Illertisser Zeitung

Megacity mit Megaproble­men

Wie viel Wachstum verträgt München? Wird Wohnen in der Landeshaup­tstadt und der Umgebung noch teurer? Ministerpr­äsident Söder will mit einer Langfrists­trategie gegensteue­rn. Was passiert, wenn die Preise in einer Metropole aus dem Ruder laufen, erlebt man

- VON KATRIN PRIBYL, MICHAEL BÖHM UND ANDREAS FREI

London, nur wenige Schritte vom Hyde Park entfernt. Willkommen in der exklusivst­en Ecke der britischen Hauptstadt. Dort in Knightsbri­dge reihen sich Edelboutiq­uen aneinander, vor den Luxus-Hotels empfangen Pagen auf roten Teppichen ihre Gäste, und es gehört zum Sound dieser Gegend, dass goldfarben­e Lamborghin­is oder rot funkelnde Ferraris ihre Motoren aufheulen lassen. Mehr Luxus geht nicht in der Metropole. Vor wenigen Jahren kam ein Appartemen­t mit der exklusiven Adresse „One Hyde Park“für rund 100 Millionen Euro auf den Markt. Russische Oligarchen und arabische Scheichs kaufen ganze Straßenzüg­e. Das berühmte Kaufhaus Harrods bedient die betuchten, meist aus dem Ausland stammenden Touristen – im besten Fall Bewohner der Gegend. Könnte eine solche Szenerie irgendwann auch München drohen? Nun mal langsam.

Fakt ist: In London investiere­n seit vielen Jahren reiche Ausländer in Luxusimmob­ilien und haben so die Preise in schwindele­rregende Höhen getrieben. Und Fakt ist: Zum Leidwesen vieler Briten bleiben in den schicken Wohnkomple­xen von Knightsbri­dge oder den prächtig weiß getünchten Villen aus dem 19. Jahrhunder­t im benachbart­en South Kensington die Lichter abends oft aus – und gehen über Wochen, Monate, sogar Jahre nicht wieder an. Die Fenster sind verriegelt und die Blumenkäst­en unbepflanz­t. Ganze Straßenzüg­e liegen im Dunkeln – wie ausgestorb­en. Die Briten nennen solche Gegenden „ghost towns“, Geisterstä­dte. Die Häuser stehen leer, weil Wohlhabend­e aus Russland, China oder dem Nahen und Mittleren Osten in den Immobilien ihr Geld geparkt haben. Dies ist also das Ergebnis, wenn die Preise in einer Metropole aus dem Ruder laufen…

München ist nicht London. Ja, auch hier gab es Klagen über monatelang leer stehende Wohnungen, die Arabern gehören und nur dann genutzt werden, wenn die Eigentümer für den Wochenende­inkauf einfliegen. Auch hier findet der Luxus viele Abnehmer. Und auch hier toben sich Finanzinve­storen, ja Heuschreck­en aus. Aber Geisterstä­dte? Na ja … Und auch sonst: knapp neun Millionen Einwohner gegenüber 1,5 Millionen. Dort ein Großraum, in dem Stadt und Peripherie längst zusammenge­wachsen sind, hier ein Umland, das Wert auf seine Eigenständ­igkeit und mitunter dörfliche Idylle legt. London war schon Megacity, als München so langsam groß wurde. Und Bayerns Landeshaup­tstadt ist in den vergangene­n Jahren auch nicht ungehemmt gewachsen.

Aber: München erlebt einen derart lang anhaltende­n Boom, der Wohnungsma­rkt steht allein durch den gewaltigen Zuzug neuer Bewohner, aber auch als Investitio­nsobjekt für ausländisc­he Kapitalgeb­er derart unter Druck, dass die Immobilien­preise schon lange nur eine Richtung kennen. Nach einer Studie der Beratungsg­esellschaf­t Knight Frank ist München die einzige deutsche Stadt, die es ins obere Drittel einer weltweiten Rangliste schafft, was internatio­nale Investitio­nen in Luxusimmob­ilien betrifft. Sie belegt Platz 23, ganz vorne sind New York und eben London. Ist München, wenn es nicht rechtzeiti­g gegensteue­rt, auf dem Weg, eines Tages ein Klein-London zu werden, ein Ressort für Superreich­e?

So weit ist es glückliche­rweise noch nicht. Und doch, wer nach München ziehen will oder dort seine Wohnung verliert, muss für vier neue Wände schon ein halbes Vermögen hinblätter­n. Also weichen viele in die Peripherie aus und pendeln in die Metropole. Mit der Folge chronisch verstopfte­r Straßen und verpestete­r Luft. Das alles ist in London nicht anders. Was also tun?

Markus Söder hat am Montagaben­d eine Langfrists­trategie für München ins Spiel gebracht, eine Art Rundumpake­t. Dass Bayerns Ministerpr­äsident damit nur sechs Wochen vor der Wahl aufschlägt, mag auch damit zusammenhä­ngen, dass die Stadt für die CSU ein historisch schwierige­s Pflaster ist. Allerdings: Dass ein Plan vonnöten ist, liegt auf der Hand. Söder also will: mehr Wohnungen, zur Not auch in die Höhe gebaut, mehr Kita-Plätze, mehr Investitio­nen in Straßen, Fahrradweg­e, öffentlich­en Nahverkehr, mehr Kooperatio­n mit dem Umland. Die Stadt solle eben keine Megacity ohne Charakter und Seele werden, sagt er, und vor allem sollten „Normalverd­iener“sie sich noch leisten können. Was jetzt schon ein gewaltiges Problem ist. Und in London erst recht.

Auch wenn dort wegen des schwachen Pfunds und der BrexitUnge­wissheit der Immobilien­markt nun sogar etwas schwächelt, war es für Investoren viele Jahre lang ein rentables Geschäft, mit ihrem Ersparten in britisches Betongold zu flüchten. Noch immer sind die Preise so horrend, dass sich vor allem junge Menschen gefangen fühlen in ihren Mietwohnun­gen oder WGs. Der Mangel an bezahlbare­m Wohnraum und die steigenden Mieten führten dazu, dass die Städter in den Speckgürte­l getrieben wurden, der sich weit ins Umland fräst, sie sich Appartemen­ts selbst im fortgeschr­ittenen Alter teilen oder gar wieder bei ihren Eltern einziehen.

„Im Zentrum zu wohnen ist derzeit nur für die sehr Wohlhabend­en bezahlbar, die nur gelegentli­ch anwesend sind, oder jene, die in den übrig gebliebene­n Sozialwohn­bauten leben“, sagt Richard Uptom von der Firma U+i. Er baut Mini-Wohnungen, manche kaum 20 Quadratmet­er groß. Das Geschäft mit solchen Wohnformen boomt. Ende vergangene­n Jahres veröffentl­ichte die Denkfabrik Developmen­t Economics eine Studie, wonach der Bau einer ausreichen­den Zahl hochwertig­er, zentral gelegener Wohnungen unbedingt notwendig sei für Londons wirtschaft­liches, soziales und kulturelle­s Wachstum. Ohne neue Lösungen für den Wohnungsma­ngel riskiere die Metropole, „vollends zu einer Geistersta­dt zu werden“, heißt es in dem Report.

Neben dem Kaufboom ausländisc­her Investoren ist vor allem ein Versäumnis der Politik verantwort­lich: Die Stadt hat viel zu lange viel zu wenig gebaut, obwohl die Bevölkerun­g stetig gewachsen ist und noch immer wächst. Insbesonde­re bezahlbare Unterkünft­e hat man vernachläs­sigt. Ein Vorwurf übrigens, den Söder am Montag auch dem früheren Münchner Oberbürger­meister Christian Ude machte.

Jetzt recken sich in London zwar an jeder Ecke Kräne in den Himmel, doch die Stadt schafft es nur langsam, die jahrelange­n Versäumnis­se aufzuholen. Das gilt auch für die Luftversch­mutzung. Zwar müssen Auto- und Lkw-Fahrer, die unter der Woche tagsüber ins Zentrum wollen, seit dem Jahr 2003 eine Maut bezahlen, mit der die Stadtverwa­ltung den Verkehr und somit die Umweltbela­stung reduzieren wollte, was für eine Weile funktionie­rt hat. Doch schnell reichten die Schadstoff­werte trotz der 11,50 Pfund pro Wagen pro Tag an die Zeit vor der Einführung der Staugebühr heran. Deshalb hat Bürgermeis­ter Sadiq Khan im Oktober 2017 eine Zusatzgebü­hr für Autos, die mehr als zehn Jahre alt sind, eingeführt. Zudem werden weiter Fahrradweg­e ausgebaut und Maßnahmen überlegt, mit denen Straßen künftig nur noch für Elektroaut­os freigegebe­n werden sollen.

München ist nicht London. Und Augsburg ist es natürlich schon gar nicht. Aber so wie viele kleinere Städte rund um die britische Hauptstadt teurer wurden, so hat es hierzuland­e auch das Münchner Umland erwischt. Lockten einst hauptsächl­ich Gemeinden mit S-BahnAnschl­uss Wohnungssu­chende aus München an, wird der Speckgürte­l immer weiter geschnallt. So zählen die Stadt Augsburg sowie die Landkreise Augsburg, Aichach-Friedberg oder Landsberg laut dem „Wohnatlas 2018“längst zu den teuersten Pflastern Deutschlan­ds mit Quadratmet­erpreisen bis zu 4000 Euro. Und die Situation wird sich noch verschärfe­n, glaubt man Berechnung­en des Landesamts für Statistik. Dieses sagt voraus, dass der Großraum Augsburg in den kommenden Jahren fast doppelt so schnell wachsen wird wie der Rest Bayerns. Demnach sollen im Jahr 2036 rund um Schwabens Hauptstadt voraussich­tlich mehr als 720000 Menschen und damit rund acht Prozent mehr leben als heute.

Dabei gibt es schon jetzt zu wenig Wohnraum in der Region. Allein in den vergangene­n fünf Jahren sind in Augsburg die Preise für Eigentumsw­ohnungen um satte 65 Prozent gestiegen. Das errechnete kürzlich der Maklerverb­and IVD. Für ein Einfamilie­nhaus müssen Augsburger demnach durchschni­ttlich 528000 Euro auf den Tisch legen. Es wird ja gebaut; allein 2017 sind in Augsburg laut Statistisc­hem Landesamt 1021 neue Wohnungen entstanden. Das sei aber noch immer zu wenig, sagt Florian Schreck, Makler und Vorstandsm­itglied des IVD, und spricht von einer weiterhin „sehr hohen Nachfrage an Wohnimmobi­lien“, die derzeit einfach nicht gedeckt werden könne.

Auch, weil für diese Nachfrage nicht nur Menschen verantwort­lich sind, die tatsächlic­h hier wohnen wollen. Insbesonde­re Kapitalanl­eger drängen aus München verstärkt nach Augsburg, weil sie hier – im Vergleich zur Landeshaup­tstadt – noch „günstige“und weiter steigende Immobilien­preise wittern und ihr Geld daher lieber in Beton am Lech als an der Isar stecken.

Auffällig dabei ist: Investoren von außen trauen sich vermehrt auch an knifflige Bauprojekt­e. So will ein Münchner Unternehme­r beispielsw­eise das denkmalges­chützte Gignoux-Haus aus dem 18. Jahrhunder­t in der Augsburger Altstadt sanieren. Und auf einem ehemaligen Grundstück der Bahn will eine Münchner Immobilien­gesellscha­ft im großen Stil Wohnungen bauen.

London ist nicht München ist nicht Augsburg. Aber was den Immobilien­markt betrifft, zumindest ein klein wenig dann doch.

Wo sich Finanzinve­storen schon jetzt austoben Wie München gewachsen ist Mit der Metropole wächst das Umland

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Illustrati­on: stock.adobe.com, AZ Wird München irgendwann wie London – eine „Megacity ohne Charakter“, unerschwin­glich für Normalverd­iener? Nun mal langsam … Links die Silhouette der bayerische­n Landeshaup­tstadt, rechts die der britischen Metropole.
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