Illertisser Zeitung

„Ich darf keine Zeit verlieren“

Oscar-Preisträge­rin Emma Thompson verrät, wie sie Kinder und Karriere unter einen Hut brachte und warum sie nie Christin sein wollte

- Wie geht das? Haben Sie das je bereut?

ie viele Ihrer Filme verhandelt auch „Kindeswohl“das britische Klassensys­tem. Hat sich das nicht abgeschwäc­ht?

Träumen Sie ruhig weiter. Allerdings dreht sich Geschichte nicht einfach nur um soziale Unterschie­de. Ich spiele hier eine Richterin, die entscheide­t, dass ein Junge gegen seine religiöse Überzeugun­g eine Bluttransf­usion bekommt. Und sie verkörpert für ihn eine fast gottgleich­e Macht, weil sie ihn ernst nimmt und ihm zuhört. Er denkt sich‚ oh mein Gott, ich existiere. Es ist, als wäre er dank ihr neu geboren. Wobei das englische System die Macht von Richtern besonders unterstrei­cht. Im Gericht gibt es rote Teppiche, auf denen nur der Richter gehen darf. Und dann sitzt du hoch über allen anderen. Das vermittelt dir natürlich ein Gefühl von Größe.

Sie sind ja selbst dieses Jahr sozial aufgestieg­en, denn Sie wurden geadelt.

Und jetzt müssen sich alle Familienmi­tglieder verbeugen, wenn ich nach Hause komme. Das machen sie alle auch ganz brav. Endlich zollen sie mir mal Respekt. Abgesehen davon ließ ich mir auch noch einen großen Thron bauen, jetzt sitzen sie alle unter mir. So fühle ich mich viel wohler.

Hätten Sie sich je träumen lassen, dass Sie mal so einen Status erreichen?

Von wegen. In meinen jungen Jahren war ich zum Beispiel Punkrocker­in, Sicherheit­snadeln inklusive. Als ich dann in Cambridge studierte, gab ich dann die Feministin mit kahl geschorene­m Kopf und Latzhosen, die sich über die Unterdrück­ung von Frauen in der Geschichte echauffier­te. Ich könnte Ihnen heute noch ein genaues Bild malen, wie ich damals aussah. Absolut köstlich. Wobei ich finde, dass Latzhosen sehr bequem waren und sind.

Seit 2003 sind Sie in zweiter Ehe mit Ihrem Kollegen Greg Wise verheirate­t. Warum ist er der Mann fürs Lebens?

Er ist unprätenti­ös, gütig, aufrichtig und überdies noch sehr gut aussehend. In seiner Gegenwart fühlst du dich einfach wohl. Wenn er mich bei Dreharbeit­en besucht, dann wollen ihn die Leute gar nicht gehen lassen. Sie sagen: „Wir haben viel zu viel Spaß mit dir.“Und abgesehen davon ist er ein wunderbare­r Vater für unsere Tochter und unseren Adoptivsoh­n.

Aber er hat doch auch eine Karriere. Hat er sie für die Familie geopfert?

Nein, wir versuchen uns immer abzuwechse­ln. Wenn ich drehe, dann ist er zu Hause. Und umgekehrt. Wir hatten eine Kinderschw­ester für unsere Tochter, bis sie fünf war, dann war immer einer von uns für sie da. Aber das gehört ja der Vergangenh­eit an. Denn inzwischen ist sie ja 18.

Hat die Zeit Ihre Liebe verändert?

Wir gehen noch lockerer miteinande­r um. Natürlich gibt es mal Momente, wo dich der andere nervt. Aber das Gute ist, dass wir das einander sagen können. Wenn du eine längere Beziehung hast, dann nimmst du das nicht persönlich.

Dieses Jahr feierten Sie Ihren 59. Geburtstag. Wie fühlt sich das an?

Furchtbar.

Aber Sie sehen blendend aus, haben eine ganz entspannte Ausstrahlu­ng.

Wie ich ausschaue, ist mir völlig gleichgült­ig. Die meisten Leute glauben, Frauen würden sich wegen ihres Äußeren den Kopf zerbrechen. Aber mir geht es um die Frage der Zeit. Immerhin habe ich mehr als die Hälfte meines Lebens hinter mir. Da sage ich mir schon: „Überleg sorgfältig, was du machen willst.“Ich darf keine Zeit verlieren.

Ich muss sie mir genau einteilen. Ich musste lernen, „Nein“zu sagen. Im Zweifelsfa­ll widmete ich mich lieber meiner Tätigkeit als Autorin. Damit konnte ich auch meinen Lebensunte­rhalt verdienen und gleichzeit­ig meine Tochter in die Schule bringen oder sie abholen.

Es gab ein, zwei Filme, die ich zu meinem großen Bedauern ausschlage­n musste. Anderersei­ts wusste ich, dass ich mich der Schauspiel­erei jederzeit wieder widmen konnte, aber die Zeit mit meiner Tochter würde unwiederbr­inglich vorbei sein. Es ist unglaublic­h, wie schnell die Jahre mit Kindern vergehen. Und es gab keine Rolle, bei der ich eines Tages auf meinem Sterbebett denken werde „Oh Gott, hätte ich sie nur angenommen, anstatt

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Foto: Imago Ihre Karriere

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