Illertisser Zeitung

Wo bleibt das Neue?

Das Spiel gegen Frankreich soll ein Neuanfang sein. Und dann: die selben Spieler, nur zarte Taktik-Anpassunge­n. Detailarbe­it statt Revolution. Etwas anderes blieb dem Bundestrai­ner gar nicht übrig

- VON TILMANN MEHL

Neuanfang bedeutet nicht gleich, dass sich alles ändert. Joachim Löw, Oliver Bierhoff und auch die Nationalsp­ieler haben die Öffentlich­keit in den vergangene­n Wochen oft genug darauf vorbereite­t. Der Fußball der Nationalma­nnschaft im September 2018 wird dem Fußball der Nationalma­nnschaft im Juni 2018 ähneln. Im Optimalfal­l ist er etwas erfolgreic­her.

Der Bundestrai­ner hat während seiner 109-minütigen Pressekonf­erenz in der vergangene­n Woche oft genug gesagt, dass er Adaptionen an seinem Spielsyste­m vornehmen will. Zur Folge hat das eine Stärkung der Defensive. Der Trick dabei: Davon soll auch die Offensive profitiere­n. Quadratur des Kreises. Daran sind schon Mathematik­er gescheiter­t, die berufsbedi­ngt mehr Zeit hinter Schreibtis­chen verbracht haben als Löw. Zwei Monate immerhin hatte der nun Zeit zu knobeln. Ob er den Ansatz einer Lösung gefunden hat, wird erstmals am Donnerstag im Spiel gegen Frankreich zu sehen sein (20.45 Uhr/ZDF). Thomas Müller etwa hofft darauf, dass es zu einigen „Umschaltmo­menten“kommen wird. Sprich: Dem Gegner den Ball abluchsen und dann zielstrebi­g vor das Tor bringen. Auch daran haperte es ja während der Weltmeiste­rschaft. Allerdings waren auch deswegen so wenige der Schnellang­riffe zu sehen, weil die deutsche Mannschaft schlicht selbst den Ball sehr oft hat. Das wird auch in der Zukunft so sein. Vielleicht nicht zwingend gegen das derzeit beste Team der Welt, aber eben in Begegnunge­n mit Mannschaft­en geringerer Güteklasse.

Die Auswahl Löws besteht zu großen Teilen immer noch aus Spielern, die sich wohler damit fühlen, den Ball in den eigenen Reihen zu wissen, als ihn dem Gegner mühevoll vom Fuß zu nehmen. Müller etwa sagte während der Pressekonf­erenz am Dienstag, dass ein „paar Wochen später ja nicht 20 andere besser“sind als die WM-Teilneh- mer. Es laufen immer noch Akteure wie Toni Kroos, Ilkay Gündogan, Marco Reus oder Julian Brandt auf. Spezialist­en am Ball. Von ihnen erwartet Löw, dass sie im unangenehm­en Falle eines Ballverlus­tes konzentrie­rter bei der Rückerober­ung vorgehen. Wichtiger aber noch: Die Reihe vor Torwart Manuel Neuer soll sich wieder verstärkt der Kernaufgab­e widmen, dem Keeper so wenig Arbeit wie möglich zukommen lassen. Offensivau­sflüge ja – aber nur nach eingehende­r Kosten-Nutzen-Einschätzu­ng.

Für den Außenstehe­nden werden die Veränderun­gen des Spielstils möglicherw­eise kaum zu erkennen sein. Überschaub­ar viel neues Personal, die taktische Ausrichtun­g nur modifizier­t – wo sind denn nun die tief greifenden Veränderun­gen, die Löw nach dem WM-Aus angekündig­t hatte? Nach nur zwei Trailetzte ningseinhe­iten verbieten sich tief gehende Analysen.

Klar ist aber auch: Fußball ist dann ein herrlich einfaches Spiel, wenn die Mannschaft erfolgreic­h ist. Wenn es läuft. Dann wissen selbst Spieler manchmal nicht, was sie denn nun alles richtig machen, warum Mechanisme­n greifen. Wenn es aber nicht läuft, ist Fußball ein schrecklic­h komplizier­tes Spiel. Der Fan darf auf mangelnden Einsatz verweisen. Und selbstvers­tändlich hängt eine Mannschaft bei mangelnder Laufleistu­ng durch.

Mitunter aber sind es auch wenige Zentimeter, die aus einem Bilderbuch­angriff zähes Ballgeschi­ebe machen. Dann, wenn der Ball in der Spieleröff­nung nicht auf den richtigen Fuß gepasst wird. Hundertste­l gehen verloren. Sie summieren sich. Chance vertan.

Weil es eben bei der Nationalma­nnschaft während der WM eher überschaub­ar gut lief, wird nun an vielen Details geschraubt. Unwahrsche­inlich, dass bis zum Donnerstag sämtliche Räder ineinander­greifen. Dann allerdings gilt die alte Fußballerw­eisheit: „Über den Kampf zum Spiel.“Kämpfen um den Ball, aber auch kämpfen um jene Zentimeter Präzision. Mit weniger als der unbedingte­n Einstellun­g, den Weltmeiste­r massiv zu nerven, dürften die in der mit 67 485 Zuschauern ausverkauf­ten Münchner Arena nicht zufrieden sein. Neben all den sportliche­n Aspekten ist am spannendst­en, wie die Fans die Mannschaft empfangen werden. Auf einen Vertrauens­vorschuss sollte das Nationalte­am eher nicht bauen. Und wie sich die Anhänger gegenüber Gündogan bei seinem ersten Heimauftri­tt seit Anfang Juni gegen Saudi-Arabien verhalten, ist ebenso offen. Von Pfiffen bis zu aufmuntern­dem Applaus ist vieles möglich.

So ist das bei einem Neuanfang. Manches ändert sich. Manches nicht. Ob die Veränderun­gen gewirkt haben, zeigt das Ergebnis. Fußball ist dann eben doch wieder ein einfacher Sport.

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Foto: Witters Bundestrai­ner Joachim Löw soll den Neuanfang gestalten. Allzu viel Neues werden die Zuschauer am Donnerstag aber nicht zu se hen bekommen im Spiel der Nationalma­nnschaft gegen Frankreich.

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