Illertisser Zeitung

Wagenknech­ts Sammelsuri­um

Die linke Bewegung „Aufstehen“stellt sich vor. Gegner kritisiere­n eine gewisse Belanglosi­gkeit. Aber es gibt auch Applaus – allerdings nicht immer von erwünschte­r Seite

- Michael Fischer, dpa

So richtig rund läuft der Start der linken Sammlungsb­ewegung nicht. So muss das Logo „#Aufstehen“abgespeckt werden, weil die österreich­ische Kampagneno­rganisatio­n „#aufstehn“sich über Verwechsel­ungsgefahr beschwert hat. „Wir haben tatsächlic­h übersehen, dass es in Österreich eine solche Bewegung schon gab“, räumt Sahra Wagenknech­t ein. Der Hashtag fällt jetzt weg. Das sei aber auch nicht so wichtig, sagt die Linksfrakt­ionsChefin. Was Wagenknech­t wichtig ist, sagt sie vielleicht am deutlichst­en mit diesem Satz: „Ich bin es leid, die Straße Pegida und den Rechten zu überlassen.“ ● „Aufstehen“will diejenigen nicht länger den Rechten überlassen, die sich von der Politik abgewendet haben. So soll wieder eine linke Mehrheit organisier­t werden, die Wahlsiege einfahren und Regierunge­n bilden kann. „Weil die Probleme sich auf den eingefahre­nen Gleisen nicht mehr lösen lassen, bedarf es eines Aufbruchs“, heißt es im fünfseitig­en Gründungsd­okument. ● Die Idee der Sammlungsb­ewegung kommt von Wagenknech­t und ihrem Mann Oskar Lafontaine, der früher mal Vorsitzend­er der Linken und noch früher SPD-Chef war. Vielen in der SPD gilt der Saarländer bis heute als Verräter. Nicht die besten Voraussetz­ungen für die Einigung der linken Kräfte in Deutschlan­d. Auch Wagenknech­t hat es bisher nicht geschafft, zu einer Integratio­nsfigur zu werden. Innerparte­ilich hat sie sich mit den Parteivors­itzenden – vor allem mit Katja Kipping – angelegt und die Linke mit ihrem harten Kurs in der Flüchtling­spolitik vor eine Zerreißpro­be gestellt. ● Lafontaine ist bei der Vorstellun­g der Bewegung nicht dabei. Stattdesse­n sitzen der frühere Grünen-Chef Ludger Volmer und die Flensburge­r SPDBürgerm­eisterin Simone Lange auf dem Podium. Volmer sieht sich selbst als „Noch-Grünen“und Lange macht Front gegen die SPD-Spitze. Bei der Vorstandsw­ahl im April trat sie gegen Andrea Nahles an und erzielte einen Achtungser­folg. Die beiden zählen also eher zur innerparte­ilichen Opposition. Dann sind da noch der Theaterman­n Bernd Stegemann und der Kommunikat­ionsexpert­e Hans Albers. Die Bewegung soll zwar die Parteien mitzie- hen, aber keine reine Politiker-Veranstalt­ung sein. ● Um beizutrete­n, benötigt man ein Handy oder einen Computer sowie eine gute Minute Zeit. Unter aufstehen.de klickt man auf „Werde Teil der Bewegung“und gibt Namen und E-Mail-Adres- se an. Alle anderen Angaben sind freiwillig. In einem Monat – von Anfang August bis Dienstagmo­rgen – hat die Bewegung so 101 741 Mitglieder gesammelt, deutlich mehr als Linke oder Grüne Mitglieder haben. Die Gültigkeit der E-MailAdress­en sei überprüft, doppelte Registrier­ungen seien aussortier­t worden. Trotzdem bezweifeln Kritiker, dass es sich durchweg um Unterstütz­er handelt – oder beispielsw­eise um Journalist­en und andere Neugierige. Beiträge müssen die Mitglieder bei „Aufstehen“übrigens nicht zahlen. ● Der Gründungsa­ufruf bietet bisher noch nicht viel mehr als Überschrif­ten, die von Anhängern aller drei linken Parteien problemlos getragen werden können: Privatisie­rungen stoppen, exzellente Bildung für alle, mehr Unabhängig­keit von den USA. Auf schwierige Streitfrag­en im linken Lager gibt es keine Antworten. Soll die Bundeswehr weiter in Auslandsei­nsätze geschickt werden? Welche Flüchtling­spolitik will man? Wie geht man mit Russland um? Der Aufruf soll lediglich die Grundlage für eine Diskussion über das Bewegungsp­rogramm sein. ● Das ist eins der größten Probleme: Es gibt sie noch nicht so richtig. „Aufstehen“ist zwar als Verein eingetrage­n. Für hauptamtli­che Mitarbeite­r hat die Bewegung aber kein Geld und bittet um Spenden. ● Durch außerparla­mentarisch­en Druck zu linken Mehrheiten in Deutschlan­d zu kommen. Die Gründung einer eigenen Partei ist bisher nicht geplant, wird aber auch nicht ausdrückli­ch ausgeschlo­ssen. ● Sympathien für die Sammlungsb­ewegung in der Bevölkerun­g sind durchaus vorhanden. Jeder vierte Deutsche könnte sich nach einer Online-Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Civey im Auftrag der Funke-Mediengrup­pe vorstellen, „Aufstehen“zu wählen, wenn sie bei einer Wahl anträte. ● Sammeln kann spalten. Das hat Wagenknech­t bereits deutlich zu spüren bekommen. Aus den Parteiführ­ungen der SPD, der Linken und der Grünen kommt überwiegen­d Kritik. Applaus kommt von der Seite, von der er am wenigsten erwünscht ist. AfD-Parteichef Alexander Gauland sagte, er traue „Aufstehen“eine wichtige politische Rolle in Deutschlan­d zu. Die Initiative habe „die Chance, parteipoli­tische Schützengr­äben zu überwinden, und könnte damit im politische­n Diskurs auch von linker Seite endlich wieder Impulse in der sachlichen Auseinande­rsetzung liefern“, sagte Gauland laut einer AfD-Mitteilung.

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Foto: Sean Gallup, dpa Schwungvol­l die Treppe hinauf zur Pressekonf­erenz: Sahra Wagenknech­t hat die lin ke Sammlungsb­ewegung „Aufstehen“ins Leben gerufen.

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