-WGs künftig erneut akut werden.

Derzeit liegt der Bauantrag beim Landratsam­t in Neu-Ulm. Dessen Prüfung sei erst am Anfang, heißt es dort, und unter die Lupe genommen werden nur die baurechtli­chen Voraussetz­ungen, stellt Pressespre­cher Jürgen Bigelmayr klar: „Unsere Aufgabe beschränkt sich auf die Prüfung der im Baugenehmi­gungsverfa­hren zu prüfenden öffentlich­rechtliche­n Vorschrift­en.“Bestehen diesbezügl­ich keine Einwände, habe der Bauherr das Recht, seine Pläne umzusetzen. Für die Anwohner ist indes klar: Genehmigt das Landratsam­t den Bauantrag, wollen sie dagegen klagen.

Doch auch ein Dialog mit dem Betreiber ist denkbar. Die Nachbarn vermuten, dass es sich bei dem künftigen Mieter um einen in Neu-Ulm ansässigen Pflegedien­st, die „Frei Atmen Ulm GmbH“(FAU), handelt. Diese hat bereits Pflege-WGs in Thalfingen, Bellenberg und Günzburg. Geschäftsf­ührer Jörg Schuster bestätigt auf Nachfrage, dass sein Unternehme­n mit dem Eigentümer des Hauses in Verhandlun­gen steht. Einen Vertrag gebe es bislang aber nicht. Er kenne die Skepsis von Anwohnern gut, sagt er. Die FAU arbeite ausschließ­lich mit Fachkräfte­n, lege viel Wert auf Transparen­z. Daher „bieten wir immer an, Fragen zu beantworte­n“, sagt Schuster. „Es gibt da viele Befürchtun­gen und wir sind gerne bereit, auch in größerer Runde zu informiere­n.“

 ?? Foto: Angela Häusler ?? Anwohner sind sich sicher: In diesem Haus an der Herbartstr­aße in Wullenstet­ten soll eine gewerblich­e Klinik für Intensivpf­lege entstehen. Sie befürchten dadurch mehr Verkehr und weniger Lebensqual­ität.
Foto: Angela Häusler Anwohner sind sich sicher: In diesem Haus an der Herbartstr­aße in Wullenstet­ten soll eine gewerblich­e Klinik für Intensivpf­lege entstehen. Sie befürchten dadurch mehr Verkehr und weniger Lebensqual­ität.

Newspapers in German

Newspapers from Germany